Bleibt der Euro? Bleiben alle derzeitigen Länder im Euro – oder scheiden einzelne Länder wie Griechenland aus? Oder bilden sich zwei Euro-Blöcke – einer im Norden um Deutschland mit Holland, Belgien, Finnland und Österreich; und einer im Süden, mit Frankreich und Italien als Protagonisten? Diese Fragen können heute nicht abschließend beantwortet werden. Die Politik hat sich festgelegt: Der Euro ist unumkehrbar. Die Anstrengungen, die vielen hundert Milliarden Euro, die zur Rettung des Euro als Währungssystem mobilisiert wurden, bekräftigen den Anspruch der Politik. Der von ihr vorgezeichnete Weg ist deutlich: Schrittweise sollen die offenkundigen Fehler in der Euro-Konstruktion beseitigt werden.
Dabei geht es im Wesentlichen darum, zukünftig einzelne Länder daran zu hindern, sich zu hoch zu verschulden. Eine Vielzahl von Regelungen und Verträgen zwischen den Staaten, das so genannte „Sixpack“, soll dies verhindern. Das sind sicherlich die richtigen Schritte hin zu einer einheitlichen europäischen Wirtschaftspolitik, die notwendig ist, um eine einheitliche Währung zu ermöglichen. Aber dabei sind die Gemeinsamkeiten schon zu Ende.
Die Südländer, angeführt von Frankreich, fordern einen weiteren Ausbau der Umverteilung aus Europa zu Lasten der nördlichen Stabilitätsländer, etwa durch Eurobonds, also einer gemeinschaftlichen Haftung aller für die Schulden – durch eine vereinheitlichte europaweite Bankaufsicht unter dem Dach der Europäischen Zentralbank und durch direkte Hilfsmaßnahmen für die wachstumsschwachen Länder Südeuropas. Außerdem soll Deutschland durch massive Lohnerhöhungen seinen Wettbewerbsvorsprung abbauen. Der Preis, den deutsche Politiker dafür verlangen, ist eine weitere Zentralisierung der Mitgliedsstaaten. So soll ein „Währungskommissar“ eingreifen können, wenn ein Euro-Mitgliedsland zu viele Schulden aufnimmt. Gerade das, die Abgabe nationaler Entscheidungsspielräume an Brüssel, wollen aber die anderen Staaten nicht.
Die Szenarien für den Euro-Raum
Was passiert: Alles bleibt beim Alten
Wahrscheinlichkeit: Hoch
Folgen: Instabile Konjunkturentwicklung und hohes Maß an Planungsunsicherheit für europäische Unternehmen
Was passiert: Griechenland verlässt die Euro-Zone
Wahrscheinlichkeit: Mittel
Folgen: Schwindendes Vertrauen in den Euro und Gefahr eines Dominoeffekts für Italien, Spanien, Portugal und Irland
Was passiert: Euro-Bonds mit gemeinsamer Schuldenhaftung
Wahrscheinlichkeit: Mittel
Folgen: Stabilisierung der Finanzmärkte, mehr Planungssicherheit für Unternehmen, aber mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung
Was passiert: Aufspaltung der Euro-Zone mit Nord- und Süd-Euro
Wahrscheinlichkeit: Gering
Folgen: Starker Nord-Euro gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der Nord-Zone und die Stabilität der innereuropäischen Lieferketten
Damit hat sich die Euro-Rettungspolitik festgefahren – bestenfalls. Denn viele Kritiker wie etwa der Chef des Münchner ifo-Instituts Hans-Werner Sinn befürchten, dass Deutschland schrittweise eben doch den südeuropäischen Forderungen nachgeben wird und immer neue Milliardentransfers akzeptieren muss. Deshalb fordert auch der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, endlich die deutsche Bevölkerung über die wahren Lasten der Euro-Rettung zu informieren, die Steinbrück unvermeidlich auf Deutschland zukommen sieht.
