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Debatte um Stabilitätspakt Politiker kritisieren Italiens Reformpläne

Italien stößt mit seinen Forderungen nach mehr Flexibilität bei der Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts in der EU auf Widerstand – nicht mehr nur in Deutschland.

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So kreditwürdig sind die Eurostaaten
Das Centrum für europäische Politik (CEP) hat die Kreditfähigkeit der Euro-Staaten analysiert. Einen besonders intensiven Blick haben die Wissenschaftler auf Belgien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien geworfen. Das Resultat: die Probleme, die zur Euro-Krise geführt haben, bestehen weiterhin - und haben sich sogar auf weitere Länder ausgeweitet. Quelle: dpa
Die Kreditfähigkeit von Spanien nimmt erstmals seit Einführung des Euros zu. Die Ampel für Spaniens Kreditwürdigkeit steht auf grün, das CEP vergibt beim Schuldenindex eine Wertung von 2,3. Ein positiver Wert des CEP-Default-Indexes bei gleichzeitigem gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsüberschuss bedeutet: Das Land benötigt in der betrachteten Periode keine Auslandskredite, es steigert daher seine Kreditfähigkeit. Diese positive Entwicklung dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land noch weitere Konsolidierungs- und Reformmaßnahmen umsetzen muss, um die in den Krisenjahren drastisch angestiegene Staatsverschuldung und die hohe Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Quelle: dpa
Auch für Irland steht die Ampel auf grün. Der ehemalige Krisenstaat hat, wie die kontinuierliche Zunahme der Kreditfähigkeit seit 2010 zeigt, die Krise überwunden. Der Schuldenindex beträgt 6,7, ist also deutlich positiv. Aufgabe muss es nun sein, die Investitionen, die auf fast Null gesunken sind, zu steigern, um die Wirtschaft wieder voran zu treiben. Quelle: dpa
Für Portugal zeigt die Ampel dagegen rotes Licht: Zwar erodiert die portugiesische Kreditfähigkeit noch immer. Der ununterbrochene Anstieg des Schuldenindexes seit 2011 zeigt jedoch, dass Portugal erhebliche Anstrengungen unternommen und Anpassungen bewältigt hat. Derzeit beträgt der Index -2. Unbeschadet dieser positiven Entwicklungen ist es allerdings fraglich, ob Portugal bereits ohne weitere Finanzhilfen auskommen wird, wenn das Anpassungsprogramm Mitte 2014 ausläuft. Quelle: dpa
Auch Italien gehört zu den Ländern mit einer "verfestigten abnehmenden Kreditfähigkeit", wie es beim CEP heißt. Die seit 2009 zu beobachtende Erosion der Kreditfähigkeit von Italien dauere an. Gegenüber 2012 habe sich der Verfall beschleunigt. Es sei fraglich, ob sich dies auf absehbare Zeit ändere. Denn die hierfür notwendigen Reformen und Konsolidierungsmaßnahmen seien von der italienischen Regierung bisher nicht ergriffen worden. Quelle: dpa
Ganz mies ist die Lage in Griechenland: Mit einem Wert von -9,8 hat Griechenland die schlechteste Kreditwürdigkeit aller 31 untersuchten Staaten. Die Kreditfähigkeit des Landes verfällt weiter und zwar deutlich schneller als die aller anderen Euro-Länder. Die Wiedererlangung der griechischen Kreditfähigkeit ist nicht absehbar, die Ampel steht auf dunkelrot. Quelle: dpa
Eine negative Überraschung kam in diesem Jahr aus dem Norden Europas: Belgien und Finnland weisen im ersten Halbjahr 2013 erstmals eine abnehmende Kreditfähigkeit auf. Da beide Länder noch über Auslandsvermögen verfügen, ist die Schuldentragfähigkeit allerdings noch nicht unmittelbar bedroht, die Ampel zeigt gelb-rot. Der CEP-Default-Index liegt im Falle Belgiens bei -0,5, bei Finnland beträgt er -0,1. Ein negativer Wert kann auf zwei Arten entstehen: 1. Die Nettokapitalimporte übersteigen die kapazitätssteigernden Investitionen. Das Land konsumiert über das im Inland erwirtschafteten Einkommen auch einen Teil des Nettokapitalimports. Die Volkswirtschaft verschuldet sich folglich im Ausland, um Konsumausgaben finanzieren zu können. 2. Kapital verlässt das Land, so dass der gesamtwirtschaftliche Finanzierungssaldo positiv ist. Gleichzeitig jedoch schrumpft der Kapitalstock. Das Land verarmt. Quelle: dpa

Die Fronten waren klar verteilt. Hier die Deutschen, die auf die Einhaltung der Stabilitätsregeln drängen, dort die "Schulden-Schlendriane", die sich noch höher verschulden wollen, um das Wachstum anzukurbeln. Doch nun kommt Kritik nicht mehr nur aus Berlin, sondern auch von höchster Stelle.

