
Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am Dienstag erneut über zentrale Elemente der Euro-Rettungspolitik der Europäischen Zentralbank. Dabei geht es am Dienstag um das OMT ("Outright Monetary Transactions") genannte Programm zum notfalls unbegrenzten Ankauf von Anleihen kriselnder Euro-Staaten.
Die EZB hatte das Programm, das bisher noch nie angewendet wurde, 2012 auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise in Aussicht gestellt. Der Beschluss hatte damals in Deutschland heftige Kritik und Tausende Klagen von Bürgern ausgelöst. Der Vorwurf lautet, die EZB würde ihr Mandat überziehen und im Zweifelsfall Krisenstaaten über die Notenpresse finanzieren.
Die EZB vorm Bundesverfassungsgericht
Im Kern geht es um das historische Versprechen von EZB-Präsident Draghi aus dem Sommer 2012. Als die Eurozone vor der Zerreißprobe stand, erklärte der Italiener: „Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten.“ Wenig später beschloss die Notenbank, unter bestimmten Bedingungen notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten zu kaufen. Dieses Kaufprogramm mit dem Namen „Outright Monetary Transactions“ (OMT) beschäftigt die Juristen bis heute.
Nein. Kritiker werfen der Notenbank dennoch vor, sie habe mit dem OMT-Beschluss ihre Kompetenzen überschritten. Über Anleihenkäufe finanziere die EZB letztlich Staatsschulden mit der Notenpresse. Das mache die Notenbank abhängig von den jeweiligen Staaten und gefährde ihre Unabhängigkeit. Zudem lähme es die Reformbereitschaft, wenn sich Regierungen darauf verließen, dass es notfalls die EZB richten werde.
Das höchste deutsche Gericht kam Anfang 2014 zu dem Schluss, die EZB habe mit dem OMT-Beschluss ihre Kompetenzen überschritten. Laut EU-Vertrag dürfe sie keine eigenständige Wirtschaftspolitik betreiben. Zudem verstoße der OMT-Beschluss gegen das Verbot der Mitfinanzierung von Staatshaushalten. Zur Klärung von EU-Recht gab Karlsruhe das Thema aber an den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Der EuGH entschied: Grundsätzlich darf die EZB zur Euro-Rettung Staatsanleihen kaufen. Das OMT-Programm aus dem Sommer 2012 sei rechtmäßig: „Das Programm überschreitet nicht die währungspolitischen Befugnisse der EZB und verstößt nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten.“ Die Schritte der Notenbank müssten jedoch verhältnismäßig und gut begründet sein und dürften keine wirtschaftspolitische Maßnahme sein. Insgesamt wurde der Gerichtshof seinem Ruf gerecht, eher großzügig zu sein, wenn es um Kompetenzen von EU-Institutionen geht. Bisher hatten die Luxemburger Richter keine Einwände gegen Rettungsbemühungen in der Euro-Schuldenkrise.
Nein, denn der EuGH entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Auf Basis des EuGH-Urteils haben die deutschen Richter nun zu bewerten, ob die Anleihenkäufe verfassungsgemäß sind. 2014 hatten sie mitgeteilt, ob der OMT-Beschluss der EZB mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sei, könne letztlich erst geklärt werden, wenn der EuGH die vorgelegten Fragen beantwortet habe. Ein Urteil wird frühestens in einigen Monaten erwartet.
Volkswirte fordern, das Bundesverfassungsgericht solle sein Urteil zumindest dazu nutzen, deutsche Vorbehalte festzuschreiben. „Wir sind dafür, dass das Bundesverfassungsgericht ein Signal nach Luxemburg und Frankfurt sendet, dass man nicht einfach machen kann, was man will“, betont der Wirtschaftsweise Lars Feld. Durch eine Begründung, die von der Pro-EZB-Entscheidung des EuGH abweicht, könnte sich Deutschlands höchstes Gericht auf nationaler Ebene die Kontrolle über künftige EZB-Maßnahmen zur Euro-Rettung vorbehalten. Beobachter halten eine solche Kompromiss-Linie für durchaus wahrscheinlich. Dass Karlsruhe das EuGH-Urteil komplett verwirft, wird nicht erwartet.
