Würden wir nicht alle mal gern am Farbkopierer ein paar Euro-Scheine drucken – nur für den persönlichen Gebrauch? Wir tun es nicht, weil das zu Recht strafbar ist. Mit einer fatalen Ausnahme: Was Sie und ich nicht dürfen, ist – im übertragenen Sinne – gängige Praxis der nationalen Zentralbanken in den 19 Euro-Staaten.
Zur Person
Dirk Meyer, 58, ist seit 1994 Professor für Ordnungsökonomik am Institut für Volkswirtschaftslehre der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr in Hamburg.
Im Dezember erfuhr die Fachwelt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) mit den nationalen Zentralbanken ein Geheimabkommen mit der Bezeichnung „Agreement on Net Financial Assets“ (Anfa) geschlossen hat. Erst nach erheblichem Druck von Wissenschaftlern und Medien bequemte sich der EZB-Rat Anfang Februar zur Veröffentlichung dieses „Abkommens über finanzielle Nettovermögen“, das im Kern die Lizenz zum Gelddrucken beinhaltet.
Das Abkommen legt Regeln und Obergrenzen für Wertpapierbestände fest, welche die nationalen Zentralbanken auf eigene Rechnung und eigenes Risiko kaufen dürfen – womit sie automatisch die Geldmenge erhöhen. 2006, vor der Banken- und Staatsschuldenkrise, betrug das Nettovolumen dieser Geldschöpfung auf nationaler Ebene 274 Milliarden Euro. Es stieg bis 2011 auf 599 Milliarden und beträgt derzeit 490 Milliarden Euro. Im Gegenzug für die Käufe werden stets Banknoten ausgegeben, oder es entsteht ein Guthaben bei der jeweiligen nationalen Zentralbank. Es findet also autonome Geldschöpfung in den Einzelstaaten statt.
Die EZB gibt jedes Jahr Obergrenzen für diese Käufe vor und will so die Kontrolle über die Bilanzsumme des Euro-Systems und damit über ihre Geldpolitik sichern. Die Sache wäre darum relativ unbedenklich, wenn alle Notenbanken gleichmäßig beteiligt wären, entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil oder Bruttoinlandsprodukt. Das ist aber nicht der Fall.
Zusätzliche Einnahmequelle durch Geldschöpfung
Im Gegenteil: Während die Bundesbank 2014 ihre Bilanz nur um 1,6 Prozent durch nationale Geldschöpfung verlängert hat, liegen die Anteile bei den Zentralbanken in Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und Portugal zwischen 15 und 25 Prozent. Die mit dieser eigenen Geldschöpfung erzielten Wertpapiererträge stellen eine zusätzliche Einnahmequelle dar, die diese Ländern nicht mit anderen Euro-Staaten teilen müssen.
Noch problematischer ist die Tatsache, dass die meisten so angekauften Wertpapiere Staatsanleihen sind. In den drei Jahren von 2010 bis 2012 lagen die Anteile von Staatsschuldpapieren in den entsprechenden Bilanzpositionen der Notenbanken von Italien, Spanien, den Niederlanden, Belgien, Griechenland und Portugal zwischen 70 und 97 Prozent. Das kann man durchaus als versteckte Staatsfinanzierung durch die Zentralbanken bezeichnen.
Die EZB vorm Bundesverfassungsgericht
Im Kern geht es um das historische Versprechen von EZB-Präsident Draghi aus dem Sommer 2012. Als die Eurozone vor der Zerreißprobe stand, erklärte der Italiener: „Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten.“ Wenig später beschloss die Notenbank, unter bestimmten Bedingungen notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten zu kaufen. Dieses Kaufprogramm mit dem Namen „Outright Monetary Transactions“ (OMT) beschäftigt die Juristen bis heute.
Nein. Kritiker werfen der Notenbank dennoch vor, sie habe mit dem OMT-Beschluss ihre Kompetenzen überschritten. Über Anleihenkäufe finanziere die EZB letztlich Staatsschulden mit der Notenpresse. Das mache die Notenbank abhängig von den jeweiligen Staaten und gefährde ihre Unabhängigkeit. Zudem lähme es die Reformbereitschaft, wenn sich Regierungen darauf verließen, dass es notfalls die EZB richten werde.
