Comeback in Großbritannien? „Johnson ist vielleicht ein Kassenschlager, aber er ist toxisch“

Boris Johnson Quelle: imago images

Die Tories blicken unter Premier Rishi Sunak einer gewaltigen Wahlschlappe entgegen. Boris Johnsons Unterstützer wittern Morgenluft und drängen auf seine Rückkehr. Doch noch immer kommen neue Skandale ans Tageslicht.

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Als Boris Johnson im vergangenen Sommer nach einer nicht enden wollenden Serie von Skandalen von seinem Posten als britischer Premier zurücktreten musste, glaubte eigentlich niemand daran, dass er einfach so in den Hintergrund treten würde. Schließlich hatte der Politiker mit dem demonstrativ verwuschelten Haar und dem grenzenlosen Anspruchsdenken sein Leben lang daran gearbeitet, sich als tragende historische Figur in den Geschichtsbüchern seines Landes zu verewigen. Ganz wie sein Idol Winston Churchill.

Daher war es keine Überraschung, als Johnson im Oktober seinen Urlaub in der Karibik (für den er als Abgeordneter trotz der laufenden Sitzungsperiode Zeit gefunden hat) abbrach und auf dem schnellsten Weg nach London eilte. Seine glücklose Nachfolgerin Liz Truss musste nach nur 49 Tagen im Amt ihren Job wieder aufgeben. Johnson hoffte offenbar darauf, dass ihn die Tory-Abgeordneten, ernüchtert von der Truss-Episode, wieder in die Downing Street hieven würden.

Und tatsächlich schaffte es Johnson auf Anhieb, genügend Tory-Abgeordnete für eine Kandidatur auf seine Seite zu ziehen. Letzten Endes hielt sich die Begeisterung der meisten Parteikollegen aber so unübersehbar in Grenzen, dass Johnson wohl nicht riskieren wollte, gegen Spitzenreiter Rishi Sunak zu verlieren. Der Ex-Schatzkanzler machte dann auch, wie erwartet, das Rennen. Und Johnson reiste weiter durch die Welt und verdiente mit extrem gut dotierten Reden ein kleines Vermögen.

Doch jetzt könnten sich Johnsons Chancen bessern. Denn Sunak ist es während seiner Zeit als Premier zwar gelungen, die wirtschaftlichen Verwerfungen, die seine Vorgängerin ausgelöst hat, einigermaßen einzudämmen. Und er legte den schwelenden Nordirland-Streit mit der EU mit einem Kompromiss bei. Zugleich gelang es dem oft hölzern, distanziert und ideenlos wirkenden Sunak jedoch nicht, die Wählerinnen und Wähler von sich zu begeistern.

Der erhoffte Aufschwung in den Umfragen, in denen die Tories wegen Johnsons Eskapaden abgestürzt sind, blieb aus. Bei den Kommunalwahlen in England vergangene Woche schnitten die Tories dann dermaßen miserabel ab, dass ein haushoher Sieg der oppositionellen Labour-Partei bei den nächsten Parlamentswahlen, die bis Anfang 2025 abgehalten werden müssen, immer wahrscheinlicher wird.



Die Tories geraten zusehends in Panik. Und Johnsons Unterstützer wittern Morgenluft.

Der harte Kern der Boris-Fans hat sich bereits Anfang des Jahres zur „Conservative Democratic Organisation“ (CDO) zusammengetan. Ihr erklärtes Ziel: „Die Parteidemokratie zu stärken, indem wir sicherstellen, dass die Konservative Partei ihre Mitglieder repräsentiert und ihre Ansichten fair vertritt.“ Allein schon das ist ein Seitenhieb gegen Sunak, dem viele Johnson-Unterstützer vorwerfen, er habe mit seinem Rücktritt im vergangenen Sommer den Sturz ihres Idols eingeläutet. Denn Sunak wurde nicht von der Parteibasis gewählt, sondern in einem verkürzten Verfahren von den Abgeordneten zum Parteichef und Premier ernannt.

Johnson-Unterstützer kommen am Wochenende zusammen

Dieses Wochenende hält die Kampagnengruppe ihre erste Konferenz in Bournemouth an der englischen Südküste ab. Neben führenden Johnson-Unterstützern wie Ex-Kulturministerin Nadine Dorries und dem ehemaligen „Minister für Brexit-Gelegenheiten“ Jacob Rees-Mogg werden mehr als 600 Parteiaktivisten erwartet. Auch Mark Littlewood, Chef des umstrittenen rechtslibertären Thinktanks Institute of Economic Affairs (IAE) sowie der ehemalige Thatcher-Berater Nile Gardener werden Berichten zufolge bei dem Treffen erwartet.

Boris Johnson, der insgeheime Star des Treffens, möchte sich selbst offenbar nicht blicken lassen. Das Nachrichtenmagazin „Politico“ berichtete aber, dass Johnson acht signierte Flaschen Wein geschickt habe, die versteigert werden sollen.

