CETA und TTIP Die große Angst vor dem Freihandelsabkommen

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Deutschland auf der Anklagebank

Das können auch unabhängige Experten nachvollziehen. „Die Sorge der Bürger ist berechtigt, weil sie nicht wissen, worüber im Einzelnen gesprochen wird“, sagt Markus Krajewski. Er ist Professor für Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Erlangen und verfasste im Auftrag der globalisierungskritischen Grünen einige Gutachten über TTIP und CETA. Dass der Aufschrei in der Öffentlichkeit so groß ist, verwundert Krajewski aber.

Seit den Neunzigerjahren beschäftigt er sich mit solchen Handelsabkommen. „Eine derart intensive Auseinandersetzung und so viel Öffentlichkeit gab es noch nie.“ Den Umschwung führt er zurück auf das besondere Verhältnis zu den Amerikanern. „Ein Freihandelsabkommen mit den USA wird gesellschaftspolitisch kritischer wahrgenommen als eines mit Südkorea.“

Wohl wahr: Das EU-Handelsabkommen mit Südkorea trat 2011 in Kraft. In der Öffentlichkeit wurde es allerdings nicht weiter beachtet. 

Ein weiterer Grund sei die so genannte Investitionsschutzklausel. „Die Klage von Vattenfall und die Tatsache, dass diese Klage sich gegen den deutschen Atomausstieg richtet, hat die umweltpolitische Szene mobilisiert“, sagt Christoph Scherrer. Der Volkswirt der Uni Kassel beschäftigt sich vor allem mit Handelsabkommen.

Unternehmen umgehen die nationale Gerichtsbarkeit

Diese Investitionsschutzklausel funktioniert wie folgt: Falls ein Unternehmen Investitionen durch den Staat gefährdet sieht, kann es die nationale Rechtsprechung umgehen - und den Staat vor unabhängigen Schiedsgerichten auf Schadensersatz verklagen.

Diese Schiedsgerichte sind eine deutsche Erfindung. 1959 wollten deutsche Konzerne ihre Investitionen in Pakistan absichern, allerdings trauten sie den dortigen Gerichten nicht. So  vereinbarte Pakistan mit der Bundesregierung, dass deutsche Unternehmen vor Schiedsgerichten klagen konnten, wenn sie sich benachteiligt wähnten. Die Verhandlungen waren stets geheim.

An den heutigen Schiedsgerichten sitzen drei Richter: Sie sind meist private Anwälte, ehemalige Richter oder Rechtsprofessoren - die vom klagenden Unternehmen und vom beklagten Staat bestimmt werden. Kritiker monieren, dass die Öffentlichkeit von diesen Verhandlungen ausgeschlossen ist - auch der Schiedsspruch werde nur selten veröffentlicht.

Den Realitätscheck sieht man derzeit in Deutschland. Das schwedische Energieunternehmen Vattenfall will für den deutschen Atomausstieg entschädigt werden und klagt auf fast vier Milliarden Euro.

Der Hintergrund: Die Bundesregierung hatte wenige Wochen vor dem Atomausstieg eine Verlängerung der Laufzeit einiger Atomkraftwerke beschlossen – woraufhin Vattenfall Geld in die Erneuerung eines Atomkraftwerks investierte. Nach dem Ausstieg war die Investition wertlos.  

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