Chefvolkswirt Philip Lane Lagardes Einflüsterer bei der EZB

Wird über die Lager der Notenbanker hinweg geschätzt: Philip Lane, der neue Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank Quelle: imago images

Der Französin gehören als designierter Präsidentin der Europäischen Zentralbank die Schlagzeilen. Geldpolitisch wird aber Chefvolkswirt Philip Lane die zentrale Rolle haben. Der Ire hat seinen Kurs schon klargemacht.

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Wenn die designierte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am 1. November ihren Arbeitsplatz im Frankfurter Ostend einnimmt, wird ihr wichtigster Mitarbeiter schon da sein. Anfang Juni hat Philip Lane den Job des Chefvolkswirtes bei der Europäischen Zentralbank übernommen. Unter der Juristin Lagarde wird die Rolle des Chefvolkswirts noch zentraler, als sie ohnehin schon ist.

Geldpolitisch steht der Ire ganz in der Tradition des scheidenden EZB-Präsidenten Mario Draghi. Das machte der 49-Jährige Anfang Juli in seiner ersten Rede deutlich. Bei einer Konferenz der finnischen Notenbank in Helsinki bezeichnete Lane unkonventionelle Maßnahmen wie das bei 2,6 Billionen Euro verstetigte Anleihekaufprogramm und den negativen Einlagezins als „effektive Antwort“ der EZB auf die wirtschaftliche Situation der Eurozone. Wenn nötig, werde die Notenbank ihre expansive Geldpolitik noch ausweiten.

von Karin Finkenzeller, Malte Fischer, Julian Heißler, Stefan Reccius, Christof Schürmann, Silke Wettach

Schon am 25. Juli könnte es so weit sein. Dann kommt der Rat der EZB zu seiner nächsten Sitzung in Frankfurt zusammen. Wenn die 25 Mitglieder im 41. Stock des EZB-Turms mit Blick über den Main zusammenkommen, sitzt der Chefvolkswirt stets mit am ovalen Konferenztisch.

Er präsentiert, was sein 310 Mitarbeiter umfassender Stab vorbereitet hat. Er schlägt vor, wie die Geldpolitik anzupassen sei. Darüber stimmen dann die versammelten Notenbanker der 19 Eurostaaten und die sechs Mitglieder des Direktoriums ab.

Von Gegnern geschätzt

Die nötige Autorität, um sich in diesem Gremium voller nationaler und persönlicher Eitelkeiten Gehör zu verschaffen, bringt Lane mit. Obwohl er sich als geldpolitische Taube profiliert, ist er auch unter Vertretern des anderen Lagers als kluger Analytiker wohl gelitten. Selbst Notenbanker, die dezidiert eine weniger expansive Geldpolitik vertreten, schätzen den Iren als „volkswirtschaftliches Schwergewicht“ mit „scharfem ökonomischem Verstand und guten theoretischen Kenntnissen“.

Philip Lane hat einen Doktor in Ökonomie von der Universität Harvard. Titel seiner Promotion: „Essays in International Macroeconomics“. Er gilt als zurückhaltend, Fachgespräche im kleinen Kreis zieht er der großen Bühne vor.

Rollenvorbild Otmar Issing

Nun sitzt er an der wohl wichtigsten Schaltstelle im Euroraum. Die Machtfülle des Chefvolkswirts geht auf den Deutschen Otmar Issing zurück. Der heute 83-Jährige war der erste Vertreter dieser Zunft in der EZB – und der wohl einflussreichste.

Zwangsläufig, wie Issing 20 Jahre später betont: „Es war ja nichts da, nichts eingespielt, da war Grüne Wiese.“ Mit Wim Duisenberg, dem ersten Präsidenten der Europäischen Zentralbank, habe ihn ein „sehr enges Vertrauensverhältnis“ verbunden.

Vieles, was das Duo Duisenberg/Issing damals etablierte, hat bis heute Bestand: Die Zwei-Säulen-Strategie als Kompromiss in der Herleitung der Geldpolitik aus Konjunkturentwicklung und Geldmenge sowie die Definition der Preisstabilität als Inflationsrate von unter zwei Prozent im Jahresschnitt gehen auf Issing zurück; außerdem eine sechswöchige Analyse zur Situation im Euro-Währungsgebiet; die Pressekonferenzen, auf denen der Präsident die Beschlüsse des EZB-Rats darlegt; und natürlich die Choreographie der Ratssitzungen zur Geldpolitik.

Unter Issing stimmten die versammelten Notenbanker am Ende dem zu, was der Deutsche aus seinem Vortrag an geldpolitischen Maßnahmen ableitete. Anfangs war die Datenlage dürftig, Informationen zur Konjunktur im Euroraum spärlich und unsicher.

Steuermann im Hintergrund

Heutzutage ist der Chefvolkswirt nicht zuletzt Interpret der Projektionen zur wirtschaftlichen Entwicklung im Euroraum, Mittler zwischen abstrakter Statistik und praktischer Zinspolitik. „Der Chefvolkswirt kann dem Rat nicht einfach ein wissenschaftliches Papier vorlegen, er muss Wissenschaft in geldpolitische Vorschläge übersetzen“, sagt Issing.

Was nicht ausschließt, dass der Chefvolkswirt die geldpolitischen Hebel bedient, im Gegenteil. Fast alles, was er als EZB-Präsident verkündet habe, betonte Mario Draghi unlängst, stamme aus der Feder von Peter Praet – Lanes Amtsvorgänger.

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