Bundespräsident Steinmeier Deutschland ist für Zukunft Europas verantwortlich

Ungewöhnlich deutlich wird der neue Bundespräsident bei seinem Besuch in Straßburg. Den Brexit nennt er bitter und warnt vor einfachen Antworten. Klare Kritik richtet er an Ungarn, und auch der US-Präsident bekommt etwas ab.

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Bundespräsident Steinmeier bei seiner Rede vor dem EU-Parlament. Quelle: REUTERS

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat vor dem EU-Parlament in Straßburg zum Zusammenhalt nach dem Brexit aufgerufen und Deutschlands Verantwortung für die Zukunft Europas hervorgehoben. Den britischen EU-Austritt kritisierte er am Dienstag als falsche und bittere Entscheidung. „Es ist falsch zu sagen, in dieser Welt könne ein europäisches Land allein und ohne die EU seine Stimme hörbar machen oder seine wirtschaftlichen Interessen besser durchsetzen“, sagte Steinmeier.

„Wir Deutsche wollen die Europäische Union zusammenhalten“, betonte Steinmeier. „Wir wollen an der gemeinsamen Zukunft in Europa bauen, gemeinsam mit unseren Partnern, den großen wie den kleinen.“ Und er warnte vor nationalen Alleingängen: „Wenn wir Europa nicht zum vollwertigen Mitspieler auf der Weltbühne machen, dann werden wir alle einzeln zum Spielball anderer Mächte“, sagte Steinmeier in seiner mit viel Beifall bedachten Rede vor den Abgeordneten.

Unverantwortlich sei es, den Menschen vorzugaukeln, Gefahren wie Terrorismus oder Klimawandel mit Mauern und Schlagbäumen bannen zu können. Gerade populistische und autoritäre Strömungen seien immer mit ganz einfachen Antworten zur Stelle. Wer demokratische Institutionen und Parlamente als Zeitverschwendung abtue und nicht mehr am Unterschied zwischen Fakt und Lüge festhalte, dem müsse der entschiedene Widerspruch der Demokraten entgegengehalten werden.

So geht Bundespräsident
Präsidenten und Paläste kennt Frank-Walter Steinmeier Quelle: dpa
Das Amt:Das Staatsoberhaupt ist das einzige Verfassungsorgan, das nur aus einem einzigen Menschen besteht - deshalb wird es auch so stark vom jeweiligen Amtsinhaber und seiner Persönlichkeit geprägt. Der Präsident verkörpere „die Einheit des Staates“, formulierte 2014 das Bundesverfassungsgericht. Die Autorität und Würde des Amtes kämen gerade darin zum Ausdruck, „dass es auf vor allem geistig-moralische Wirkung angelegt ist“. Die formalen Anforderungen: Deutscher Bürger mit Wahlrecht zum Bundestag, mindestens 40 Jahre alt. Und nebenbei ein anderer Job oder zum Beispiel ein Aufsichtsratsposten sind tabu.ARCHIV - Bundespräsident Joachim Gauck (l) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) unterhalten sich am 11.01.2016 im Schloss Bellevue in Berlin während des Neujahrsempfangs für das Diplomatische Korps. (zu dpa "Schloss, Standarte, Salär - So geht Präsident" vom 11.02.2017) Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa
Die Routine-Aufgaben:Zum Präsidenten-Alltag gehört, Bundesgesetze per Unterschrift auszufertigen und sie auch auf Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Über den Schreibtisch im Bellevue gehen Ernennungen und Entlassungen von Bundesrichtern, Bundesbeamten und Offizieren. Regelmäßig ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag der Regierung deutsche Botschafter im Ausland und nimmt Beglaubigungsschreiben neuer Botschafter in Berlin entgegen - die kommen dafür eigens in einem Präsidentenwagen samt kleiner Motorradeskorte ins Schloss. Quelle: dpa
Die besonderen Aufgaben: Seine einstigen Kabinettskollegen könnte Steinmeier Ende des Jahres bei einem herausgehobenen Termin wiedersehen. Wenn er nach der Bundestagswahl als neuer Präsident die alten Minister entlässt - und dann die künftige Regierung ernennt. Eher selten passiert es auch, dass das Staatsoberhaupt Begnadigungen ausspricht, möglich ist dies etwa für Spione und Terroristen. Beim Tod besonders verdienter Persönlichkeiten entscheidet der Präsident, ob er einen feierlichen Staatsakt, wie etwa beim verstorbenen Altbundespräsidenten Roman Herzog oder ein Staatsbegräbnis anordnet. Quelle: dpa
Die übergreifenden Aufgaben:Aus tagespolitischen Fragen hält sich der Präsident in aller Regel heraus. Damit, was er mit welchen Worten sagt, wohin er reist und wen er empfängt, setzt er trotzdem Akzente. Das zählt zur „Staatspflege“, die in die Gesellschaft ausstrahlen soll. Kleinere Gesten gehören ebenfalls dazu: Jeder Präsident entscheidet für seine Amtszeit, ob er Schirmherrschaften übernimmt. Glückwunschpost aus dem Bellevue bekommen Bürger, die ihren 100. Geburtstag oder 65. Hochzeitstag feiern können. Für siebte Kinder einer Familie übernimmt das Staatsoberhaupt eine Ehrenpatenschaft. Und verleiht auch verschiedene staatliche Orden und Auszeichnungen. Quelle: dpa
Das Schloss:Seit 1994 ist Schloss Bellevue - keine zwei Kilometer vom Kanzleramt entfernt - erster Amtssitz des Präsidenten. Der Ende des 18. Jahrhunderts errichtete Bau mit Park hat 14 repräsentative Räume. Darunter sind das Amtszimmer und der Große Saal mit Platz für Staatsbankette mit mehr als 100 Gästen. Die rund 180 Mitarbeiter des Präsidialamts arbeiten in einem separaten Neubau. Ist der Hausherr da oder im Inland unterwegs, weht auf dem Schlossdach seine offizielle Standarte. Bei Auslandsreisen wird sie mit dem Abflug eingeholt und gleich nach Landung der Maschine wieder gehisst. Zweiter Amtssitz des Präsidenten ist daneben noch die Villa Hammerschmidt in Bonn. Quelle: dpa
Das Leben:Ins Bellevue einziehen würde auch Steinmeier nicht. Als einziger wohnte Roman Herzog von 1994 bis 1999 im Schloss. Die Räume wurden umgebaut, für Präsidenten und Familie gibt es eine Dienstvilla im Südwesten Berlins. Eine Parteimitgliedschaft lässt der Präsident traditionell ruhen. Kann er nicht arbeiten, weil er schwer krank oder im Urlaub ist, stünde der Bundesratspräsident als Vertreter für dringende Amtsgeschäfte parat. Das Salär des Staatsoberhaupts wird im Bundeshaushalt festgelegt, es beträgt aktuell 227.000 Euro. Ihr Geld bekommen Präsidenten nach Ende der Amtszeit weiter - als Ruhebezüge. Quelle: dpa

