Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat sich sehr enttäuscht über den anstehenden Austritt der Briten aus der EU geäußert. "Diese Entscheidung ist sehr bedauerlich und sie ist in meinen Augen ein Fehler", sagte Weidmann bei einer Rede in München. Man müsste das Ergebnis des Referendums aber respektieren und damit umgehen. Die Wahl habe gezeigt, "dass es offenbar immer weniger gelingt, den Menschen die Vorteile der Europäischen Union nahezubringen oder sie für Europa zu begeistern", sagte der Bundesbank-Präsident.
Insgesamt beurteilt Weidmann den Brexit ähnlich wie seine Kollegen von der Europäischen Zentralbank (EZB). Das, was in Großbritannien passiere, sei eine "politische Krise", und müsse auch politisch gelöst werden. Weidmann sieht zwar ebenso wie EZB-Chef Mario Draghi eine leichte Bremswirkung auf die Konjunktur der Euro-Zone. Als dramatisch erachtet er die Lage aber nicht. Insbesondere für weitere expansive Maßnahmen der EZB sieht der Ökonom keinen Bedarf.
"Die Notwendigkeit einer weiteren geldpolitischen Lockerung in Reaktion auf das Brexit-Votum sehe ich im Euro-Raum nicht", sagt Weidmann laut Redetext. Die Geldpolitik sei bereits sehr expansiv ausgerichtet und eine stimulierende Wirkung sei im Expansionsfall daher fraglich. "Den wirtschaftlichen Belastungsfaktor 'politische Unsicherheit' räumt auch eine noch so lockere Geldpolitik nicht aus dem Weg", sagte Weidmann.
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
Viele Beobachter erwarten, dass nicht nur die Bank of England, sondern auch die EZB ihre ohnehin schon lockere Geldpolitik weiter ausdehnen könnten. Die EZB könnte etwa ihr Anleihekaufprogramm erneut aufstocken. Bisher hält sich Europas Zentralbank von derartigen Spekulationen allerdings fern. Auf dem Notenbankforum der EZB im portugiesischen Sintra erklärte Mario Draghi am Montagabend, dass "Traurigkeit" das Wort sei, welches seine Gefühle zum Brexit am besten beschreibe.
Geldpolitik als Pfeiler?
Sein Vize Vítor Constâncio erklärte am Mittwoch, die Notenbank habe mit ihren Maßnahmen dazu beigetragen, dass der Brexit kein zweiter Lehman-Moment geworden sei. "Unsere Politik ist ein wichtiger stabilisierender Faktor“, sagte Constâncio. Ohne die EZB und ihre Geldpolitik, so der portugiesische Volkswirt, wäre die Situation rund um den Brexit gefährlicher gewesen. Zu der Spekulation über weitere Maßnahmen erklärte der Portugiese: „Wir müssen abwarten, um zu sehen wohin sich die Dinge nach dem Brexit entwickeln“. Die EZB habe aber immer noch Instrumente, fügte Constâncio hinzu. Kommt es im EZB-Rat zur Diskussion um weitere Maßnahmen, dürfte Weidmann einmal mehr Verfechter einer ruhigen Hand sein.
Ganz spurlos dürfte der Brexit aber auch an der robusten deutschen Wirtschaft nicht vorbei gehen. Er werde der Konjunktur in Deutschland "einen Dämpfer verpassen", erklärte Weidmann. Das Vereinigte Königreich sei immerhin das drittwichtigste Exportland für die deutsche Wirtschaft. Im Euro-Raum, so der Bundesbank-Chef, könnte der Brexit ebenfalls leicht bremsen. Die EZB rechnet kurzfristig mit einem um 0,1 Prozent niedrigeren Wachstum in der Euro-Zone. In den kommenden fünf Jahren schätzt EZB-Chef Draghi, dass das Wachstum um bis zu 0,5 Prozent niedriger ausfallen könnte als ohne den Austritt.
Entscheidend für die Folgen wird sein, auf welche Form des Austritts sich die EU und Großbritannien einigen werden. "Am Aufbau von Handelshemmnissen kann keine Seite ein Interesse haben", sagte Weidmann in München. Der Ökonom räumte aber ein, dass man die Folgen eines Brexit im Moment aber noch gar nicht vollständig abschätzen könne.
Auch deshalb sieht Weidmann eine Beruhigung an den Finanzmärkten, die am Freitag nach der Entscheidung mit dramatischen Kursverlusten auf das Ergebnis des Referendums reagiert hatten. "Insgesamt haben die Finanzmärkte besonnen reagiert, Panik war nicht auszumachen", sagte Weidmann. Es sei nicht zu Verwerfungen gekommen, auch weil die Banken deutlich besser aufgestellt seien als zur Finanzkrise 2008. Von kompletter Entwarnung kann trotzdem keine Rede sein: "Der Rückgang der langfristigen Zinsen und die weitere Abflachung der Renditekurve dürfte die ohnehin belasteten Bankerträge weiter unter Druck setzen", mahnte Weidmann. Eine längere Phase erhöhter Unsicherheit sei daher gut möglich.