




Wie geht Satire nach einem Blutbad in der eigenen Redaktion? „Kompromisslos“, kündigt Redaktionsmitglied Patrick Pelloux an. Die Überlebenden von „Charlie Hebdo“ haben eine neue Ausgabe des französischen Satiremagazins fertig. An diesem Mittwoch, sieben Wochen nach dem Terroranschlag auf die Redaktion mit zwölf Toten soll wieder ein reguläres Exemplar erscheinen.
„Charlie beginnt seine Arbeit, gegen die Dummheit, gegen die FN“, sagte der als Luz zeichnende Rénald Luzier der Zeitung „Libération“ mit Blick auf die weiter erstarkende rechtsextreme Front National. Von Luz stammt wieder das Titelbild. Die Botschaft ist auch dort zu finden: „Es geht wieder los“. Die Karikatur zeigt eine Meute von Hunden mit Gesichtern von FN-Chefin Marine Le Pen, Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, einem bewaffneten Islamisten oder Papst Franziskus, die allesamt einen kleinen Köter hetzen. Die Mischung aus Struppi und Idefix jagt mit einem „Charlie Hebdo“-Exemplar im Maul davon. „Ich wollte beim Zeichnen zurück zur fröhlichen Kritik von „Charlie Hebdo““, interpretierte Luz seine Karikatur im Sender France Info.
Heft eins nach dem Terror kam einem Ausrufezeichen gleich. Sieben Tage nach dem blutigen Anschlag von zwei Islamisten produzierten die Überlebenden eine Ausgabe, die in jeder Hinsicht Geschichte schreiben sollte. Lange Schlangen an Kiosken, tagelang immer wieder ausverkauft, weltweit nachgefragt: knapp acht Millionen mal wurde das Heft mit der inzwischen berühmten Luz-Karikatur eines um die Opfer weinenden Mohammed mit „Je suis Charlie“-Schild gedruckt.
Danach gab es blutige Proteste in Teilen der islamischen Welt, weil der Prophet angeblich nicht gezeichnet werden darf. Noch immer wird die Redaktion von „Charlie Hebdo“ bedroht, mit dem Anschlag von Kopenhagen wurde die Gefahr erneut augenscheinlich. „Das war wie ein Schlag ins Gesicht“, beschrieb Luz die Wirkung.
Die wichtigsten Fakten zu "Charlie Hebdo"
Die französische Satire-Zeitung im Zentrum des Terroranschlags von Paris arbeitet mit Provokationen: „Charlie Hebdo“ macht sich über Päpste und Präsidenten lustig - und auch über den Propheten Mohammed. Die Wochenzeitung, die am Mittwoch einem Angriff mit mindestens zwölf Toten zum Opfer fiel, rief mit Karikaturen des hoch verehrten Propheten in der islamischen Welt immer wieder Empörung hervor.
Im November 2011 waren die Büros der Zeitung Ziel eines Brandbombenangriffs, nachdem sie eine Ausgabe publiziert hatte, in der Mohammed „eingeladen“ wurde, ihr Gastredakteur zu werden. Auf der Titelseite: eine Karikatur des Propheten.
Ein Jahr später veröffentlichte die Zeitung inmitten der Aufregung über einen islamfeindlichen Film weitere Mohammed-Zeichnungen. Die Karikaturen stellten Mohammed nackt und in erniedrigenden oder pornografischen Posen dar. Während die Emotionen hochkochten, nahm die französische Regierung die Redefreiheit in Schutz. Gleichzeitig warf sie „Charlie Hebdo“ vor, Spannungen zu schüren.
Die Zeitung mit niedriger Auflage tendiert politisch betrachtet zum linken Spektrum. Sie ist stolz, mit Karikaturen und parodierenden Berichten Kommentare zum Weltgeschehen abzugeben. „Wir gehen mit den Nachrichten wie Journalisten um“, sagte ein Karikaturist mit Namen Luz 2012 der Nachrichtenagentur AP. „Einige nutzen Kameras, einige nutzen Computer. Für uns ist es ein Papier und Bleistift“, sagte er. „Ein Bleistift ist keine Waffe. Er ist einfach ein Äußerungsmittel“, meinte er.
Chefredakteur Stéphane Charbonnier, der bei dem Anschlag am Mittwoch getötet wurde, hatte die Mohammed-Karikaturen ebenfalls verteidigt. „Mohammed ist mir nicht heilig“, sagte er 2012. „Ich mache Muslimen keine Vorwürfe dafür, dass sie nicht über unsere Zeichnungen lachen. Ich lebe unter französischem Gesetz“, ergänzte er. „Ich lebe nicht unter Koran-Gesetz.“
Eine von Charbonniers letzten Karikaturen, die in der dieswöchigen Ausgabe von „Charlie Hebdo“ veröffentlicht wurde, scheint in Anbetracht der Ereignisse wie eine unheimliche Vorahnung. „Noch immer keine Anschläge in Frankreich“, sagte ein Extremisten-Kämpfer darin. „Warte - wir haben bis Ende Januar, um unsere Neujahrswünsche vorzubringen.“
Die Terroristen von Paris haben das ihnen verhasste Blatt vom finanziellen Sorgenkind zum Krösus werden lassen: Die Solidaritätswelle nach der Anschlagserie mit insgesamt 17 Toten hat „Charlie Hebdo“ über Verkäufe, Abos und Spenden rund 30 Millionen Euro in die Kasse gespült. Die Zahl der Abonnenten stieg auf mehr als 200.000. Zeitweilig konnten Abo-Anfragen nicht mehr bearbeitet werden. Von der früheren Auflage von 60 000 wurden gerade mal rund 30.000 Exemplare verkauft. Das neuen Heft wird zunächst 2,5 Millionen Mal gedruckt.
Mitarbeiter Pelloux twitterte zum Redaktionsschluss der neuen Ausgabe, das Heft sei „in sehr guter Atmosphäre“ entstanden: „Das wird eine exzellente und kompromisslose Nummer.“ Zuvor hatte Pelloux im Sender France 5 trotz aller Trauer den Aufbruch beschrieben: „Das Journal muss wie jedes andere auch weitermachen, weil das Leben weitergeht, die Ereignisse weitergehen.“ Die Redaktion könne sich nicht zum Heulen in die Ecke zurückziehen: „Das ist ein satirisches Journal, das witzig ist, wir müssen lachen über alltägliche Dinge.“
Die Wege um die alte Redaktion gleichen noch immer einem Meer aus Kerzen, Schildern, Blumen. Es gibt viele Stifte, Symbol eines konsequenten und friedlichen Widerstands gegen Mörderbanden. Bis heute kommen Menschen für einen Moment des Gedenkens in die kleine Straße im elften Arrondissement von Paris. Das jüngste Heft wurde wieder in den Räumen der „Libération“ produziert. Eine neue Bleibe gibt es derzeit nicht. Die Redaktion sucht noch ihren Platz für die Zukunft.