Denkfabrik

Warum die EZB vor Deflation warnt – und sie damit erst schafft

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Deflationsfalle befürchtet

Normalerweise schauen Anleger durch ein solches Inflations-Tal hindurch – erst recht mit Blick auf die Inflation in fünf bis zehn Jahren. Aber die Anleger waren durch die EZB für Deflationsgefahren sensibilisiert und sahen nun offenbar die Gefahr, dass die durch den Ölpreisverfall gedrückte Inflation im negativen Bereich hängen bleiben könnte.

Sie befürchteten eine Deflationsfalle, aus der es – siehe Japan – angeblich kein Entkommen gibt. Im Januar 2015, als sich der Ölpreis verglichen mit Mitte 2014 mehr als halbiert hatte, sanken die aus Inflations-Swaps abgeleiteten langfristigen Inflationserwartungen unter 1,5 Prozent (siehe Grafik). Danach bewegten sie sich mit dem Auf und Ab des Ölpreises. Mittlerweile liegen sie noch immer weit unter zwei Prozent, obwohl die EZB seit März im großen Stil Anleihen kauft und die Zentralbankgeldmenge stark steigt.

Aus Inflationsswaps abgeleitete Inflationserwartungen für fünf Jahre

Anders als vor Mitte 2014 sind die langfristigen Inflationserwartungen im Euro-Raum nicht mehr verankert – vor allem, weil die EZB mit ihrem Deflationsgerede die Märkte verunsichert hat. Die Deflationswarnungen der EZB haben sich selbst erfüllt; die durch ihre Anleihekäufe in Umlauf gekommene Liquidität hat die Inflationserwartungen nicht wie angestrebt bei zwei Prozent verankert, sondern gesenkt.

Das ist eine desaströse Bilanz. Ein unvoreingenommener Beobachter würde erwarten, dass die EZB die kontraproduktiven Anleihekäufe einstellt. Tatsächlich erwägt sie das Gegenteil. Die weit unter zwei Prozent liegenden langfristigen Inflationserwartungen sind für sie ein Argument, im Zweifel die Anleihekäufe über September 2016 hinaus zu verlängern und sogar das monatliche Kaufvolumen aufzustocken. Sie scheint bereit, mehr vom Falschen zu tun.

Es drängt sich der Eindruck auf, als nutze eine Mehrheit im EZB-Rat die niedrigen marktbasierten Inflationserwartungen als willkommenes Argument, Staatsanleihen zu kaufen – und so den Finanzministern der hoch verschuldeten Euro-Länder zu helfen.

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