Der Euro hat seinen Charakter geändert
Das zeigt: Der Euro hat in den vergangenen zwei Jahren seinen Charakter schrittweise geändert. Aus einer Währung, die von eigenverantwortlichen Ländern gemeinsam getragen wird und in der jeder für sich selbst verantwortlich ist, ist längst ein Haftungsverbund geworden, viele fürchten sogar eine Umverteilungsmaschine.
Aber das ist nicht die einzige Änderung seines Charakters, die der Euro erfahren hat. Ursprünglich war es in den Verträgen zur Gründung des Euro strikt verboten, dass Staaten sich mit Hilfe der Europäischen Zentralbank verschulden können. Mittlerweile hat die EZB im Wert von rund 200 Milliarden Euro vor allem griechische Staatsanleihen aufgekauft und erklärt, in „unbegrenzter Höhe“ weitere Aufkaufprogramme umsetzen zu wollen; allenfalls zeitlich begrenzt und an Reformauflagen gebunden. Daneben hat die EZB über viele Kanäle immer wieder griechische Staatsanleihen gekauft, wenn das Balkanland zahlungsunfähig war – auch ohne Auflagen und Kontrollen. Faktisch finanziert die EZB damit die Schulden der Staaten. Das ist, ganz egal was die Verträge hergeben oder nicht, ein brandgefährlicher Vorgang: So können Regierungen unbegrenzt Schulden machen. In der Wirtschaftsgeschichte hat dies immer wieder dazu geführt, dass die Währung zerrüttet wurde und Inflation Wirtschaft und Menschen ruinierte.
Was Angela Merkel und Wolfgang Schäuble zur Euro-Rettung erklärt haben - und was daraus wurde
„Das sind Obergrenzen“, sagte Schäuble zum deutschen Anteil von 22,4 Milliarden Euro beim ersten Griechenland-Rettungspaket. Später kommt ein zweites Griechenland-Paket, der deutsche Anteil steigt auf bis zu 38 Milliarden Euro.
„Was es nicht geben kann, ist ein Herauskaufen von Ländern in finanziellen Schwierigkeiten“, erklärte Merkel zusammen mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Doch zu diesem Zeitpunkt kaufte die EZB bereits Staatsanleihen auf.
„Mit der christlich-liberalen Koalition wird es keine Vergemeinschaftung von Schulden geben.“ Vier Monate nach Merkels Versprechen beschließen die Staats- und Regierungschefs, dass auch der EFSF Anleihen von Krisenländern aufkaufen darf.
„Der europäische Rettungsschirm hat eine Obergrenze von 440 Milliarden Euro – auf Deutschland entfallen 211 Milliarden. Und das war es. Schluss.“ Später stimmt Schäuble doch dem 500-Milliarden-Euro-Rettungsschirm ESM zu.
„Die Bundesregierung sieht derzeit keine Notwendigkeit für eine Debatte über eine Erhöhung der Kapazitäten von EFSF und ESM“, so die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung. Nun wird auf mindestens 700 Milliarden Euro aufgestockt.
Und noch eine weitere Problematik belastet den Euro: gedacht war er, um Europa noch näher zusammenzuführen, um die europäische Einigung zu vertiefen. Die aufbrechenden Verteilungskonflikte aber haben eher einen Keil zwischen die Nationen getrieben, statt sie zu verbinden. Auch die Spaltung zwischen den Euro-Staaten und den Nicht-Eurostaaten, allen voran Großbritannien, aber auch Schweden und Polen, wächst. Sie fühlen sich durch die engere Zusammenarbeit der Euro-Länder ausgegrenzt, ohne selbst der Chaos-Gemeinschaft beitreten zu wollen. Mit jedem Monat der Euro-Krise schrumpfen die unbestreitbaren Vorteile der gemeinsamen Währung, und die Kosten wachsen, ohne dass ein plausibler Ausweg sichtbar wäre; auch ein Auseinanderbrechen des Euro wäre mit hohen Risiken verbunden.
Damit stellt sich die Frage weniger, ob der Euro bleibt – irgendwie wird er bleiben. Entscheidender ist, wie er bleibt. Da besteht die Gefahr, dass er sich immer weiter von dem Vorbild einer soliden Währung entfernt. