
Herr Ehrhart, nach den Berichten in den letzten Wochen ist klar geworden, wie marode die deutsche Bundeswehr ist. Ist sie überhaupt noch einsatzfähig?
Die Einsatzfähigkeit ist teilweise eingeschränkt: Hubschrauber haben Mängel, der Eurofighter hat Materialfehler, Transportflugzeuge sind altersschwach.

Die Bundeswehr hat sich auf den zentralen Einsatz in Afghanistan konzentriert und sich komplett darauf eingestellt. Andere Aufgaben sind angesichts sehr langen und sehr materialintensiven Einsatzes in den Hintergrund gerückt. Material wurde quasi kannibalisiert, indem man beispielsweise ein Ersatzteil aus einem bestimmten Systeme aus- und in ein anderes einbaute. Die Bundeswehr lebte lange von Ihrer Substanz – es sollte ja gespart werden. Die Probleme wurden lange nicht angegangen und sind jetzt offen zu Tage getreten.
Die Bundeswehr scheint diesen Problemen in derzeitiger Form nicht begegnen zu können. Verteidigungsministerin Von der Leyen fordert mehr Geld – wäre das eine Lösung des Problems?
Nein, es handelt sich nicht um ein Finanzproblem. Es ist vielmehr ein Problem der Konzeption und der Organisation. Die Bundeswehr ist durch den Wegfall der Wehrpflicht geschrumpft – die Struktur der Bundeswehr ist aber weitestgehend erhalten geblieben, nur eben in kleinerer Form. Der Grundsatz des vorherigen Verteidigungsministers Thomas de Mazières lautete: Die ganze Breite der Fähigkeiten muss gewahrt bleiben. Das ist weder finanzierbar noch realistisch.
Zur Person:
Dr. Hans-Georg Ehrhart ist Mitglied der Geschäftsleitung am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a.: Konfliktforschung und Europäische Sicherheit.
Geht es anderen Armeen da besser?
Um die deutsche Armee steht es nicht wesentlich schlechter als um andere vergleichbare Armeen – etwa die britische oder französische. Die Franzosen und Briten geben etwas mehr Geld für Rüstung aus, intervenieren aber auch öfter. Aber auch sie müssen sparen. Mittlerweile ist die Bundeswehr eine „Armee im Einsatz“. Der Afghanistan-Einsatz hat das unterstrichen – immerhin fielen dabei über 50 Soldaten.
Die Fragen sind: Wie befähigt ist die Bundeswehr nach dem kräftezehrenden Einsatz in Afghanistan noch? Und für welche Einsätze soll sie künftig befähigt werden?





Wie würden Sie diese Fragen beantworten?
Das sind Fragen, die die Politik beantworten muss. Da gibt es allgemeine Äußerungen: Bedrohungen seien schwer erkennbar und vielfältig– da wird beispielsweise der Terrorismus genannt. Aber die Szenarien verändern sich immer wieder.
Der Balkankrieg war ein anderer Einsatz als der Krieg in Afghanistan, wo man sich lange Zeit weigerte, ihn als solchen überhaupt anzuerkennen. Der Einsatz in Afghanistan läuft aus – jetzt gibt es andere Bedrohungen, zum Beispiel das Vorrücken der ISIS im Nahen Osten oder der verdeckte Krieg in der Ukraine. Soll die Bundeswehr sich also weiterhin als Interventions- beziehungsweise Expeditionsarmee betätigen oder sich mehr auf die Bündnisverteidigung konzentrieren oder beides können?
So viele Aufgaben kann Deutschland allein doch gar nicht erfüllen.
Es ist richtig: Die Staaten müssen den Gedanken aufgeben, dass ein einzelner Staat – egal ob Frankreich, Großbritannien oder Deutschland, die ganze Palette der Verteidigungsmöglichkeiten und der Verteidigungsindustrie abdecken kann. Hier braucht es Arbeitsteilung – das ist ein langsamer Prozess, der noch viele Jahre dauern wird.
Eine moderne Armee mit einem beschränkten Budget muss sich auf bestimmte Fachkompetenzen fokussieren. Das heißt allerdings, dass diese Armee auf andere verzichten muss. Dadurch wird sie abhängiger von den Bündnispartnern und der eigene Handlungsspielraum wird eingeschränkt. Andererseits kann man zusammen aber mehr leisten.