Coronahilfen Historischer EU-Gipfel einigt sich auf 750-Milliarden-Paket

Es wäre ein Grund zum Abklatschen: Die EU-Mitgliedsländer haben sich nach tagelangen Verhandlungen auf ein Coronahilfspaket geeinigt. Quelle: imago images

Die EU-Staaten haben sich auf ein Rettungspaket für die Wirtschaft geeinigt. Endlich. Gelöst sind die Probleme damit längst nicht. Wie gut der Geldregen geeignet ist, die ökonomischen Folgen der Coronakrise abzufedern, bleibt umstritten.

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Es ist 5.31 Uhr, als am Dienstagmorgen die ersten Eilmeldungen verschickt werden: Die EU-Staaten haben sich auf ein Corona-Hilfspaket geeinigt. 91 Stunden liegt da der offizielle Beginn des Gipfels zurück. In dieser Zeit haben sich – mit Unterbrechungen – die führenden Köpfe der Europäischen Union die Köpfe darüber zerbrochen, wie bestmöglich Europa vor schwerwiegenden Folgen einer Wirtschaftskrise geschützt werden kann.

Die Eckpfeiler des abgesegneten Plans für den Kampf gegen eine lange und tiefe Rezession nach dem Coronaschock sind diese:

  • Um der größten Rezession der Geschichte entgegenzutreten, einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf einen Coronavirus-Fonds in Höhe von 750 Milliarden Euro, der in Form von Darlehen und Zuschüssen an die am härtesten vom Virus getroffenen Länder gehen soll.
  • Es sollen Zuschüsse bei den geplanten Coronahilfen in Höhe von 390 Milliarden Euro bereitgestellt werden – statt der ursprünglich von Deutschland und Frankreich geforderten 500 Milliarden Euro. Österreich, Dänemark, Schweden, die Niederlande und Finnland wollten ursprünglich am liebsten nur Kredite und gar keine Zuschüsse vergeben.
  • Die Kredite, die ursprünglichen Plänen zufolge bei 290 Milliarden liegen sollten, werden aufgestockt: Dafür werden nun 360 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.
  • In Bezug auf die Verankerung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit an die Auszahlungen aus dem EU-Haushalt einigten sich die Länder auf eine Formulierung, die das Rechtsstaatsprinzip im Zusammenhang mit EU-Zahlungen betont – letztlich aber zunächst der EU-Kommission den Auftrag erteilt, genaue Vorschläge vorzulegen, wie man die Prinzipien einhalten kann. Der Streit ist also zum Teil vertagt worden.
  • Insgesamt ist das Pandemie-Hilfspaket 1,8 Billionen Euro schwer.
  • Daneben wurde der EU-Haushaltsrahmen von 2021 bis 2027 mit einem Umfang von über einer Billion Euro beschlossen.

Das – „Next Generation“ getaufte – Wiederaufbaupaket soll der europäischen Wirtschaft in den nächsten Jahren neuen Schwung bringen. Nötig scheint das allemal: Anfang des Monats hat die EU-Kommission ihre Wachstumsprognosen noch einmal nach unten revidiert. Die Wirtschaftsleistung der Euro-Zone dürfte demnach in diesem Jahr als Folge der Coronapandemie um annähernd neun Prozent absacken. In mehreren Mitgliedstaaten wird sie wohl deutlich tiefer fallen.

An dem grundsätzlichen Ziel bestand kein Zweifel. So einigend die Angst vor den Folgen der Krise aber gewesen sein mag, so entzweiend war die Diskussion über den richtigen, gemeinsamen Weg der 27 EU-Staaten.

Tagelang rangen die Staats- und Regierungschefs der EU um ein milliardenschweres Wiederaufbauprogramm. Die Länder, die – offenbar erfolgreich – Widerstand leisten, sind weder unmoralisch noch unsolidarisch.
von Silke Wettach

Hauptstreitpunkt war bis zuletzt die Frage, wie viele Zuschüsse an EU-Staaten vergeben werden können, die die Empfänger nicht zurückzahlen müssen. Dass es bis zur Einigung mehr als vier statt der veranschlagten zwei Tage dauerte, geht vor allem auf den Widerstand eines Fünfer-Bündnisses zurück: Die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden, bekannt als die „sparsamen Vier“, und schlussendlich auch Finnland hatten darauf bestanden, dass die Summe der Zuschüsse statt 500 Milliarden Euro einen deutlich geringeren Wert haben soll. Ein zähes Ringen begann, EU-Ratspräsident Charles Michel verglich die Verhandlungen mit einer „mission impossible“. Gegen Ende des Treffens muss der Druck immens gewesen sein, die Stimmung gereizt. Die Dramatik des Treffens wird mancherorts bereits als Beweis der Schwäche der Europäischen Union ausgelegt.

