Brüssel für Steuerreform in EU Großer Wurf oder aussichtsloser Kampf?

Den öffentlichen Haushalten in Europa entgehen jedes Jahr wegen Mehrwertsteuerbetrugs Einnahmen in Milliardenhöhe. Brüssel will das veraltete Steuersystem umkrempeln. Doch der Teufel steckt im Detail.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der Hinweis auf 19 Prozent Mehrwertsteuer Quelle: dpa

Europas Mehrwertsteuerregelungen stammen großteils noch aus einer Zeit, in der kaum Online-Geschäfte getätigt wurden und Grenzkontrollen in der EU weit verbreitet waren. Die EU-Kommission will das System nun von Grund auf reformieren.

Was genau schlägt die EU-Kommission vor?

Im Prinzip will die Brüsseler Behörde, dass Geschäfte zwischen Unternehmen über EU-Grenzen hinweg steuerlich genauso behandelt werden wie Käufe und Verkäufe innerhalb eines Landes. Die Mehrwertsteuerbefreiung für grenzüberschreitende Verkäufe soll fallen. Stattdessen sollen bereits die Behörden im Ursprungsland einer Transaktionen Mehrwertsteuern erheben.

Um ein Wettrennen um die niedrigsten Steuersätze und ein Hin- und Herverschieben von Firmensitzen zu vermeiden, soll dabei der Steuersatz des Ziellandes erhoben werden. Die Steuerbehörden leiten die Einnahmen dann letztlich an das Land weiter, in dem die Waren genutzt oder verbraucht werden. Für Firmen soll zudem etwa über ein einheitliches Online-Portal der Verwaltungsaufwand gesenkt werden.

Warum tut die Brüsseler Behörde das?

Ihren Angaben nach beträgt die Mehrwertsteuerlücke in der EU - also die Differenz zwischen - anhand von Verbrauchszahlen - erwarteten und tatsächlich erzielten Einnahmen - mehr als 150 Milliarden Euro pro Jahr. Allein durch grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug entgehen den öffentlichen Haushalten jährlich geschätzt 50 Milliarden Euro. Nach Angaben der EU-Kommission begehen vor allem organisierte Kriminellennetzwerke Mehrwertsteuerbetrug. Die Gewinne werden unter anderem dafür genutzt, andere kriminelle Aktivitäten vom Drogenhandel über Menschenschmuggel bis zum Terrorismus zu finanzieren.

Welche Waren sind vor allem von Mehrwertsteuerbetrug betroffen?

Grundsätzlich kommen praktisch sämtliche Güter in Frage. Besonders lukrativ sind allerdings Waren, die wenig Platz erfordern und zu vergleichsweise hohen Preisen verkauft werden können - etwa Computerchips.

Was verspricht sich die Brüsseler Behörde von dem neuen System?

Ihrer Einschätzung nach könnte mit der neuen Erhebungsmethode der grenzüberschreitende Mehrwertsteuerbetrug um 80 Prozent reduziert werden. Außerdem würde die Steuer-Landschaft in Europa übersichtlicher. In der EU fällt es in die Kompetenz der Mitgliedstaaten, einzelne Steuersätze zu erheben - verschiedene Länder haben daher oft auch verschiedene Mehrwertsteuersätze. Brüssel kann allerdings die Rahmenbedingungen beeinflussen.

Wie sehen Verbände und Parlamentarier die Sache?

Der Europäische Unternehmerverband Business Europe zeigte sich angetan. „Wir begrüßen die Vorschläge der EU-Kommission, Europas fragmentiertes und kompliziertes Mehrwertsteuersystem zu modernisieren“, sagte Generaldirektor Markus Beyrer. Durch ein einfacheres Steuersystem könnten der Handel in der EU und das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden.

Im Europaparlament stieß der Vorschlag auf ein gespaltenes Echo. „Eine Reform des europäischen Mehrwertsteuersystems ist dringend notwendig. Die geltenden Regeln stammen aus dem Jahr 1993 und haben mit der Entwicklung des Binnenmarktes und der Digitalwirtschaft bei Weitem nicht Schritt gehalten“, sagte der CSU-Europapolitiker Markus Ferber. Allerdings sollte die Steuer nicht im Zielland, sondern in dem Land fällig werden, in dem der „leistende Unternehmer“ seinen Sitz habe.

„Die Pläne der EU-Kommission werden nur dann funktionieren, wenn die nationalen Steuerbehörden zuverlässig füreinander Mehrwertsteuern erheben und die Steuereinnahmen weitergeben“, meinte der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold. Die Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs sei jedoch genauso wichtig wie das Vorgehen gegen Steuerhinterziehung bei Unternehmenssteuern. „Der deutsche Finanzminister muss sich im Rat nachdrücklich gegen diesen Steuerbetrug engagieren.“

Wie stehen die Chancen, dass die Vorschläge Realität werden?

Die Steuerpolitik in Europa ist grundsätzlich schwieriges Terrain, da die Staaten Beschlüsse einstimmig fassen müssen. In der Vergangenheit haben Länder, die sich mit ihren Steuermodellen Standortvorteile erarbeiten wollten - wie etwa Irland, Luxemburg, die Niederlande oder Malta - teilweise Entscheidungen erschwert. Seit den Enthüllungen in den sogenannten Panama Papers, in denen unzählige anonyme Briefkastenfirmen in Panama enttarnt worden waren, hat der Kampf gegen Steuervermeidung allerdings auch in der EU erheblich an Fahrt gewonnen. Die EU-Kommission gibt sich daher zuversichtlich.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%