Jeder macht, was er will?
Wir erleben immer wieder, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten – etwa in der Fiskal- und Flüchtlingspolitik – in Brüssel Dinge beschließen, die sie zu Hause nicht vertreten und politisch umsetzen. Diese Diskrepanz ist für den Erfolg der EU eine größere Hürde als die Brüsseler Bürokratie oder das viel kritisierte Führungspersonal in der Kommission.
Welches Thema muss auf der politischen Agenda der EU jetzt ganz oben stehen?
Die Sanierung des Bankensektors. Sie ist die entscheidende Voraussetzung für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung in Europa. Wichtig ist auch eine Entrümpelung des EU-Haushalts. Da werden vor allem in der Agrar- und Regionalpolitik Milliarden für unsinnige Dinge ausgegeben, die mit Europa nichts zu tun haben. Die EU sollte ihr Geld stärker auf Projekte konzentrieren, bei denen die Tätigkeit der EU einen Mehrwert erbringt, zum Beispiel bei grenzüberschreitenden Vorhaben und in der Außen- und Sicherheitspolitik.
Kommissionspräsident Juncker hat eine weitere Idee: Alle EU-Länder, die den Euro noch nicht haben, sollen ganz schnell der Währungsunion beitreten.
Dieser Vorschlag als Reaktion auf den Brexit ist vollkommen weltfremd. Derartige Vorstöße führen eher zu einer weiteren Erosion der Autorität und Akzeptanz der EU.
Hat der Brexit langfristige Folgen auf den Euro?
Wenn es nicht gelingt, den Brexit einigermaßen kooperativ zu gestalten, und großer wirtschaftlicher Schaden entsteht, wird das auch die Entwicklung der Euro-Zone beeinträchtigen.
Für viele Experten ist die EU auch wegen ihrer Größe handlungsunfähig. Sollte es einen Aufnahmestopp geben?
Nein. Balkanstaaten wie Serbien sollten aufgenommen werden, wenn sie die Bedingungen erfüllen. Sonst bekommen wir dort vor unserer Haustür irgendwann Zustände wie in der Ukraine. Die politische und wirtschaftliche Stabilisierung Osteuropas durch die EU war eine großartige Leistung! Es ist gefährlich, dass dies in der öffentlichen Debatte kaum noch durchdringt. Politiker sollten auf diese Erfolge hinweisen, statt sich auf Kosten der EU zu profilieren.
Eine persönliche Frage zum Schluss: Welche Ökonomen schätzen Sie am meisten?
Zum einen Richard Musgrave, der grundlegende Beiträge zur Rolle des Staates in der Marktwirtschaft geleistet hat. Und zum zweiten James Buchanan, der für die liberale, eher staatskritische Schule in der Finanzwissenschaft steht und in gewisser Weise ein Gegenspieler von Musgrave ist. Beide waren entscheidend für die Entwicklung des Faches – und für mein eigenes Denken als Ökonom.