Coronapandemie und Brexit Im deutsch-britischen Handel sind nur schwer zu überbrückende Barrieren entstanden

Lastwagen stehen im Grenzkontrollbereich des Hafens von Dover Schlange. Quelle: dpa

Die Zahl der deutschen Warenlieferungen ging zum Jahresbeginn stark zurück. Schuld daran ist, neben der Coronapandemie, auch der Brexit. Die Lage könnte sich in den kommenden Wochen und Monaten verschärfen.

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Die Meldung hat es in sich: Die deutschen Exporte nach Großbritannien sind im Januar im Vergleich zum Vorjahr um rund ein Drittel eingebrochen. Sollten sich die vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes bestätigen, würde das einen gravierenden Rückschlag beim Handel mit einem der wichtigsten deutschen Handelspartner bedeuten. Hat damit der Brexit endgültig und dauerhaft auf die deutsch-britischen Handelsbeziehungen durchgeschlagen?

Tatsächlich häufen sich seit dem Jahresbeginn die Negativmeldungen. Da war – nach dem formellen Brexit am 31. Januar 2020 – auch die Übergangsfrist zu Ende gegangen, während der sich in den Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU in der Praxis kaum etwas geändert hat. Es folgte eine Flut an Problemen. Viele von ihnen hängen mit der Bürokratie zusammen, die seit dem Jahreswechsel erforderlich ist. So nahm Mitte Januar DB Schenker, die Logistik-Tochter der Deutschen Bahn, vorübergehend keine Sendungen nach Großbritannien mehr an. Der Grund: Nur ein Zehntel aller Sendungen sei mit den korrekten Papieren versehen gewesen, erklärte das Unternehmen. Die Mitarbeiter in Großbritannien seien nicht mehr hinterhergekommen, die fehlenden Daten zu recherchieren.

Auch der Paketdienst DPD stoppte vorübergehend sämtliche Sendungen zwischen Großbritannien und der EU. In Großbritannien häuften sich Berichte von Kunden, die nach Internet-Einkäufen bei europäischen Händlern wochenlang auf ihre Waren warten mussten. Einige von ihnen stellten mit Entsetzen fest, dass sie dann auch noch hohe Einfuhrzölle entrichten mussten.

Gemäß dem Freihandelsabkommen, auf das sich London und die EU nach zähen Verhandlungen im Dezember verständigt haben, entfällt beim Warenverkehr zwischen Großbritannien und der EU zwar in den meisten Fällen die Zahlung von Zöllen. Doch die neuen Regeln sind kompliziert und der bürokratische Aufwand oft so hoch, dass sich viele kleinere Unternehmen überfordert fühlen.

Für einige Branchen sind durch die neuen Regeln nur schwer zu überbrückende Barrieren entstanden. So stehen viele deutsche Süßwarenhersteller beim Export nach Großbritannien vor enormen Problemen. Laut dem Verband BDSI vermeldete jedes dritte Unternehmen, das regelmäßig nach Großbritannien liefert, kürzlich „beträchtliche Probleme“.

58 Prozent der Unternehmen störten sich an den neuen Zollformalitäten, heißt es in einer Erklärung des Verbandes. Etwa jedes achte von ihnen befürchte, „dass ihre Produkte aufgrund der neuen Logistikprobleme zeitweise nicht in den Regalen des britischen Lebensmittelhandels verfügbar“ sein würden. Und rund eines von zehn Unternehmen hat seine Lieferungen nach Großbritannien ganz gestoppt.

Eine der größten Hürden: die neuen Ursprungsregeln. Die können dazu führen, dass Zölle fällig werden, wenn Fertigprodukte zu viele Zutaten oder Bauteile enthalten, deren Ursprung außerhalb der EU liegt. So wie es beispielsweise bei Schokolade schnell der Fall ist.

Die EU habe bei den Ursprungsregeln „im Bereich der Agrarprodukte viele Interessen“ geschützt, sagte BDSI-Chef Carsten Bernoth. Das sei aber „eindeutig zu Lasten der mittelständischen Veredelungsindustrie“ erfolgt. Und die „ertrinke“ nun in Bürokratie.

Zu dem Rückgang bei den deutschen Exporten nach Großbritannien im Januar sei es aber nicht nur wegen der neuen Regeln gekommen, glaubt Ulrich Hoppe, Chef der Deutsch-Britische Industrie- und Handelskammer (AHK) in London. Der Rückgang sei „in weiten Teilen der Brexit-bedingten Vorratshaltung zum Ende der Übergangsphase sowie den Coronavirus-Maßnahmen geschuldet.“

Oder anders gesagt: Weil viele Unternehmen in Großbritannien Ende des Jahres ihre Lager gefüllt haben, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein, waren im Januar weniger Lieferungen notwendig. Und die Corona-Maßnahmen sind um die Jahreswende deutlich verschärft worden, nachdem im Südosten Englands die ansteckendere britische Corona-Variante entdeckt worden war. „Nichtsdestotrotz wird die Handelsverflechtung zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland auch mittelfristig weniger eng sein“, fügt Hoppe hinzu.

Adam Shuter ist der Geschäftsführer des Transportunternehmens Exact Logistics in Rugby bei Birmingham, das sich darauf spezialisiert hat, Waren aller Art aus Deutschland nach Großbritannien zu befördern. Er bestätigt, dass es im Januar einen merklichen Rückgang gegeben hat. „Aber nicht um 30 Prozent“, versichert Shuter. „Das viel größere Thema ist, dass sich der Markt wandelt, da viele kleinere und einige größere Unternehmen den britischen Markt nicht länger bedienen möchten.“ Das habe teilweise mit Zollfragen zu tun, liege aber auch daran, dass viele selbständige LKW-Fahrer aufgrund der drohenden Verzögerungen nicht länger nach Großbritannien fahren wollten.

Und in der Tat mehren sich Berichte, wonach vor allem kleinere Unternehmen, die nur einige wenige Paletten an Waren versenden möchten, vor zunehmenden Schwierigkeiten stehen. Denn viele Fahrer weigern sich seit dem Jahreswechsel, aufgrund des großen bürokratischen Aufwandes unterschiedliche Waren in ein- und demselben LKW zu transportieren. Rod McKenzie vom Spediteursverband Road Haulage Association sagte dazu der Financial Times, solche Sammeltransporte seien „die am schwierigsten zu knackende Nuss“. Unternehmen, die mit ihren Waren „keinen ganzen LKW vollbekommen“, stünde vor einem ernsthaften Problem. „Für diese kleineren Unternehmen wird der bürokratische Aufwand zu einem Alptraum.“

Ein Ende der derzeitigen Schwierigkeiten ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil: Denn anders als ihre europäischen Kollegen, verzichten die britischen Grenzbeamten derzeit noch auf die meisten Kontrollen. Am 1. April soll die Schonfrist aber enden. Dann sollen routinemäßige Inspektion von tierischen und pflanzlichen Produkten aus der EU beginnen - also ausgerechnet in einer Zeit, in der die Frucht- und Gemüse-Importe aus Südeuropa deutlich ansteigen. Ab Juli dann müssen Importeure vollständige Zollformulare für eingehende Lieferungen vorlegen, sobald ihre bestellte Ware in Großbritannien eintrifft. Derzeit können sie diese Dokumente Monate später nachreichen. Es drohen zusätzliche Schwierigkeiten und Verzögerungen.

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Mehr zum Thema: Ein Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU soll den Warenverkehr nach dem Brexit sicherstellen. Doch immer mehr Unternehmen scheitern an den Formalitäten.

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