David Cameron tritt zurück Politisches Erdbeben in Großbritannien

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Die Nerven bei den Banken liegen blank


Zunächst einmal aber hatten die Märkte das Wort. Der Schock über das Votum war riesig, schließlich hatte die meisten Analysten und Volkswirte eine knappe Mehrheit für den Verbleib in der EU prognostiziert. „Deshalb war auch die erste Reaktion an den Devisenmärkten so unwahrscheinlich negativ“, meint Dean Turner von der Investmentbank UBS. Für Freitagmorgen hatten alle großen Banken Telefonkonferenzen mit Großkunden anberaumt – ihre Nerven dürften nun angesichts der Fehlprognosen der hochbezahlten Finanzexperten blank liegen. Malcolm Sweeting, Senior Partner bei der Rechtsanwaltsfirma Clifford Chance, die ihren Klienten bereits in der Nacht über eine Hotline Rat und Unterstützung anbot, erklärte: „Wir arbeiten mit unseren Kunden daran, sie auf die künftigen Herausforderungen vorzubereiten“.


Tatsächlich hatte am Donnerstag am größten Finanzplatz Europas, dessen Zukunft jetzt auf dem Spiel steht, noch große Zuversicht geherrscht. In Canary Wharf, Londons modernem Finanzzentrum waren auch am Abstimmungstag überwiegend EU-Befürworter zu finden. Will etwa, der am Donnerstagmittag am Rande des großen Springbrunnens vor der Investmentbank Credit Suisse sein Sandwich verzehrte, trug sogar einen „I`M IN“ Sticker. „Klar ich bin für Remain, wie die meisten hier im Finanzdistrikt“ sagt er, schon allein des Geschäfts wegen.

Als Geldwäsche-Experte war er allerdings nicht einer der vielen Banker, die die Nacht zum Donnerstag im Büro verbrachten. Auch Sam und Abysh planten das nicht, hielten sich aber für den Brexit-Fall auf Abruf bereit. Die beiden handeln beruflich mit europäischen und internationalen Aktien beide rechneten mit einer knappen Mehrheit für „Remain“. Sam zeigte dennoch einen Anflug schwarzen Humors: „Vielleicht werde ich ja bald Deutsch lernen und nach Frankfurt umziehen müssen“, sagte er und verzog das Gesicht.

In den Handelsabteilungen der meisten Banken in London brannte allerdings die ganze Nacht das Licht. Ben hatte sich für einen sehr frühen Start am Freitagmorgen gerüstet: „Ich werde schon ab 2.30 Uhr morgens im Büro sein“ textete der Währungsexperte einer internationalen Investmentbank der WirtschaftsWoche am Donnerstagabend. Denn der Devisenhandel kennt keine Pause. Schon um drei Uhr morgens verschickte er eine erste Einschätzung an seine Kunden,  der Yen entwickle sich zur Fluchtwährung, stand dort.

Cameron hinterlässt ein uneiniges Volk

David Camerons Karriere ist zu Ende, auch wenn er nun nicht sofort abtritt, um in dieser schweren Krise ein politisches Vakuum zu verhindern. Matthew Laza, Direktor des britischen Think Tanks Policy Network meint: „Der neue Parteichef – womöglich nicht der Joker Johnson – wird ein Brexit-Vertreter sein.“ Vorgezogene Neuwahlen scheinen nicht unwahrscheinlich, eine Spaltung der Tory-Partei möglich. Denn der Partei drohen Führungskämpfe – als potentielle Nachfolger Camerons halten sich unter anderem Ex-Bürgermeister Johnson und Innenministerin Theresa May bereit.


Auch Finanzminister George Osbornes Rücktritt ist programmiert. Sehr fraglich, ob er den im Brexit-Fall angekündigten Nothaushalt, der neue drastische Sparpläne enthalten sollte, überhaupt noch realisieren kann.

Cameron jedenfalls wird in die Geschichtsbücher als derjenige britische Regierungschef eingehen, der Großbritannien aus der EU geführt und wahrscheinlich auch eine endgültige Abspaltung Schottlands zu verantworten hat. Er hinterlässt ein uneiniges Volk. Möglicherweise sogar ein unregierbares Land.




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