Die neue WiWo App Jetzt kostenlos testen
Download Download
Denkfabrik

"David Cameron hat mit seiner EU-Kritik recht"

Die Drohung Großbritanniens, die Europäische Union zu verlassen, ist ein politisches und ökonomisches Alarmsignal. Deutschland sollte eine Initiative zur Neuordnung der EU ergreifen, die den Subsidiaritätsgedanken stärkt – und den Briten so den Verbleib in der EU ermöglicht.

  • Artikel teilen per:
  • Artikel teilen per:
Aus Davos zurückgekehrt holt den britischen Premier die Realität ein: die Wirtschaft ist geschrumpft und seine innerparteilichen Rivalen scharren mit den Hufen. Lachender Dritte ist der Chef der Labour-Partei.
von Yvonne Esterházy

Viele Politiker in Brüssel und Paris, aber auch einige in Berlin haben mit Spott auf die Ankündigung David Camerons reagiert, sein Volk über die EU-Mitgliedschaft abstimmen zu lassen. Aber so einfach wird man das Thema nicht mehr los. Großbritannien ist noch immer das weltweit einflussreichste Land Europas. Camerons Entscheidung wird und muss Europa verändern.

Der britische Premierminister hat seinen Schritt nicht aus freien Stücken getan. Es war die EU selbst, die ihn mit ihrer Entscheidung für die Tobin-Steuer (nun „Finanztransaktionssteuer“ genannt) provozierte. Man kann von dieser Steuer halten, was man will. Sie ist eine läppische Kleinigkeit von unklarem Nutzen – aber ein Nadelstich im Fleisch der Briten. Ihretwegen den EU-Austritt Großbritanniens zu riskieren war eine grobe Fahrlässigkeit.

Was die Briten an der EU stört
Mittelstand könnte beim Brexit-Referendum am 23. Juni den Ausschlag geben Quelle: dpa, Montage
Nationale IdentitätAls ehemalige Weltmacht ist Großbritanniens Politik noch immer auf Führung ausgelegt. London ist gewohnt, die Linie vorzugeben, statt sich mühsam auf die Suche nach Kompromissen zu begeben. „London denkt viel mehr global als europäisch“, sagt Katinka Barysch, Chefökonomin beim Centre for European Reform in London. Die Angst, von EU-Partnern aus dem Süden Europas noch tiefer in die ohnehin schon tiefe Krise gezogen zu werden, schürt zusätzliche Aversionen. Quelle: dpa
Finanztransaktionssteuer und Co.Die Londoner City ist trotz massiven Schrumpfkurses noch immer die Lebensader der britischen Wirtschaft. Großbritannien fühlt sich von Regulierungen, die in Brüssel ersonnen wurden, aber die City treffen, regelrecht bedroht. „Regulierungen etwa für Hedgefonds oder die Finanztransaktionssteuer treffen London viel mehr als jeden anderen in Europa“, sagt Barysch. Allerdings hatte die Londoner City in der Finanzkrise auch mehr Schaden angerichtet als andere Finanzplätze. Quelle: dpa
Regulierungen des ArbeitsmarktsGroßbritannien ist eines der am meisten deregulierten Länder Europas. Strenge Auflagen aus Brüssel, etwa bei Arbeitszeitvorgaben, stoßen auf wenig Verständnis auf der Insel. „Lasst uns so hart arbeiten wie wir wollen“, heißt es aus konservativen Kreisen. Quelle: dapd
EU-BürokratieDie Euroskeptiker unter den Briten halten die Bürokratie in Brüssel für ein wesentliches Wachstumshemmnis. Anti-Europäer in London glauben, dass Großbritannien bilaterale Handelsabkommen mit aufstrebenden Handelspartnern in aller Welt viel schneller aushandeln könne als der Block der 27. Die Euroskeptiker fordern auch, dass der Sitz des Europaparlaments in Straßburg (hier im Bild) abgeschafft wird und die Abgeordneten nur noch in Brüssel tagen. Quelle: dpa
MedienDie britische Presse ist fast durchgehend europafeindlich und prägt das Bild der EU auf der Insel. Das hat auch politische Wirkung. „Ich muss meinen Kollegen in Brüssel dauernd sagen, sie sollen nicht den 'Daily Express' lesen“, zitiert die „Financial Times“ einen britischen Minister. Quelle: dpa

Jene, die diese Steuer durchgedrückt haben, wohlwissend, dass sie damit Großbritannien reizen, haben das europäische Einigungswerk gefährdet. Nicht von ungefähr hielt Cameron seine Austrittsrede einen Tag nach dem entsprechenden Mehrheitsbeschluss der EU-Länder.

Zwei Anläufe

Es hatte zwei Anläufe gebraucht, bis Großbritannien 1973 endlich Mitglied in der Europäischen Gemeinschaft wurde. Der erste Versuch war 1963 an Frankreichs Veto gescheitert. Deutschland hatte sich seinerzeit für den Beitritt stark gemacht, weil es darin ein Mittel sah, die merkantilistischen Absichten der Franzosen, die der deutschen Industrie nur hätten schaden können, abzublocken.

Außerdem war klar, dass die EU ohne Großbritannien niemals die politische Position in der Welt würde einnehmen können, die man anstrebte. Es hat seitdem zur deutschen Staatsräson gehört, Großbritannien fest in das europäische Einigungswerk einzubinden. Soll das nun nicht mehr gelten?

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%