Bundesverfassungsgericht Staatsanleihen-Aufkauf durch die EZB teilweise verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht beanstandet Staatsanleihenkäufe der EZB. Quelle: dpa

Das Bundesverfassungsgericht hat mehreren Klagen gegen die milliardenschweren Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank zur Ankurbelung von Konjunktur und Inflation seit 2015 überwiegend stattgegeben.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Im Dauer-Krisenmodus pumpt die Europäische Zentralbank (EZB) viele Milliarden Euro in die Märkte. Das Bundesverfassungsgericht beäugt die ultralockere Geldpolitik seit langem kritisch. Nun haben die Verfassungsrichter geurteilt, dass der Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB teilweise gegen das Grundgesetz verstößt. Die Begründung: Bundesregierung und Bundestag haben die EZB-Beschlüsse nicht geprüft.

Wörtlich heißt es in dem Urteil: „Bundesregierung und Deutscher Bundestag sind aufgrund ihrer Integrationsverantwortung verpflichtet, der bisherigen Handhabung der PSPP (das EZB-Aufkaufprogramm) entgegenzutreten.“ Beschwerdeführer sind unter anderen der frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler und die Ex-AfD-Politiker Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel. Eine weitere Klägergruppe wurde von dem Berliner Finanzwissenschaftler Markus Kerber vertreten.

Das Gericht stelle damit erstmals in seiner Geschichte fest, dass Handlungen und Entscheidungen europäischer Organe offensichtlich nicht von der europäischen Kompetenzordnung gedeckt seien, sagte Präsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung. Sie könnten daher in Deutschland keine Wirksamkeit entfalten. Das Urteil kommt wegen der Corona-Pandemie mit Verspätung. Zudem verkündeten wegen der Corona-Pandemie nur fünf der acht Richter des Zweiten Senats das Urteil. Dieses hat aber nicht an Brisanz verloren, denn es geht um milliardenschwere Staatsanleihenkäufe.

Zwischen März 2015 und Ende 2018 hat die EZB unter ihrem damaligen Präsidenten Mario Draghi rund 2,6 Billionen Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere investiert – den allergrößten Teil über das Programm PSPP (Public Sector Purchase Programme), um das es in Karlsruhe ging. Kurz vor Ende seiner Amtszeit setzte Draghi noch eine Neuauflage durch: Seit dem 1. November 2019 erwirbt die EZB wieder regelmäßig Wertpapiere von Staaten, zunächst in vergleichsweise geringem monatlichen Umfang von 20 Milliarden Euro.

Hauptziel dieser Geldpolitik ist ein ausgewogenes Preisniveau. Das sieht die EZB am ehesten gewährleistet, wenn die Preise im Euroraum mit seinen 19 Ländern moderat steigen. Mittelfristig wird eine Teuerungsrate knapp unter 2,0 Prozent angestrebt. Denn wenn die Preise stagnieren oder fallen, kann das Verbraucher und Unternehmen verleiten, Investitionen aufzuschieben. Das kann die Konjunktur bremsen. Über Anleihenkäufe kommt viel Geld in Umlauf, was normalerweise die Inflation anheizt.

Für die EU-Staaten bietet das den Vorteil, dass sie nicht so hohe Zinsen zahlen müssen. Wenn eine Zentralbank als großer Käufer am Markt auftritt, kommen sie günstiger an frisches Geld. Die Karlsruher Kläger halten die Anleihenkäufe für verbotene Staatsfinanzierung: Hochverschuldete Länder würden noch zum Schuldenmachen animiert, Reformen durch die Geldschwemme gebremst. Deutschland bezahle indirekt die Rettung klammer Staaten und maroder Banken in Südeuropa. Denn die Bundesbank ist mit etwas mehr als 26 Prozent größter EZB-Anteilseigner. Bislang zahlen sich die Käufe für die Notenbanken aus: Die Zinserträge steigern ihren Gewinn.

