




Wenige Stunden vor Schließung der Wahllokale in Großbritannien steigt die Spannung: Experten erwarten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem konservativen Premierminister David Cameron und seinem Herausforderer Ed Miliband von der Labour-Partei. Ohne klare Mehrheiten im 650 Mitglieder starken Unterhaus könnten kleinere Parteien zum Zünglein an der Waage werden. Die Wahllokale schließen am Donnerstag um 23.00 Uhr (MESZ). Direkt im Anschluss werden erste Prognosen erwartet.
Die meisten Ergebnisse sollen in den dann kommenden Stunden am frühen Freitagmorgen veröffentlicht werden. Sollte es keine klaren Mehrheitsverhältnisse geben, könnte die Regierungsbildung danach Wochen in Anspruch nehmen. In Großbritannien hat rund 64 Millionen Einwohner, 50 Millionen waren für die Wahl registriert. Es deutete sich eine hohe Wahlbeteiligung an.
Wahl des Unterhauses
Wahllokale
Um 7:00 Uhr (Ortszeit) öffnen die etwa 50.000 Wahlbüros in ganz Großbritannien ihre Pforten. Eine Stimmabgabe ist bis 22 Uhr möglich. Dann schließen die Lokale und die Auszählung beginnt. Mit einem Ergebnis ist frühestens Freitagmittag zu rechnen.
Wahlsystem
In Großbritannien gilt das sogenannte Mehrheitswahlrecht. Das bedeutet dass der Kandidat gewinnt, der die meisten Stimmen im Wahlkreis hat. Es finden 650 Einzelwahlen statt, aus denen jeweils ein Sieger hervorgeht. Die für die anderen Kandidaten abgegeben Stimmen verfallen.
Hochrechnungen
Im Mehrheitswahlrecht ist die Prozentzahl nicht konstitutiv für die Zahl der Sitze. Anstelle von Hochrechnungen wird mit Schließung der Wahlbüros eine Prognose abgegeben, bevor dann die Stimmen ausgezählt werden.
Stimmbezirke
England ist mit 533 Wahlkreisen am stärksten vertreten. Gefolgt von Schottland mit 59, Wales mit 40 und Nordirland mit 18 Wahlkreisen. Obwohl die geografische Größe der Nationen sich stark voneinander unterscheidet, erreichen alle vertretenen Wahlkreise etwa 70.000 Wähler.
Mehrheit
Rein rechnerisch wird mit 326 Stimmen bei insgesamt 650 Abgeordneten im Unterhaus eine Mehrheit erreicht. Experten gehen jedoch davon aus, dass der zukünftige Premierminister nur 323 Stimmen benötigen wird. Der sogenannte Speaker (Parlamentssprecher) ist nicht stimmberechtigt.
Wahlbeteiligung
Bei der Unterhauswahl im Jahr 2010 haben 29,7 von insgesamt 45,6 Millionen Registrierten ihre Stimme abgegeben. Wie die Wahlbeteiligung in diesem Jahr ausfallen wird, bleibt abzuwarten. Etwa 30 von 64 Millionen Bürgern sind zur Wahl berechtigt.
Regierungsbildung
Im Normalfall bildet die stärkste Partei mit der absoluten Mehrheit die Regierung. Dass bedeutet, dass auch die Partei, die nach Wählerstimmen nur zweite oder dritte geworden ist, die Regierung stellen kann. Sollte der amtierende Premier nicht mehr kandidieren wollen, muss er bei der Queen höchstpersönlich seinen Rücktritt einreichen.
Regierungschef Cameron kämpft um seine Wiederwahl und damit um sein politisches Überleben. Er verwies im Wahlkampf vor allem auf die guten Wirtschaftsdaten, rückläufige Arbeitslosenzahlen und niedrige Zinsen. Darüber hinaus spielte das von Cameron versprochene Referendum über einen möglichen EU-Austritt Großbritanniens eine zentrale Rolle. Im Fall einer Niederlage muss er wohl auch den Vorsitz der Tories abgeben.
Labour versprach nach fünf Jahren eines strikten Sparkurses in den öffentlichen Haushalten eine Kurskorrektur. Miliband will Etateinschnitte abmildern, Steuern für die Reichen anheben und die Rechte geringverdienender Arbeiter schützen.
Die Liberaldemokraten, bisher Koalitionspartner der Konservativen, hoffen erneut auf die Rolle als Königsmacher. Ihr Chef Nick Clegg sagte, sowohl Cameron als auch Labour-Spitzenkandidat Miliband machten sich etwas vor, wenn sie sagten, alleine regieren zu können. Seine Partei sei die einzige, die eine „chaotische, instabile Minderheitsregierung“ verhindern könne.
Die Spitzenkandidaten gaben ihre Stimme bereits kurz nach Öffnung der Wahllokale ab. Cameron ging gemeinsam mit seiner Frau Samantha in seinem Wahlkreis in Oxfordshire an die Urnen. Miliband und seine Frau Justine wählten in Doncaster North in Nordengland. Rechtspopulist Nigel Farage von der U.K. Independence Party gab seine Stimme in South Thanet ab. Auch die Chefin der Schottischen National-Partei, Nicola Sturgeon, ging schon früh ins Wahllokal.





Sie bemüht sich selbst nicht um einen der 650 Sitze im Unterhaus, doch werden ihrer Partei große Zugewinne vorhergesagt. Das könnte die SNP zum Zünglein an der Waage machen.
Auch die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt tauchte in einem britischen Wahllokal auf - allerdings ohne eine Stimme abzugeben. In einem YouTube-Video war sie mit ihrem Mann Stephen Kinnock, einem Labour-Kandidaten für den Wahlbezirk Aberavon in Wales, zu sehen. Danach gefragt, wie es sei, einen Mann zu haben, der im Parlament eines anderen Landes sitze, sagte sie, sie sei glücklich für ihn, weil er einen harten Wahlkampf geführt habe. „Heute bin ich nur stolz.“ Ihr Mann und sie seien sehr gespannt auf das Ergebnis.