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Denkfabrik

Baut endlich das Steuersystem um!

Martin Feldstein Quelle: Bloomberg, Montage
Martin S. Feldstein US-amerikanischer Ökonom, Professor für Wirtschaftswissenschaften und ehemaliger Oberster Wirtschaftsberater für US-Präsident Ronald Reagan Zur Kolumnen-Übersicht: Post aus Harvard

Die geldpolitische Strategie im Euro-Raum wirkt kaum. Gleichzeitig machen hohe Schulden staatliche Ausgabenprogramme unmöglich. Die Politik sollte Investitionen durch den Umbau des Steuersystems ankurbeln.

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Verbände fordern Kalorienbomben-Steuer
Mit Blick auf die steigende Zahl von Diabetes-Erkrankungen in Deutschland haben Fachgesellschaften erneut höhere Steuern für ungesunde Lebensmittel wie Fast Food, Chips und Süßes gefordert. Ein sinnvoller Weg könnte der volle Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf besonders kalorienreiche und ballaststoffarme Produkte sein, teilte die Deutsche Diabetes Gesellschaft in Berlin mit. Neben dieser Zucker-Fettsteuer sollten gesunde Lebensmittel wie Obst und Gemüse dagegen bewusst gering besteuert werden. Für viele Lebensmittel gilt bisher ein Steuersatz von sieben Prozent. Nach Angaben der Gesellschaft ist die Zahl der Diabetes-Erkrankungen in Deutschland von 1998 bis 2011 um 38 Prozent auf über sechs Millionen gestiegen. Zu den Hauptgründen zählen falsche Ernährung und Bewegungsmangel. Quelle: dpa
Seit Januar 2014 gilt in Berlin eine City-Tax. Pro Übernachtung sollen Besucher eine zusätzliche Steuer von fünf Prozent des Netto-Übernachtungspreises entrichten. Die Berliner Regierung erhofft sich Einnahmen in Höhe von 20 Millionen Euro. Quelle: dpa
Die Sexsteuer ist eine beliebte Einnahmequellen der Kommunen. Köln verlangt diese Vergnügungssteuer bereits seit 2003 von Bordell-Betreibern und Prostituierten. Seit Februar 2009 erhebt auch Oberhausen eine Vergnügungssteuer. Dort müssen Prostituierte pro Arbeitstag sechs Euro zahlen. Quelle: dpa
Eine kuriose Steuer haben sich die Kommunalpolitiker aus Fürth einfallen lassen: In der mittelfränkischen Stadt wird eine Luftsteuer erhoben. Die Politiker verlangen von den Betreibern von Zigaretten-, Kaugummi- oder Handykarten-Automaten Geld, wenn an Hausfassaden angebrachte Automaten mehr als 15 Zentimeter wegragen. Kritiker glauben nicht, dass sich der Aufwand lohnt. Ähnliches droht Bergisch Gladbacher Geschäftsleuten: Für Werbeanlagen und Leuchtreklamen vor Geschäften, die mehr als 30 Zentimeter in öffentlichen Verkehrsraum hineinragen, will die Stadt Sondernutzungsgebühren kassieren. Quelle: dpa
Reichlich umstritten, aber eine einträgliche Abgabe für den Staat: Die Kaffeesteuer spülte in den Jahren 2007 bis 2010 jeweils rund eine Milliarde Euro in die Bundeskasse. Für Röstkaffee beträgt die Steuer 2,19 Euro je Kilogramm für Kaffeepulver 4,78 das Kilogramm. Quelle: dpa
Dir Kuriosität der Mehrwertsteuer lässt sich besonders schön an der Curry-Wurst erläutern: Wer seine Curry-Wurst im Fast-Food-Restaurant ist, der zahlt den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent, wer sie einpacken lässt und zu Hause verspeist zahlt nur sieben Prozent, also den ermäßigten Satz. Quelle: dpa
Hamburg hat zum 1. Januar 2013 eine Kulturtaxe eingeführt. Die Einnahmen sollen zu 100 Prozent in touristische, kulturelle und sportliche Projekte investiert werden. Der Steuersatz ist je nach Übernachtungspreis gestaffelt. Bei einem Preis von 46 Euro ergibt sich etwa eine Kulturtaxe von 1 Euro, informiert " Hamburg Tourismus" auf seiner Webseite. Foto: Grand Elysée Hotel in Hamburg Quelle: Presse

Es ist ein unerwartet umfangreiches Programm, das die Europäische Zentralbank (EZB) auf ihrer vergangenen Sitzung eingeleitet hat. Trotzdem befürchten selbst dessen Befürworter, dass der geldpolitische Einstieg in das sogenannte Quantitative Easing (QE) nicht ausreicht, um in der Euro-Zone die Realeinkommen zu erhöhen, die Arbeitslosigkeit zu senken und die staatlichen Schuldenquoten zu verringern. Ich sage: Diese Angst ist durchaus berechtigt.

Sicher: Die expansive Geldpolitik und die geplanten Anleihekäufe der EZB drücken den Wechselkurs. Der schwächere Euro wird in den Ländern der Währungsunion den Export ankurbeln – der etwa zur Hälfte in externe Märkte geht – und damit das Bruttoinlandsprodukt (BIP) erhöhen. Durch die Abwertung erhöhen sich die Importpreise und damit die Inflationsrate insgesamt, was die Euro-Zone, wie von der EZB gewünscht, vor Deflation schützt.