In seiner ersten größeren Rede im Ausland als Bundespräsident beschwor Steinmeier das Vermächtnis der Mütter und Väter Europas. „Dieses kostbare Erbe, das dürfen wir nicht preisgeben und nicht den Gegnern Europas überlassen“, sagte er. Besonders Deutschland müsse diese Verpflichtung ernst nehmen.

„Wir wissen, was wir Europa zu verdanken haben“, betonte er vor den Abgeordneten aus 28 Ländern. „Das geeinte Europa ist die einzig gelungene Antwort auf unsere Geschichte und unsere Geografie.“ Nicht für alle, aber für die allermeisten Menschen in Deutschland sei Europa eine Herzenssache. „Wir Deutsche wollen die Europäische Union zusammenhalten.“

Steinmeier setzte sich in seiner Rede auch mit einer Äußerung von US-Präsident Donald Trump auseinander. Der hatte gesagt, die Europäische Union sei nichts anderes als „ein Mittel zum Zweck für Deutschland“. Dies sei „mindestens ein Missverständnis“, sagte der Bundespräsident. „Europas Stärke kann nicht gegründet werden auf die Führung einzelner, sondern nur auf die Verantwortung aller.“

Mit einer kritischen Bemerkung an die Adresse Ungarns erntete Steinmeier besonders kräftigen Applaus. „Wenn wir ein Leuchtturm sein wollen für Rechtsstaat und Menschenrechte in der Welt, dann darf es uns nicht egal sein, wenn dieses Fundamant im Inneren Europas wackelt“, sagte er. Dann dürfe Europa nicht schweigen, wenn etwa einer Universität in Budapest „die Luft zum Atmen genommen werden soll“. Steinmeier bezog sich auf die US-finanzierte „Central European University“ (CEU), die von der Schließung bedroht ist.

Straßburg ist nach Paris zweite Station der Serie von Antrittsbesuchen Steinmeiers. Neben einem Gespräch mit Parlamentspräsident Antonio Tajani stand auch ein Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und deutschen EU-Parlamentariern auf dem Programm. Am Freitag und Samstag besucht Steinmeier Griechenland.

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