
„Schlank, kompetent und schlagkräftig“ – so lautet eine der Zwischenüberschriften in Roman Herzogs neuem Buch, „Europa neu erfinden – Vom Überstaat zur Bürgerdemokratie“. Sie steht exemplarisch für seinen Anspruch. Dem Alt-Bundespräsident geht es um nichts Geringeres als die Zukunft Europas und um die der Europäischen Union – die von vielen Menschen eher als das Gegenteil wahrgenommen wird. Überstaat Europa: aufgebläht, bürokratisch, schwerfällig. Und wie sich im Fall der Ukraine zeigt: wenig schlagkräftig. Ein wirtschaftlicher Koloss, von strukturellen Problemen geplagt und außenpolitisch zahnlos.
In dem - für ein politisches Manifest - recht dünnen Buch von knapp 140 Seiten, widmet sich Herzog nicht nur den Verfehlungen der Europapolitik, sondern zeigt auch die Gründe für den aktuellen Zustand der EU auf. Mit diesem sehr lesenswerten und vor allem verständlich geschriebenen Buch zeigt Herzog dem Leser, dass es in Europa noch Menschen gibt, die den beständigen Strom an Normen, Verordnungen und Gesetzen aus Brüssel bändigen wollen. Der Bundespräsident a.D. möchte dem Kontinent zu neuer Größe verhelfen – politisch und moralisch.
Um ihre Zukunftsfähigkeit zu erhalten, müsse die EU vor allem den erarbeiteten Wohlstand erhalten und nach außen geschlossen und stark auftreten. „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“, sagte Herzog 1997 in seiner berühmten Rede. Jetzt möchte er einen Ruck für Europa. Ein solcher ist auch notwendig, wenn das Vertrauen der Bürger in die EU und ihre Organe nicht verloren gehen soll. Das ist auch der Ausgangspunkt von Herzogs Analyse. Seiner Meinung nach besteht die größte Gefahr für die Europäische Union darin, dass die Menschen sich von ihr abwenden. Bürokratie und Engstirnigkeit, gepaart mit dem viel zitierten „Demokratie-Defizit“ und einer „Normenflut“, lassen die Bürger der Union auf Abstand zu ihr gehen. Im Gegensatz dazu stehen die Mitgliedstaaten, die den Menschen viel mehr Identifizierungsmöglichkeiten bieten als die EU.





Um dem entgegen zu wirken, braucht es seiner Meinung nach eine „europäische Nation“. Von alten Dogmen hält Herzog dabei wenig: Dieses Konstrukt müsse auch nicht an einen klassischen Staat angelehnt sein. Gerade bei „transnationalen“ Gemeinschaften wären die Türen für politische Fantasie offen. Warum niemand hindurchgehen möchte, ist für Herzog unbegreiflich. Der EU fehle außerdem die Akzeptanz der Bürger, beispielsweise für die EU-Kommission, die weder vom europäischen Volk, noch vom Parlament gewählt wird. Gepaart mit den eingeschränkten Möglichkeiten des EU-Parlaments sieht Herzog, solange man Demokratie für richtig halte, „eine beträchtliche Verschlechterung der Verhältnisse.“