Zinsen gedrückt

Doch reicht all dies nicht aus. Der Erfolg der quantitativen Lockerung in den USA lässt sich nicht auf Europa übertragen, denn hier ist die Ausgangslage völlig anders. Als die US-Notenbank Fed 2008 mit ihrem groß angelegten Ankauf von Vermögenswerten begann, lag der Zinssatz für zehnjährige Schatzanleihen bei fast vier Prozent. Das aggressive Ankaufprogramm und das Fed-Versprechen, die kurzfristigen Zinsen langfristig niedrig zu halten, drückten die langfristigen Zinsen auf 1,5 Prozent. Daraufhin kauften die Anleger mehr Aktien, was die Kurse in die Höhe trieb. Die niedrigen Hypothekenzinsen führten gleichzeitig zu steigenden Häuserpreisen.

Zur Person

Beides zusammen erhöhte das Nettovermögen der privaten Haushalte allein 2013 um zehn Billionen Dollar. Der Vermögenseffekt feuerte den Konsum an, ermunterte die Unternehmen zu Investitionen und Neueinstellungen – was mehr Einkommen und noch mehr Konsumausgaben bedeutete. Ergebnis: Das reale BIP-Wachstum in den USA kletterte in der zweiten Jahreshälfte 2013 auf vier Prozent. Nach einem wetterbedingten Einbruch im ersten Quartal 2014 wuchs das BIP anschließend weiter mit einer Jahresrate von über vier Prozent.

Der Erfolg von QE in den USA spiegelte die Fähigkeit der Fed wider, die langfristigen Zinsen zu drücken. Im Gegenzug dazu sind die Langfristzinsen in der Euro-Zone aber schon jetzt extrem niedrig. Bei zehnjährigen Staatsanleihen liegen sie in Deutschland und Frankreich bei etwa 50 Basispunkten, in Italien und Spanien bei 150 Basispunkten. Der zentrale Mechanismus, der in den USA die Wirtschaft in Schwung gebracht hat, dürfte daher in der Euro-Zone kaum funktionieren.

Zusätzliche Belastung für Familien (Ehepaar mit 2 Kindern) durch die kalte Progression in dieser Legislaturperiode ab einem zu versteuerndem Jahreseinkommen* von:

Was also ist nötig, um die Wirtschaft der Euro-Zone wieder auf Vordermann zu bringen? Zunächst dürfen die Länder nicht im Vertrauen darauf, dass die Anleihekäufe der EZB ihre Probleme lösen, in ihren Reformanstrengungen nachlassen. Doch selbst wenn es Länder nicht schaffen, politische Hürden für die Umsetzung von Strukturreformen auf den Arbeits- und Produktmärkten zu überwinden, können sie eine Politik umsetzen, die die Gesamtnachfrage anregt.

Die hohen Schulden der großen Euro-Länder machen traditionelle keynesianische Strategien – also ein höheres Haushaltsdefizit durch höhere Ausgaben oder sinkende Steuern zur Ankurbelung der Nachfrage zu akzeptieren – zwar unmöglich. Doch können die Regierungen die Struktur der Steuern auf eine Weise ändern, die private Ausgaben anregt, ohne die Steuereinnahmen insgesamt zu verringern oder die Haushaltsdefizite zu erhöhen.

Jeder Euro-Staat hat es in der Hand, durch veränderte Steuervorschriften die Investitionen der Unternehmen, den Bau von Eigenheimen und den Konsum anzuregen, ohne dabei das Haushaltsdefizit zu erhöhen. Beispiel Investitionen: Steuergutschriften oder schnellere Abschreibungsmöglichkeiten senken die Investitionskosten und steigern die Kapitalrendite nach Steuern. Der hieraus resultierende Verlust an Steuereinnahmen ließe sich zum Beispiel durch eine höhere Körperschaftsteuer auffangen.

Käufe vorziehen

In ähnlicher Weise lässt sich die Eigenheimnachfrage erhöhen – indem man den Eigentümern zum Beispiel gestattet, ihre Hypothekenzinsen wie in den USA von der Steuer abzusetzen. Auch vorübergehende Steuergutschriften auf den Eigenheimerwerb dürften den Wohnungsbau ankurbeln, sodass jetzt mehr und später weniger gebaut würde. Eine schrittweise Anhebung der Mehrwertsteuer schließlich wäre ein Anreiz für die Konsumenten, Käufe vorzuziehen, bevor die Preise steigen. Die durch die höhere Mehrwertsteuer verursachte Verringerung der Realeinkommen ließe sich durch eine Kombination aus sinkenden Einkommensteuern, verringerten Sozialabgaben und erhöhten Transfers ausgleichen.

Die Euro-Staaten vermögen weder die Zinsen noch den Wechselkurs direkt zu steuern. Aber sie können ihr eigenes Steuerrecht so modifizieren, dass die heimische Nachfrage angekurbelt wird. Es liegt an den nationalen politischen Führungen, dies zu erkennen und umzusetzen.

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