Der niederländische Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem machte vor Beginn der Beratungen mit seinen EU-Kollegen deutlich, was er von den Plänen aus Rom hält: nicht viel. Die Wettbewerbsfähigkeit müsse verbessert und das Wachstum gesteigert werden. "Italien hat über viele Jahre fast null Wachstum bei der Produktivität vorzuweisen, und das muss sich verbessern." Auf die Frage, ob der Regierung in Rom mehr Flexibilität eingeräumt werden solle, um die Haushaltsziele zu erreichen, antwortete Dijsselbloem: "Wir machen Flexibilität nicht für ein Land, sondern für alle Länder (der EU)".

Vorwand zum Reformstau

Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bekräftigte, dass Investitionen für mehr Wachstum nicht zum Vorwand benutzt werden dürften, dass Regierungen und Parlamente unangenehme Entscheidungen aufschieben. Der österreichische Staatssekretär Jochen Danninger sagte, die Regeln des Stabilitätspaktes müssten buchstabengetreu beachtet werden. Sie böten aber genügend Flexibilität und dürften daher nicht verwässert werden.

Was die Kritiker der Sparpolitik sagen

Italiens Regierung unter Ministerpräsident Matteo Renzi macht sich dafür stark, dass die Regeln des Wachstums- und Stabilitätspakts möglichst flexibel angewandt werden. In Venedig forderte Renzi, dass Kosten für den Ausbau der digitalen Infrastruktur von den Berechnung der Schuldenlast ausgenommen werden sollte. Sein Land hat derzeit den Vorsitz im EU-Rat und kann damit Einfluss auf die Diskussionen in Brüssel nehmen.

Bei der ersten Tagung der EU-Finanzminister unter seinem Vorsitz wies der italienische Minister Pier Carlo Padoan in Brüssel darauf hin, dass sein Land bereits Reformen angepackt habe. "Als Vorsitzender (des EU-Ministerrates) ist es mein Ziel, jedem Land dabei zu helfen, Anreize für Reformen zu finden."

Drei Säulen

Bei den Beratungen hinter verschlossenen Türen stellte Italien Delegationskreisen zufolge die drei Säulen zur Ankurbelung von Wachstum und Beschäftigung vor: So müssten die Integration in der EU ebenso wie Strukturreformen vorangebracht werden. Zudem solle es mehr finanzielle Unterstützung bei Investitionen geben.

Die italienische Schuldenlast schwillt Schätzungen zufolge bis Ende diesen Jahres auf 135 Prozent gemessen an der Wirtschaftsleistung an. Nach den EU-Regeln müssen die Mitgliedsstaaten ihre Schulden auf 60 Prozent drücken. Wenn ein Land Reformen anpackt, kann allerdings mehr Zeit eingeräumt werden. Die EU-Kommission, die über die Einhaltung der Regeln wacht, wies bereits darauf hin, dass die Reformen tatsächlich umgesetzt und nicht nur angekündigt werden müssten.

Neuer Präsident der EU-Kommission möchte weiterhin Jean-Claude Juncker werden. Mit einer Anhörung durch die sozialdemokratische Fraktion hat der Luxemburger am Dienstag eine Reihe von Vorstellungsgesprächen im Europaparlament begonnen. Die Abgeordneten sollen am 15. Juli darüber entscheiden, ob sie Junckers Ernennung zustimmen. Am Dienstag waren in Brüssel noch weitere Gespräche mit den europaskeptischen Konservativen und den Liberalen geplant.

Am Mittwoch stellt sich Juncker auch den Fraktionen von Grünen, Linken, Christdemokraten und EU-Gegnern. Die Sozialdemokraten verlangen von Juncker vor allem eine mehr auf Wachstum ausgerichtete Politik, die Liberalen aber pochen auf strikte Einhaltung des Stabilitätspaktes. (mit dpa, Reuters)

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