An der Stoßrichtung des Treffens gibt es keine Zweifel: Der CDO-Vorsitzende und ehemalige konservative Europaabgeordnete David Campbell Bannerman erklärte diese Woche in einem Interview, Sunak verrate mit seinen Steuererhöhungen konservative Werte. Und er fügte hinzu: „Es stimmt, dass viele unserer Mitglieder noch immer Boris mögen und schätzen, so wie es viele Mitglieder der Öffentlichkeit tun. Angesichts des Ausmaßes der bevorstehenden Herausforderungen sollen wir das als langfristige Möglichkeit nicht ausschließen.“

Eine Rückkehr Johnsons ist jedoch alles andere als ausgemachte Sache. Denn während der Großteil der konservativen Parteiaktivisten allen Skandalen zum Trotz weiter erstaunlich stark an ihm festhält, spricht sich in Umfragen ein Großteil der Briten gegen eine Rückkehr des Skandalpremiers aus.

Und Johnson könnte demnächst sogar seinen Posten als Abgeordneter verlieren. Ein überparteilicher Parlamentsausschuss befasst sich derzeit mit der Frage, ob Johnson die Abgeordneten als Premier bewusst belogen hat, als er wiederholt erklärte, dass es in seinem Amtssitz in der Downing Street keine illegalen Lockdown-Partys gegeben habe. Als die Mitglieder des Ausschusses Johnson im März in einer vierstündigen Sitzung dazu befragten, wirkten seine Antworten wenig überzeugend.



Sollte der Ausschuss entscheiden, dass Johnson die Abgeordneten bewusst in die Irre geführt hat, könnten sie seine Suspendierung empfehlen. Die Abgeordneten müssten dann darüber abstimmen. Sollte diese Suspendierung zehn Sitzungstage oder länger dauern, könnte die Wählerinnen und Wähler in seinem Wahlkreis eine Nachwahl in die Wege leiten. Und die würde Johnson mit ziemlicher Sicherheit verlieren. Ob es die konservativen Abgeordneten wirklich zulassen werden, dass ein ehemaliger Tory-Premier auf diese Weise aus dem Parlament geworfen wird, ist allerdings fraglich.

Johnsons Anwaltskosten belasten die Steuerzahler

Und dann wären da noch die Johnson-Skandale. Selbst heute noch, zehn Monate nach seinem Rücktritt, kommen immer neue Johnson-Enthüllungen ans Tageslicht. So wurde erst vor wenigen Tagen bekannt, dass sich die Anwaltskosten für Johnsons Verteidigung vor dem Parlamentsausschuss bereits auf 245.000 Pfund belaufen. Dafür aufkommen soll der Steuerzahler. Die Entscheidung, Johnson auf Staatskosten Spitzenanwälte an die Seite zu stellen, traf laut einem BBC-Bericht das Cabinet Office, das die Arbeit des Premiers und der Regierung unterstützt, als Johnson noch Premier war. Das Schatzamt, das die Entscheidung aus Sicht von Experten hätte absegnen müssen, wurden laut dem BBC-Bericht nicht hinzugezogen. Die Opposition verlangt nun, dass Johnson seine Anwaltskosten selbst begleichen soll.

Damit nicht genug: Vor zwei Wochen stolperte der BBC-Vorsitzende Richard Sharp über eine weitere Johnson-Affäre. Eine Untersuchung hatte ergeben, dass Sharp Regeln verletzt hat, als er vor seiner Ernennung im Februar 2021 verschwiegen hat, dass er für Johnson einen privaten Kredit in Höhe von 800.000 Pfund eingefädelt hat. Johnson, der damals noch Premier war, hatte Sharps Ernennung zum BBC-Vorsitzenden persönlich abgesegnet und durchblicken lassen, dass er der einzige Bewerber sein würde, den die Regierung unterstützt. Sharp trat deswegen von seinem Posten zurück.

Heute weiß man, dass Johnson den Kredit tatsächlich in Anspruch genommen hat. Wer ihm das Geld zur Verfügung gestellt hat, ist allerdings weiterhin unbekannt.

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Völlig ausschließen lässt sich eine Rückkehr Johnsons trotz allem nicht. Schließlich blicken die Tories unter Sunak der größten Niederlange seit den 1990er-Jahren entgegen. Und Johnson hat, in den Worten des „Guardians“, „mehr erfolgreiche Comebacks absolviert als Frank Sinatra“. Tim Bale, Professor für Politik an der Queen Mary University in London, ist dennoch skeptisch. „Einige Tories beten immer noch vor dem Altar von Boris Johnson. Aber es sind weitaus weniger als früher.“ Die Zahl der „Kultmitglieder“ reiche aus seiner Sicht nicht aus, um eine Rückkehr Boris Johnsons in die Downing Street zu ermöglichen. „Johnson ist vielleicht ein Kassenschlager, aber nach ‚Partygate‘ ist er toxisch – und die Mehrheit der konservativen Abgeordneten weiß das.“

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