Direkt nichts. Denn es geht nicht um die Anleihenkäufe, die seit dem 9. März 2015 laufen („Quantitative Lockerung“ oder englisch „Quantitative Easing/QE“). Doch weil auch gegen dieses aktuelle Programm bereits eine Verfassungsbeschwerde vorliegt, wird die Karlsruher Entscheidung mit Spannung erwartet. Beim QE-Programm investiert die EZB monatlich 60 Milliarden Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere - und das bis mindestens März 2017. Wichtiger Unterschied zum OMT-Programm: Das Geld fließt nicht nur in Papiere von Krisenstaaten, sondern in Anleihen aus dem gesamten Euroraum. Das frische Zentralbankgeld soll über Geschäftsbanken als Kredit bei Unternehmen und Verbrauchern ankommen. Das könnte Investitionen und Konsum anschieben und soll so auch die Inflation anheizen.
Zu Beginn der mündlichen Verhandlung erklärte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, das Bundesverfassungsgericht wolle zentrale Elemente der Euro-Rettungspolitik der EZB nochmals unter die Lupe nehmen. Ziel des Gerichts sei es, "ein langes Verfahren zum Abschluss zu bringen". Mit einem Urteil der Karlsruher Richter ist allerdings erst in mehreren Monate zu rechnen.
Weidmann gegen Mersch
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, einer der OMT-Kritiker, hat vor dem Bundesverfassungsgericht seine Vorbehalte gegen den Kurs der EZB bekräftigt. Bei Staatsanleihenkäufen unter OMT würden die Risiken vollständig vergemeinschaftet und letzten Endes auf die Steuerzahler verteilt, sagte Weidmann. Zwar sei eine Anwendung von OMT durch die aktuellen Anleihenkäufe der Notenbank unwahrscheinlicher geworden. An sich seien beide Programme aber auch parallel zueinander vorstellbar, sagte Weidmann.
Verteidigt wurde das Programm von EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch. Allein die Ankündigung habe die Situation verbessert. „Heute ist der Euroraum in einem langsamen, aber stetigen Aufschwung“, sagte Mersch. Der EZB-Rat habe zudem Vorkehrungen getroffen, um die mit dem Programm verbundenen Risiken zu begrenzen. Mersch sagte aber auch: „Eine Währungsunion ist eine Haftungsgemeinschaft.“ Der Notenbank müsse es möglich bleiben, über geldpolitische Maßnahmen unabhängig zu entscheiden.
Karlsruhe gegen den EuGH
Die Verfassungsrichter hatten sich bereits 2013 mit OMT befasst. Sie hatten aber dann 2014 überraschend das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Klärung vorgelegt.
Die Rolle der EZB nach dem Maastricht-Vertrag
Artikel 104 (1) Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der EZB oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (...) für Organe oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die EZB oder die nationalen Zentralbanken.
Artikel 104 b (1) Die Gemeinschaft haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein. (...)
Artikel 107 Bei der Wahrnehmung der ihnen durch diesen Vertrag und die Satzung des ESZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die EZB noch eine nationale Zentralbank, noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen.
Artikel 105 (1) Das vorrangige Ziel des ESZB (Europäisches System der Zentralbanken, d. Red.) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft, um zur Verwirklichung der in Artikel 2 festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen.
Der erteilte der EZB mit seinem Urteil im vergangenen Juni einen weitgehenden Freifahrtschein für OMT. Interessant dürfte deshalb werden, wie die Verfassungsrichter mit dem Urteil aus Luxemburg umgehen und ob sie ihre Bedenken ausreichend berücksichtigt sehen. Denn für sie ist entscheidend, ob OMT mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Die Richter in Karlsruhe stehen damit vor einer schwierigen Entscheidung. Geben sie der Entscheidung des EuGH statt, bliebe es beim Freifahrtschein für die EZB. Das Signal: alles geht, die Sorgen um eine verdeckte Staatsfinanzierung sind unbegründet. Insbesondere Ordnungspolitiker halten das für fatal. Andersherum würden die Karlsruher Richter aber auch viel Porzellan zerschlagen, wenn sie sich mit dem EuGH überwerfen würden.
Es bestünde das Risiko, dass andere nationale Gerichte in anderen Verfahren einen ähnlichen Weg wählen würden und dem EuGH nicht mehr folgen. Angesichts der ohnehin schon fragilen Lage Europas wäre es fatal, wenn es künftig zu immer mehr Alleingängen kommen würde.
Führende deutsche Wirtschaftsexperten hatten den Verfassungsrichtern deshalb kürzlich empfohlen, dem EuGH-Urteil zwar im Ergebnis zu folgen - nicht aber in der Begründung. Auf diese Weise könnten diese ihre Bedenken zum Ausdruck bringen, ohne dass ein harter Bruch mit dem EuGH die Folge wäre. So würde sich das Verfassungsgericht auch eine Prüfung künftiger EZB-Schritte vorbehalten.