Sowohl Lockdown-Hardliner wie Öffnungsjünger liegen falsch. Beide überfordern den Staat. Ohne mehr Eigenverantwortung geht es nicht.
von Beat Balzli

Grundsätzlich gilt: Die Notenbank ist politisch unabhängig. Das war vor allem den Deutschen bei der Gründung 1998 wichtig. Doch die parlamentarische Kontrolle fehlt – und das bereitet den Verfassungsrichtern Unbehagen. Für sie ist die Situation nur akzeptabel, solange sich die EZB auf die ihr zugewiesenen Kompetenzen beschränkt. Und der Zweite Senat unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hat die EZB seit längerem in Verdacht, nicht nur Staatsfinanzierung, sondern auch Wirtschaftspolitik zu betreiben.

Nun konnten die Karlsruher Richter diesem Pfad der Geldpolitik erstmals einen Dämpfer versetzen. Mit ihrem Urteil stellen sich die Verfassungsrichter gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser hatte dem Kaufprogramm im Dezember 2018 gegen massive Bedenken aus Karlsruhe seinen Segen erteilt. Diese Vorabentscheidung aus Luxemburg sei „schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar“, hieß es in der Entscheidung der deutschen Verfassungsrichter.

Ökonomen rechnen allerdings nach der Entscheidung der Bundesverfassungsgerichts nicht mit einem Ende der milliardenschweren Staatsanleihenkäufen der Europäischen Zentralbank (EZB). Das Gericht halte den Druck auf die europäische Geldpolitik aufrecht, ohne aber „das schärfste Schwert der unmittelbaren Untersagung einer Teilnahme der Bundesbank zu schwingen“, sagte Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater in Frankfurt. Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer werden Europas Währungshüter ihr Anleihenkaufprogramm fortsetzen. „Das ist zwar ein Affront gegen die EZB. Aber mit ihrer Armada an Ökonomen und Juristen kann die EZB eine solche Prüfung problemlos bewältigen“, argumentierte Commerzbank-Ökonom Krämer.

Nach Einschätzung von Ifo-Präsident Clemens Fuest engt die Entscheidung jedoch die Spielräume der EZB ein, hoch verschuldete Mitgliedstaaten im Euroraum durch Anleihenkäufe zu unterstützen. „Dadurch erhöht sich der Druck auf die Regierungen des Euroraums, Hilfen für einzelne Mitgliedstaaten über die Fiskalpolitik bereitzustellen, statt sich auf die EZB zu verlassen.“ ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann sieht die Wirkung des Urteils vor allem in der Zeit nach der Coronakrise. „Die Botschaft, dass kein Euro-Staat darauf bauen kann, eine staatliche Überschuldung mit Hilfe der Zentralbank zu lösen, wird für die Eurozone in den kommenden Jahren eine große Bedeutung haben.“

Folgen für die EZB-Coronahilfen?

Laut den Karlsruher Richtern betreffe das Urteil nicht die aktuellen EZB-Beschlüsse anlässlich der Coronakrise. Um die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abzufedern, investiert die EZB bis Jahresende im Rahmen der laufenden Kaufprogramme 120 Milliarden Euro zusätzlich. Dieses Geld soll vor allem in Unternehmenspapiere fließen. Zudem steckt die EZB 750 Milliarden Euro über ein Notprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme/PEPP) in Staats- und Unternehmensanleihen. Dieses soll solange laufen, bis der EZB-Rat die Krise für bewältigt hält – mindestens bis Ende 2020. Und die Währungshüter sagen, sie seien „ohne Einschränkung bereit, den Umfang ihrer Kaufprogramme zu erhöhen und deren Zusammensetzung anzupassen – und zwar so viel und so lange wie nötig“.

Mehr zum Thema

Die Europäische Zentralbank schenkt den Banken noch mehr Geld als zuvor. Damit bahnt sich eine Kredit-Bonanza an, die mittelfristig zu höherer Inflation führt. Die offene Geldschleuse lässt die Kaufkraft abfließen, warnt WiWo-Redakteur Malte Fischer. Lesen Sie hier seinen Kommentar.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%