Christian Kern "Die schwarze Null hat einen Preis"

Österreichs Kanzler Christian Kern fordert eine neue Debatte über die Flüchtlingspolitik. Und er rät Europa, selbstbewusst auf Donald Trump und den Brexit zu reagieren.

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Österreichs Kanzler Christian Kern fordert eine neue Debatte über die Flüchtlingspolitik. Quelle: imago images

WirtschaftsWoche: Herr Bundeskanzler, wie viel Revolution muss ein Regierungschef in Zeiten grassierender Systemunzufriedenheit leisten, um die Erwartungen der Wähler zu erfüllen?
Christian Kern: Ich denke, eine gehörige Portion. Was wir jetzt erleben, ist eine Entwicklung, die kann man nicht mehr mit Ruhe und Gelassenheit zur Kenntnis nehmen. Es steht viel auf dem Spiel. Wir erleben doch eine massive Polarisierung zwischen nationalistischen, uralten Rechten und einer wirtschaftsfeindlichen extremen Linken. Dazwischen wird der Platz für vernünftige Politik immer geringer. Die politische Mitte muss deswegen disruptiver denken. Es gibt kein Hegemoniekonzept des Zentrums derzeit, das muss aber her.

Wir fragen, weil Donald Trump in den USA sich gerade anschickt, keinen Stein der westlichen Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft auf dem anderen zu lassen – und die Briten mal eben den harten Schnitt mit Europa verkünden. Gibt es noch Raum für vernünftige Politik?
Das mit Theresa May ist ja interessant. Ich habe die Rede zu ihrer Nominierung verfolgt. So eine Rede hält bei uns der Gewerkschaftschef, aber nicht die Nachfolgerin von Margaret Thatcher. Sie versucht offenbar, Klartext zu reden. Ob dem dann konkrete Handlungen folgen, diese Erwartungshaltung auch einzulösen? Fakt bleibt ja, dass acht Prozent von Europas Exporten nach Großbritannien gehen, aber 44 Prozent der britischen Exporte nach Europa. Theresa May hat gerade versucht, die Briten anzusprechen, aber keine Verhandlungsposition definiert.

Also gut gebrüllt, Löwin. Gilt das auch für Donald Trump und seine Drohungen in Richtung Europa?
Das ist schwierig einzuschätzen. Die einzige Hoffnung ist, ihn an seinen Taten zu messen. Er ist bisher ja vor allem eine Marketingmaschine, da passiert nichts zufällig.

Zur Person

Muss man sich da auch als Politiker der Mitte etwas abgucken?
Schon. Das Dilemma ist nur: Wenn Sie zu Recht moralische Standards haben, haben Sie einen Wettbewerbsnachteil, den Sie akzeptieren müssen. Sie können nicht einfach irgendwas behaupten. Dennoch müssen wir aufpassen, dass nicht alles möglich wird, weil keiner mehr dagegenhält.

Ist es ein Problem, dass gegen Trumps Furor jede Form der Sachpolitik langweilig wirkt? Sie haben vor einer Woche Ihren „Plan A“ für ein neues Österreich vorgestellt. Es geht da um die Stärkung des Mittelstands, Arbeitsmarkt oder Bürokratieabbau – im Vergleich zu Trump wirkt das verzagt.
Mir wurde in Österreich das Gegenteil vorgeworfen. Allerdings stimmt es schon: Bei der herrschenden Lautstärke seriös mitzuhalten wird immer schwieriger. Aber es geht. Wir haben das in Österreich bei der Präsidentenwahl gesehen, wo mit Alexander van der Bellen ein Kandidat der Unaufgeregtheit und Berechenbarkeit gewonnen hat. Wir müssen eben nur klar sagen, wie wir Gesellschaft gestalten und nicht nur verwalten wollen. Denn was da derzeit passiert, auch durch die Migrationsentwicklung, ist eine gewaltige Veränderung der Lebenswelten. Darauf brauchen wir Antworten.

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