Dabei kann das Konfliktpotenzial nicht überraschen: Im Kern geht es schließlich um die Frage, wie sehr die wirtschaftsstarken Nettozahler den schwächeren Ländern unter die Arme greifen sollen – unter welchen Bedingungen und mit welchen Gegenforderungen.

Dass nun nur 390 Milliarden als Zuschüsse ausgezahlt werden, kann als Erfolg der Sparsamen gesehen werden – obwohl es weit entfernt von ihrem ursprünglichen Vorschlag ist, ausschließlich Kredite zu vergeben. „Die sparsamen Fünf sind gute Europäer“, kommentiert WirtschaftsWoche-Korrespondentin Silke Wettach. Schließlich geht es bei den immensen Summen um den richtigen Umgang mit und die faire Verteilung von Steuergeldern.

„Wir haben uns am Schluss zusammengerauft“
Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde Quelle: dpa
Außenminister Heiko Maas Quelle: dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: dpa
Charles Michel und Ursula von der Leyen Quelle: REUTERS
Italiens Regierungschef Giuseppe Conte Quelle: REUTERS
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Quelle: dpa
Uwe Burkert, Chefvolkswirt LBBW Quelle: dpa

Die Crux an dem beschlossenen Plan bleibt schließlich trotz der Korrekturen: Wie gut er geeignet ist, die ökonomischen Folgen der Coronakrise abzufedern, ist umstritten. Viele Ökonomen warnen, dass Hilfspaket könnte den erhofften Effekt auf die Volkswirtschaften verfehlen und zur Verschwendung einladen. (Lesen Sie hier die ausführliche Analyse der WirtschaftsWoche).

Auch so manches bisheriges Prinzip – wie etwa die Bedingung, dass die EU keine Vergemeinschaftung von Schulden einführt – gerät manchem Kritiker zufolge durch das neue Programm ins Wanken. „Wir stehen vor einer grundsätzlichen Veränderung des europäischen Systems“, sagte etwa Christian von Stetten, Chef des Wirtschaftsflügels in der Union, kurz vor der Entscheidung in Brüssel im Interview mit der WirtschaftsWoche.

Er warnte: Deutschland trete zwar nicht als Schuldner auf, übernehme aber eine Rückzahlungsgarantie. „Bundesfinanzminister Olaf Scholz sagt immer, es sei keine gesamtschuldnerische Haftung, die wir übernehmen. Da hat er Recht, wir würden bei einem italienischen Ausfall nicht für deren gesamten Anteil haften. Aber es ist eine anteilige Haftung von rund 35 Prozent“, kritisiert von Stetten. Deutschland hafte demnach also mit weitaus höheren Summen, als bislang vermittelt wurde. Das dürfte längst nicht allen schmecken.

Zudem ist noch nicht klar absehbar, welche wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen die Krise tatsächlich nach sich zieht. Damit steht die Politik vor einem Zielkonflikt: Einerseits will sie schnell auf den Wirtschaftseinbruch reagieren, um eine Abwärtsspirale zu verhindern. Andererseits braucht sie eine fundierte Bedarfsanalyse, damit die Milliarden nicht ineffizient ausgegeben werden und unkontrolliert versickern.

Genau das aber befürchten Skeptiker: „Ich habe Bedenken, dass manche Länder mit dem Geld lieber Haushaltslöcher stopfen, anstatt ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern“, sagte der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund vor dem Gipfel im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Und der FDP-Politiker Moritz Körner warnte: „Ich will nicht, dass die EU jetzt viel Geld verteilt und wir in zehn Jahren feststellen, dass die Mittel falsch ausgegeben wurden.“

Problematisch bleibt auch der Zeitraum, in dem das Geld stoßweise verteilt wird: Es sind die kommenden sieben Jahre. Ein großer Teil der Gelder könnte erst bei den Mitgliedstaaten ankommen, wenn die Folgen der Coronakrise abgeklungen sind.

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Mit Material von dpa und Reuters

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