Das höchste deutsche Gericht kam Anfang 2014 zu dem Schluss, die EZB habe mit dem OMT-Beschluss ihre Kompetenzen überschritten. Laut EU-Vertrag dürfe sie keine eigenständige Wirtschaftspolitik betreiben. Zudem verstoße der OMT-Beschluss gegen das Verbot der Mitfinanzierung von Staatshaushalten. Zur Klärung von EU-Recht gab Karlsruhe das Thema aber an den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Der EuGH entschied: Grundsätzlich darf die EZB zur Euro-Rettung Staatsanleihen kaufen. Das OMT-Programm aus dem Sommer 2012 sei rechtmäßig: „Das Programm überschreitet nicht die währungspolitischen Befugnisse der EZB und verstößt nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten.“ Die Schritte der Notenbank müssten jedoch verhältnismäßig und gut begründet sein und dürften keine wirtschaftspolitische Maßnahme sein. Insgesamt wurde der Gerichtshof seinem Ruf gerecht, eher großzügig zu sein, wenn es um Kompetenzen von EU-Institutionen geht. Bisher hatten die Luxemburger Richter keine Einwände gegen Rettungsbemühungen in der Euro-Schuldenkrise.
Nein, denn der EuGH entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Auf Basis des EuGH-Urteils haben die deutschen Richter nun zu bewerten, ob die Anleihenkäufe verfassungsgemäß sind. 2014 hatten sie mitgeteilt, ob der OMT-Beschluss der EZB mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sei, könne letztlich erst geklärt werden, wenn der EuGH die vorgelegten Fragen beantwortet habe. Ein Urteil wird frühestens in einigen Monaten erwartet.
Volkswirte fordern, das Bundesverfassungsgericht solle sein Urteil zumindest dazu nutzen, deutsche Vorbehalte festzuschreiben. „Wir sind dafür, dass das Bundesverfassungsgericht ein Signal nach Luxemburg und Frankfurt sendet, dass man nicht einfach machen kann, was man will“, betont der Wirtschaftsweise Lars Feld. Durch eine Begründung, die von der Pro-EZB-Entscheidung des EuGH abweicht, könnte sich Deutschlands höchstes Gericht auf nationaler Ebene die Kontrolle über künftige EZB-Maßnahmen zur Euro-Rettung vorbehalten. Beobachter halten eine solche Kompromiss-Linie für durchaus wahrscheinlich. Dass Karlsruhe das EuGH-Urteil komplett verwirft, wird nicht erwartet.
Direkt nichts. Denn es geht nicht um die Anleihenkäufe, die seit dem 9. März 2015 laufen („Quantitative Lockerung“ oder englisch „Quantitative Easing/QE“). Doch weil auch gegen dieses aktuelle Programm bereits eine Verfassungsbeschwerde vorliegt, wird die Karlsruher Entscheidung mit Spannung erwartet. Beim QE-Programm investiert die EZB monatlich 60 Milliarden Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere - und das bis mindestens März 2017. Wichtiger Unterschied zum OMT-Programm: Das Geld fließt nicht nur in Papiere von Krisenstaaten, sondern in Anleihen aus dem gesamten Euroraum. Das frische Zentralbankgeld soll über Geschäftsbanken als Kredit bei Unternehmen und Verbrauchern ankommen. Das könnte Investitionen und Konsum anschieben und soll so auch die Inflation anheizen.
Wie gefährlich das ist, lehrt das Beispiel Griechenland. Zur Zeit der Verhandlungen über das dritte Hilfspaket 2014 und 2015 waren bis zu 90 Milliarden Euro als Notkredite der Zentralbank in Athen an die überschuldeten griechischen Geschäftsbanken ausgeliehen. Teilweise dienten die Kredite indirekt der Zwischenfinanzierung des griechischen Staates bis zur Freigabe der Rettungsmittel aus dem Hilfspaket. Teilweise finanzierten sie auch die Kapitalflucht griechischer Privatleute. Bei einer Staatspleite und einem Euro-Austritt Griechenlands hätten die anderen 18 Notenbanken der Euro-Zone die Verluste tragen müssen.
Gewinne werden also nationalisiert, Verluste hingegen europäisiert. Die Zinsen risikoreicher Staatspapiere fließen über die Gewinnabführung der nationalen Notenbank zum Jahresende an den Fiskus zurück, womit Krisenländer faktisch zinsfrei ihr Budget finanzieren. Im eigenen Interesse der Staaten werden Geldpolitik und Fiskalpolitik zunehmend verschmolzen, ohne dass die EZB eingreift. Das so geschaffene Geld verlängert die Krise und vermindert die Anreize für Anpassungen.
Aus diesen Gründen ist das national geschaffene zusätzliche Geld ein Sprengsatz für die Währungsunion. Darum muss die Euro-Zone wieder zu einer wirklichen Emissionsgemeinschaft werden, in der Geldschöpfung ausschließlich zentral durch das Euro-System und den EZB-Rat vorgenommen und kontrolliert wird. Entsprechend gilt es, die heutigen institutionellen Konstruktionsfehler zu beseitigen. Es darf auch in Krisenzeiten keine Managementfehler mehr geben, die auf eine fiskalpolitisch motivierte und die Unabhängigkeit der EZB gefährdende Geldpolitik hinauslaufen.