




Die Gurkenkrümmung hat ausgedient, an ihre Stelle ist die Öko-Design-Richtlinie getreten. Wenn Europa-Kritiker ein plastisches Beispiel für die Brüsseler Überregulierung suchen, dann fallen sie fast schon reflexartig auf die Vorschrift zurück, die den Energieverbrauch von Elektrogeräten in Europa bis ins kleinste Detail regelt. Im Kampf gegen überbordende Bürokratie hatte die EU ihre minutiösen Vorgaben für Gemüse entrümpelt, mit der Richtlinie 2009/125/EG in der Zwischenzeit aber ein neues Symbol für europäische Regelungswut geschaffen.
Die Öko-Design-Richtlinie macht es den Kritikern in der Tat leicht. Warum in aller Welt verbot Brüssel zunächst konventionelle Glühbirnen und dringt nun in immer neue Lebensbereiche vor? Selbst hartgesottenen Europa-Befürwortern fehlen überzeugende Argumente für die Vorschriften für Haushaltsöfen und Kochfelder, die in diesem Monat in Kraft getreten sind. Im September werden Staubsauger an der Reihe sein. Wäschetrockner, wer hätte es gemerkt, traf es bereits im vergangenen November. „Mit ihrem Arbeitsplan betreten EU-Beamte bereits das Badezimmer der Bürger“, schimpft der FDP-Europaabgeordnete Holger Krahmer über die Brüsseler Bürokraten, die nun Gerät für Gerät abarbeiten, um neue Zielvorgaben aufzustellen.
Die EU-Kommission rechtfertigt die vielfältigen Vorgaben mit dem hehren Ziel des Klimaschutzes. Hinzu kommt, Europa ist mit der Regulierung nicht alleine. Japan hat deutlich früher mit Mindeststandards den Energieverbrauch gesenkt. Freilich stellt sich die Frage, ob so viel Bevormundung des Verbrauchers notwendig ist, um den Energieverbrauch zu drosseln. Wäre eine niedrigere Stromrechnung nicht Anreiz genug, vor dem nächsten Kauf eines Elektrogeräts scharf nachzurechnen? „Unterm Strich müssen die Kosten für die Neuanschaffung geringer sein als der Betrieb eines Altgerätes“, argumentiert der Abgeordnete Krahmer. „Dann greift der Verbraucher ganz von selbst zum schlausten Spargerät.“
Kritiker, die auf die Brüsseler Bürokraten einhauen, machen es sich dennoch zu einfach, war es 2007 doch die damalige große Koalition, die den entscheidenden Impuls für die Öko-Design-Richtlinie gab. Bundeskanzlerin Angela Merkel rief den Klimaschutz zum großen Thema der damaligen deutschen EU-Präsidentschaft aus. Der heutige Vize-Kanzler Sigmar Gabriel warb in seiner damaligen Rolle als Umweltminister engagiert für ein Glühbirnenverbot, kurz nachdem Australien in diese Richtung vorgeprescht war. "Der Standort Europa kann sich eigentlich keine Produkte mehr leisten, die wie herkömmliche Glühbirnen einen Effizienzgrad von nur fünf Prozent aufweisen", schrieb Gabriel damals an den EU-Umweltkommissar. Damit gab er den Anstoß für die Überarbeitung einer Richtlinie von 2005, die für energiebetriebene Produkte galt. In ihrer neuen Form war die Öko-Design-Richtlinie wesentlich breiter angelegt und schloss auch Produkte ein, die den Verbrauch von Energie beeinflussen, etwa Fenster und Isoliermaterialien. EU-Mitgliedsstaaten und Europäisches Parlament segneten das neue Regelwerk 2009 ab.
Weder aus den Hauptstädten noch aus dem Europäischen Parlament gab es damals Widerspruch, dass sich die EU-Kommission mit der Richtlinie umfassende Kompetenzen zusicherte. Über so genannte Durchführungsmaßnahmen kann die EU-Kommission nun für Produktgruppe um Produktgruppe neue Vorgaben erlassen. Mitgliedstaaten, Hersteller, Umwelt- und Verbraucherverbände sind zwar an Konsultationen beteiligt, letztendlich hat aber die Kommission das Heft in der Hand. Dies hätten Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament stoppen können – wenn sie es denn gewollt hätten.
Aus Berlin muss die EU-Kommission weiterhin keinen Widerstand erwarten. Die große Koalition findet die Öko-Design-Richtlinie so toll, dass sie ihre Unterstützung eigens im Koalitionsvertrag festgelegt hat. „Auf europäischer Ebene werden wir uns mit Nachdruck für dynamische und anspruchsvollere Standards für energierelevante Produkte im Rahmen der Öko-Design-Richtlinie einsetzen“, heißt es dort. In Berlin will man Brüssel sogar überholen: „Soweit möglich, wollen wir nationale Standards vorab setzen.“, heißt es im Koalitionsvertrag weiter.
So mancher Wahlkämpfer, der vor den Europawahlen im Mai die europäische Überregulierung anprangert, dürfte diesen Teil der Realität geflissentlich ausblenden.