
WirtschaftsWoche: Herr Dombret, im Auftrag der Europäischen Zentralbank (EZB) durchleuchten Wirtschaftsprüfer derzeit die Bilanzen von 128 Banken der Euro-Zone. Müssen wir uns auf böse Überraschungen einstellen, wenn im Herbst die Ergebnisse veröffentlicht werden?
Dombret: In Deutschland sind wir bei der Bilanzprüfung gut vorangekommen, haben sie aber noch nicht abgeschlossen. Daher werde ich nicht über mögliche Ergebnisse spekulieren. Mittlerweile haben aber etliche Banken – auch hierzulande – ihr Eigenkapital gestärkt und risikobehaftete Forderungen abgebaut. Auf diese Weise haben die Banken ihre Widerstandskraft erhöht, und das begrüßen wir ausdrücklich.
Der Stresstest 2011 war ein grandioser Fehlschlag. Banken wie Dexia oder Bankia, die den Test bestanden hatten, mussten später verstaatlicht oder mit öffentlichen Geldern gerettet werden. Können wir den Ergebnissen diesmal glauben?
Alle haben aus den Fehlern gelernt. Dem Stresstest ist dieses Mal zusätzlich ein Bilanzcheck vorgeschaltet, der von der EZB verantwortet wird. Die Prüfung geht diesmal insgesamt also viel tiefer. Zwar lässt sich nicht jede einzelne Bilanzposition prüfen, aber mindestens die Hälfte – und zwar die risikoreicheren Engagements – wird durchleuchtet. Entscheidend ist, dass wir die kritischen Positionen unter die Lupe nehmen. Ich bin zuversichtlich, dass wir ein verlässliches Bild vom Zustand der überprüften Banken bekommen.
Wie funktioniert die Prüfung konkret?
Die Wirtschaftsprüfer schauen sich verschiedene Kategorien von Krediten stichprobenartig an und prüfen, ob die dafür getroffene Risikovorsorge ausreicht. Zuweilen müssen die zugrunde liegenden Annahmen der Banken dann korrigiert werden. Die Ergebnisse für die deutschen Banken werden an die BaFin und die Bundesbank geliefert, anschließend an die EZB. Die EZB übernimmt dann die europaweite Konsistenzprüfung der Ergebnisse. Dann stehen Plausibilitätsprüfungen an, bei denen verglichen wird, welche Wertberichtigungen andere Institute vorgenommen haben.
Zur Person
Dombret, 54, ist seit Mitte 2010 im Vorstand der Deutschen Bundesbank. Seit Mai 2014 verantwortet er dort die Bereiche Banken und Finanzaufsicht und das Risiko-Controlling. Davor arbeitete er 17 Jahre lang im Investmentbanking, unter anderem bei JP Morgan und Bank of America.
Sind die Bilanzprüfung und der Stresstest bis zum Herbst zu schaffen?
Eine so groß angelegte Übung in so kurzer Zeit ist natürlich eine Herausforderung. Durch den Zeitverzug aufgrund der umfangreichen Fragen der Wirtschaftsprüfer und die zum Teil verzögerte Datenlieferung der Banken lagen wir kurzfristig hinter dem Plan zurück. Die Verspätung ist größtenteils wieder aufgeholt. Wir gehen davon aus, die Bilanzprüfung und den Stresstest wie geplant abzuschließen. Die Bilanzprüfung inklusive aller Qualitätssicherungen wird bis zum 31. August abgeschlossen sein.
Zwischen der BaFin und der EZB ist ein Streit über die Vorgehensweise beim Stresstest ausgebrochen. Die BaFin kritisiert unter anderem, Sorgfalt müsse vor Schnelligkeit gehen. Teilen Sie diese Kritik?
Bei einem so schwierigen und wichtigen Projekt wie dem Stresstest ist es normal, dass es in einzelnen Punkten unterschiedliche Vorstellungen gibt. Was die Kritik der BaFin betrifft, kann ich viele Punkte nachvollziehen. Wir müssen darauf achten, dass die Bilanzprüfung und der Stresstest fair und transparent durchgeführt werden. Gerade wenn es darum geht, die Ergebnisse der beiden Übungen zu verknüpfen, sollte möglichst viel auf Grundlage konkreter Bankdaten gerechnet werden – das sieht im Übrigen auch die EZB so. Bei dem sehr engen Zeitplan ist das natürlich eine Herausforderung, der wir uns aber stellen werden.
Die drei Pfeiler der Bankenaufsicht
Die zentrale Bankenaufsicht („Single Supervisory Mechanism“/SSM) wird unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB) eingerichtet und soll am 4. November 2014 die Arbeit aufnehmen. Die EZB wird künftig die etwa 120 größten und wichtigsten Banken im Euroraum direkt überwachen. Vor dem Start durchleuchten die Aufseher deren Bilanzen und testen die Krisentauglichkeit der Institute.
Von 2016 an sollen gemeinsame Regeln zur Sanierung und - im Notfall - Schließung von Banken greifen („Single Resolution Mechanism“/SRM). Erklärtes Ziel ist, dass im Fall der Schieflage einer Bank zunächst deren Aktionäre und Sparer herangezogen werden - und nicht mehr allein der Steuerzahler. Alle Länder sollen Notfallfonds aufbauen, die sich aus Abgaben der Banken finanzieren.
Der grenzüberschreitende Schutz der Bankguthaben von Kunden ist noch Zukunftsmusik. Dagegen gibt es starken Widerstand aus vielen Staaten. Gerade die deutschen Sparkassen und Volksbanken befürchten, dass die üppig gefüllten deutschen Töpfe im Fall von Schieflagen von Instituten in anderen Euroländern geschröpft werden.
Banken müssen für Staatsanleihen kein Eigenkapital vorhalten, weil diese als risikolose Papiere eingestuft werden. Ist das angesichts der Erfahrungen mit dem Bankrott Griechenlands noch zu rechtfertigen?
Eine Lehre aus der Finanzkrise ist, dass Staatsanleihen nicht komplett risikofrei sind. Die Banken müssen jede Forderungsposition in ihrer Bilanz entsprechend dem Ausfallrisiko mit Eigenkapital unterlegen, warum also nicht auch Staatsanleihen? Mir scheint es vernünftig, mittelfristig auch hierfür Kapitalanforderungen festzulegen. Damit hätten Banken weniger Anreize, in riskante Staatsanleihen zu investieren – was wiederum die Haushaltspolitik der Staaten disziplinieren würde.
Im Vergleich zu den USA ist die Profitabilität der Banken in Europa gering. Es gibt enorme Überkapazitäten. War es ein Fehler, in Europa in der Finanzkrise nahezu jede Provinzbank zu retten, während die USA ihren Bankensektor durch Insolvenzen Hunderter kleiner Banken bereinigt haben?
Es ist sehr schwierig, die Bankenlandschaft in den USA und in Europa zu vergleichen. Das fängt schon damit an, dass in den USA die Finanzierung der Realwirtschaft zu einem großen Teil direkt über die Kapitalmärkte erfolgt. In Kontinentaleuropa hingegen finanzieren sich die Unternehmen überwiegend durch Bankkredite. Überkapazitäten herrschen in Europa zum Beispiel bei den Retailbanken. Diese aber waren in der Finanzkrise nicht das eigentliche Problem. Der entscheidende Punkt ist ein anderer: Wir müssen sicherstellen, dass systemrelevante Banken abgewickelt werden können, ohne dass das gesamte Finanzsystem zusammenbricht.