Corona-Wiederaufbaufonds Auf dem Weg in die EU-Schuldenunion

500 Milliarden Euro wollen Angela Merkel und Emmanuel Macron für die von der Coronakrise stark betroffenen EU-Staaten lockermachen. Quelle: via REUTERS

Der Corona-Wiederaufbaufonds beschleunigt den Umbau der EU in eine Schuldengemeinschaft. Für die deutschen Steuerzahler wird es teuer.

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Niccolò Machiavelli war Italiener. In seinem Buch „Der Fürst“ analysierte der berühmte Staatsphilosoph der Renaissance die Mechanismen, mit denen Staatenlenker ihre Macht absichern, rücksichtslos ausweiten und ihre Gegner niederringen. Der Geist Machiavellis durchströmt auch heute noch die Regierungszentralen im Süden Europas, bestimmt das Denken, Taktieren und politische Handeln im Palazzo Chigi, im Moncloa-Palast und im Élysée-Palast. Den Weg über die Alpen ins Kanzleramt nach Berlin aber hat der Geist Machiavellis nie gefunden.

Den jüngsten Beleg dafür liefert die „Deutsch-französische Initiative zur wirtschaftlichen Erholung Europas nach der Coronakrise“, die der französische Staatspräsident Emmanuel Macron gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rahmen einer Videokonferenz der erstaunten Öffentlichkeit gestern vorstellte. Die Initiative ist ein Paradebeispiel dafür, wie es Frankreich und die Südländer immer wieder schaffen, ihre Interessen gegenüber denen Deutschlands durchsetzen.

Das wichtigste Element der Macron-Merkel-Initiative ist ein Wiederaufbaufonds, mit dem die EU die von der Coronakrise gezeichnete Wirtschaft auf dem alten Kontinent revitalisieren soll. Der zeitlich befristete Fonds soll über ein Volumen von 500 Milliarden Euro verfügen und in den mittelfristigen Haushalt der EU eingebunden werden. Er soll besonders stark von der Coronakrise getroffenen Branchen und Regionen Geld in Form von Zuschüssen statt Krediten zukommen lassen.

Zur Refinanzierung des Fonds soll die EU eigene Anleihen am Kapitalmarkt platzieren. Das ist allein schon deshalb bemerkenswert, weil die EU-Verträge der EU verbieten, sich zu verschulden. Als Rechtsgrundlage für die Kreditaufnahme soll daher ein Notfallartikel im EU-Vertrag herangezogen werden, der im Fall „außergewöhnlicher Ereignisse“ einen „finanziellen Beistand der Union“ für notleidende Länder erlaubt. Die Rückzahlung der Mittel soll über viele Jahre gestreckt aus dem EU-Haushalt erfolgen.

Dass die Zuwendungen aus dem Fonds in Form von Zuschüssen fließen sollen, ist eine 180-Grad-Wende von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bisher hatte die Kanzlerin darauf gepocht, dass der Fonds nur Kredite vergeben dürfe, die von dem Empfängerland später zurückgezahlt werden müssen. Doch wie schon bei der Griechenland-Rettung 2010 – als Merkel zunächst auf das Bail-Out-Verbot des EU-Vertrags gepocht hatte – ist die Kanzlerin nun erneut vor den Forderungen Frankreichs, Italiens und Spaniens eingeknickt. Auf deren Drängen soll der Fonds seine Mittel als Zuschüsse gewähren. Dass ausgerechnet die Südländer mit Frankreich an der Spitze auf Zuschüsse pochen, kann nicht verwundern. Sie wähnen sich in der Rolle der am stärksten von der Coronakrise getroffenen Länder, die sich dementsprechend Hoffnungen auf die höchsten Zuschüsse machen.

