Das bessere Hartz IV? Finnland wertet Experiment zum Grundeinkommen aus

Grundeinkommen statt Hartz IV: Finnland wertet Experiment aus Quelle: dpa Picture-Alliance

In Deutschland ist eine Debatte darüber entbrannt, was auf Hartz IV folgen soll. Denkanstöße könnte das finnische Experiment zum Grundeinkommen geben, das nächsten Monat endet. Schon jetzt läuft die Auswertung.

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Juha Järvinen glaubt, die Antwort auf die Frage zu kennen, die sich gerade so viele Menschen in Deutschland stellen: Was ist besser als Hartz IV? Er ist einer der Teilnehmer des finnischen Experiments zum bedingungslosen Grundeinkommen. Einer von 2000 zufällig ausgewählte Arbeitslosen, die seit knapp zwei Jahren jeden Monat 560 Euro überwiesen bekommen. Das vorerst letzte Mal wird diese Zahlung nun am 4. Dezember angewiesen. Anders als bei gängigen Sozialleistungen müssen die Empfänger dafür nichts tun, also weder zum Amt gehen noch Bewerbungen schreiben. Nun soll sich zeigen, ob dadurch mehr Menschen in Jobs finden als im alten System.

Järvinen ist davon überzeugt. Der Künstler und Handwerker ist einer der bekanntesten Teilnehmer des Grundeinkommen-Experiments, er hat es sich zur Aufgabe gemacht, seine Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu bringen. Dank des Grundeinkommens sei es ihm nach über sechs Jahren Arbeitslosigkeit endlich gelungen, sich selbstständig zu machen, erzählt er im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. In einem alten Schulhaus im Süden von Vaasa, wo er mit Frau und sechs Kindern lebt, schnitzt er nun Schamanentrommeln, die er weltweit verkauft.

Ohne das Grundeinkommen wäre ihm das nicht gelungen, dessen ist er sich sicher. Die Nachricht, dass er bei der Kela-Lotterie als einer der Teilnehmer ausgewählt wurde, sei wie „ein Brief ins Gefängnis“ gewesen, sagt Järvinen, „in dem es heißt: Sie sind frei!“ Aus der Arbeitslosigkeit heraus hätte er nicht gegründet, weil dann alle Sozialleistungen ersatzlos weggefallen wären.

Wie vielen der 2000 Teilnehmer es so gut ergangen ist wie Järvinen, wollen die Kela Forscher nun systematisch ergründen. „Zum einen interessieren wir uns für die Reaktion des Arbeitsmarkts, also ob die Teilnehmer einen Job gefunden haben“, sagt Olli Kangas, Leiter des Experiments und seit Juli Professor an der Universität Turku. Von Bedeutung seien zudem das Wohlbefinden der Teilnehmer sowie die Darstellung des bedingungslosen Grundeinkommens in der öffentlichen Debatte.

Bereits im Oktober informierten die Kela-Forscher alle 2000 Teilnehmer des Experiments sowie die 5000 Menschen umfassende Kontrollgruppe darüber, dass bald die Auswertung beginnen sollte. Ebenfalls im Oktober begannen die ersten Telefoninterviews, die Teilnehmer und Kontrollgruppe zu ihren Erfahrungen in den zwei Jahren befragen. Die Interviews sollen Ende des Jahres abgeschlossen sein.

Darin fragen die Forscher etwa nach Zufriedenheit, Gesundheit oder der persönlichen Meinung zur Sozialversicherung. Die individuellen Befragungen werden von statistischen Daten flankiert, aus denen etwa ersichtlich ist, ob jemand arbeitslos, angestellt oder selbstständig tätig war und wie viel er zu einem gegebenen Zeitpunkt verdient hat.

Aus diesen Daten will das Kela bereits im Februar 2019 eine erste, vorläufige Bilanz ziehen. Die soll sich jedoch nur auf das erste Jahr des Experiments beschränken. Dass überhaupt eine vorläufige Bilanz veröffentlicht wird, liegt nicht nur am großen internationalen Interesse. Im April stehen in Finnland Parlamentswahlen an – und viele der Parteien planen, das Grundeinkommen-Experiment im Wahlkampf zu nutzen.

Ungeachtet dessen folgen im Laufe des Frühjahrs weitere Erhebungen, etwa in Form von Tiefeninterviews, aber auch Medienanalysen sowie Umfragen breiterer Bevölkerungsgruppen zum Thema Grundeinkommen. Die endgültigen Ergebnisse für beide Jahre werden dann im Frühjahr 2020 veröffentlicht.

Das Ende des Experiments wird auch für die Teilnehmer eine große Umstellung bedeuten: Während sie heute bedingungslos Monat für Monat 560 Euro auf ihrem Konto landen, müssen sie dafür ab Januar wieder selbst aktiv werden. Das Kela hat deshalb jedem einzelnen einen Brief geschrieben, um sie daran zu erinnern, wie die alte Bürokratie funktioniert.

Bei Trommelschnitzer Järvinen wäre das nicht nötig gewesen. Er wird nach Ablauf des Experiments keine staatliche Hilfe mehr benötigen. „Mir geht es gut, ich habe mehr Arbeit, als ich bewältigen kann“, sagt Järvinen. Gerade deshalb wünscht er sich, dass es die finnische Regierung am Ende der Evaluation nicht bei einem einmaligen Experiment belassen wird: „Ich hoffe, dass auch viele andere die Chance bekommen, die ich hatte.“

Tatsächlich haben schon mehrere finnische Parteien angekündigt, ein Folgeexperiment durchführen zu wollen. Ob die künftige Regierung aber tatsächlich noch einmal mehrere Millionen in die Hand nimmt, wird von den Ergebnissen der Kela-Auswertung abhängen.

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