Corona-Variante Wie Europas Gesundheitssysteme mit der Omikron-Welle kämpfen

In Großbritannien wurden seit Donnerstag fast 180.000 neue Infektionen gemeldet. Quelle: imago images

Die Corona-Variante Omikron stellt die Gesundheitssysteme in Europa vor enorme Herausforderungen. Vielerorts fehlt es wegen hoher Infektionszahlen an Personal. Aber die Kranken können nicht warten.

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In London sind Soldatinnen und Soldaten zur Hilfe in die überlasteten Krankenhäuser entsandt worden. In Frankreich betreuen infizierte Pflegekräfte Covid-Patienten. In einigen Regionen Griechenlands sollen niedergelassene Ärzte ab nächster Woche das staatliche Gesundheitswesen unterstützen. Die Niederlanden befinden sich im Lockdown, und in Sizilien sind Feldlazarette eingerichtet worden.

Das sind nur einige Beispiele unter vielen. In allen Teilen Europas strampeln sich Länder damit ab, ihre durch Omikron schwer strapazierte Krankenfürsorge sicherzustellen. Die neue hochansteckende Corona-Virusvariante hat die Gesundheitssysteme zweifach getroffen. Kliniken haben es mit einer Welle von infizierten Kranken zu tun, und zugleich mangelt es ihnen an Personal, weil auch in der Belegschaft viele krank sind oder sich isolieren müssen. „Omikron bedeutet, dass es mehr Patienten zu behandeln gibt und weniger Personal, um sie zu behandeln“, fasste es Stephen Powis, medizinischer Direktor des Nationalen Britischen Gesundheitsdienstes (NHS) am Freitag zusammen.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO vom Donnerstag wurde in der vergangenen Woche weltweit eine Rekordzahl von 9,5 Millionen Covid-Fälle gezählt – ein 71-prozentiger Anstieg im Vergleich zu der Sieben-Tage-Periode davor.

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von Jürgen Salz

Die Zahl der wöchentlich registrierten Toten ging jedoch zurück. Aber wenn Omikron in Sachen Krankheitsverlauf auch weniger ernst zu sein scheint als die Delta-Variante, warnte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus, das Virus auf die leichte Schulter zu nehmen. „Omikron bringt wie frühere Varianten Menschen ins Krankenhaus und tötet Menschen“, sagte er. „Tatsächlich ist der Tsunami von Fällen so groß und schnell, dass er die Gesundheitssysteme rund um die Welt überwältigt.“

Das spiegelte sich am Freitag in London wider, wo etwa 200 Militärangehörige, darunter 40 Sanitäter, in Krankenhäusern mit „außergewöhnlichem“ Personalmangel entsandt wurden. In der nächsten Woche sollen weitere 150 Soldatinnen und Soldaten bei Krankentransporten im Nordwesten Englands aushelfen. Am 2. Januar waren insgesamt 39 142 medizinische Fachkräfte in englischen Krankenhausgruppen im Zusammenhang mit Covid abwesend, 59 Prozent mehr als eine Woche zuvor, wie der NHS in England mitteilte.

Großbritannien hat vor diesem Hintergrund auch seine Corona-Testregeln geändert, um die Zeitspanne zu verkürzen, in der Menschen mit Positiv-Testergebnissen in Quarantäne müssen. In Deutschland wurden am Freitag verschärfte Zugangsregeln für Cafés, Restaurants und Kneipen beschlossen, der Zugang ist dort nur noch für Geimpfte mit einem aktuellen negativen Test oder Booster-Impfung erlaubt – damit gilt in der Gastronomie also bundesweit 2G plus. Die Quarantäne für Kontaktpersonen und die Isolation für Infizierte wurden verkürzt, damit die Infrastruktur in der sich auftürmenden Omikron-Welle nicht kollabiert.

Frankreich erlaubt seit dieser Woche infizierten Krankenhausmitarbeitern, die nur geringe oder keine Symptome haben, weiter Patienten zu behandeln anstatt sich selbst zu isolieren. Am Mittwoch hatte das Land 332.252 bestätigte Virus-Fälle vermeldet - die bislang höchste Zahl an einem einzelnen Tag in Europa.

Die Niederlande befinden sich seit Wochen in einem strikten Lockdown, um etwas Druck von den Krankenhäusern zu nehmen und Zeit für die Beschleunigung einer langsam angelaufenen Kampagne für Booster-Shots - dritte Impfungen - zu erkaufen. Aber trotz der strengen Ausgangsbeschränkungen haben die Infektionen im Land diese Woche neue Rekordhöhen erreicht.

In Griechenland hat die Regierung am Freitag eine zivile Mobilisierungsanordnung erlassen, die niedergelassene Ärzte der Fachrichtungen Pathologie, Pulmologie und Anästhesie betrifft. Eine Reihe von ihnen soll ab nächstem Mittwoch in Krankenhäusern in vier Regionen in Nordgriechenland aushelfen, die unter akutem Personalmangel leiden.

In der sizilianischen Stadt Palermo wurden vor drei Kliniken zusätzliche Zelt-Einrichtungen geschaffen, um die Notaufnahmen zu entlasten und Patienten rasch in Betten unterbringen zu können, anstatt sie auf den Parkplätzen warten zu lassen. „Wir stehen absolut unter Druck“, sagte Tiziana Maniscalichi, Direktorin der Hospitäler Cervello und Civico Palermo, der Nachrichtenagentur AP. Es gebe jeden Tag mindestens 70 neue Patienten, die aufgenommen werden müssten.

Italien registriert Rekordzahlen an Infizierten, allein am Donnerstag waren es 219.000 neue Fälle. Und die Behörden befürchten, dass der Höhepunkt der neuen Welle erst in zwei oder drei Wochen erreicht wird. In der süditalienischen Stadt Neapel sind die Kliniken bereits so stark überlastet, dass der Chef der örtlichen Vereinigung der Krankenhausärzte, Bruno Zuccarelli, die Regierung zu „drastischen Maßnahmen“ aufrief. Andernfalls könne man gezwungen sein, manche Patienten abzuweisen. „Die Lage ist kritisch“, so Zuccarelli. Das gesamte medizinische Personal in der Stadt – von Pflegekräften auf den Intensivstationen bis hin zu Krankenwagenfahrern - stehe unter „nicht mehr zu bewältigendem Stress“.

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In Großbritannien, wo allein am Donnerstag fast 180.000 neue Infektionen gemeldet wurden, hat Omikrons Vormarsch so viele Krankenhausmitarbeiter zum Fernbleiben gezwungen, dass jetzt Militärangehörige aushelfen müssen. „Wir haben noch nie ein solches Ausmaß an Personalausfall erlebt“, sagte der Vorsitzende des Britischen Ärzteverbandes, Chaand Napaul, dem Sender Sky News.

Krankenhäuser in ganz England haben aufgrund von Engpässen nicht lebensnotwendige Operationen verschoben. Luftwaffengeneral John Lyle zufolge laufen Gespräche darüber, die Unterstützung des Militärs für den NHS auch auf andere Teile des Landes auszuweiten. Man könne nicht zu weit in die Zukunft blicken, aber man wisse, dass die Lage derzeit in London am schwierigsten sei, sagte er dem Sender BBC. „Doch wir sind uns bewusst, dass dies (die neue Welle) Auswirkungen auf das gesamte Vereinigte Königreich hat.“

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