Die Rückzahlung der Anleihen über den EU-Haushalt sorgt dafür, dass Deutschland, das den höchsten Beitrag in die EU-Kasse zahlt, auch für das Gros der Tilgung der Anleihen geradesteht. Damit erhalten diese den Charakter von Gemeinschaftsanleihen, für die Deutschland seine Bonität „verleiht“ und anteilig geradesteht. Gemäß dem deutschen Anteil am EU-Haushalt müssen die deutschen Steuerzahler rund 135 Milliarden Euro der für den Fonds aufgenommen Kredite zurückzahlen.

Macron scheint das noch nicht zu reichen. Er plädiert dafür, den Länderschlüssel so zu ändern, dass die Hauptempfängerländer der Zuschüsse einen geringeren Anteil der Rückzahlung übernehmen. Ansonsten wären es keine Zuschüsse, sondern Kredite, lautet sein Argument. Setzt sich Macron durch, werden die Südländer noch stärker zu Nettoempfängern, Deutschland hingegen zum Nettozahler des Fonds. Der Weg zum Eurobond, bei dem wegen der gesamtschuldnerischen Haftung im Kreditfall einer für alle steht, ist dann nicht mehr weit.

Mit dem Wiederaufbaufonds ist Macron seinem Ziel ein Stück näher gekommen, die EU unter öffentlichkeitswirksamer Solidaritäts-Propaganda weiter in die von Frankreich seit jeher angestrebte Richtung umzubauen: von einer Gemeinschaft eigenverantwortlicher Staaten zu einer Transferunion, die eine von französischen Machtambitionen bestimmte Eigenstaatlichkeit entwickelt und von Deutschland als wichtigster Transferquelle finanziert wird. Die Ausgabe eigener Anleihen, mit denen sich die EU erstmals wie ein Staat verschulden kann, ist darüber hinaus ein Schritt der EU auf dem Weg zu einer supranationalen Souveränität, von der die EU-Eliten immer geträumt haben.

Dass Merkel dem Umbau der EU zu einer Transferunion die Hand reicht, wird die deutschen Steuerzahler teuer zu stehen kommen. Darüber kann auch das Argument nicht hinwegtäuschen, Transferzahlungen aus Deutschland an Italien und Co dienten der ökonomischen Absicherung wichtiger Exportmärkte und lägen damit im eigenen Interesse Deutschlands. Diesem Argument folgend müsste Deutschland zuvorderst Transferzahlungen an die USA und China leisten. Geradezu ein Irrsinn. Ohnehin ist das Argument ökonomisch von ähnlicher Güte wie der Versuch eines Würstchenbudenbesitzers, seinen Umsatz dadurch anzukurbeln, dass er seinen Kunden Geld schenkt, damit sie ihm anschließend seinen Würstchen abkaufen.

Derartige Voodoo-Ökonomie mag in Berliner Politikerkreisen verfangen. Die deutschen Steuerzahler sollten sich von ihr jedoch nicht blenden lassen. Ihnen bleibt nur die Hoffnung auf Einspruch aus Wien und Den Haag. Dort nämlich ist man von der Initiative Macrons und Merkels nicht begeistert. Österreichs Regierungschef Sebastian Kurz meldete nach Rücksprache mit seinem niederländischen Kollegen sogleich Widerstand gegen Macrons Plan an. Gemeinsam mit Dänemark und Schweden pochen beide Länder darauf, Geld aus dem Wiederaufbaufonds ausschließlich in Form von Krediten auszureichen. Beide Länder wollen daher demnächst einen alternativen Vorschlag präsentieren.

Die Machiavelli-Epigonen aus dem Süden Europas sind daher noch nicht am Ziel. Zumal die Einrichtung eines Wiederaufbaufonds von allen 27 EU-Staaten einstimmig beschlossen werden muss. Für die deutschen Steuerzahler heißt es daher, Daumen drücken, dass Österreich und die Niederlande hart bleiben und die Interessen der Nettozahler vertreten, für die es in Berlin offenbar keine Fürsprecher(in) mehr gibt.


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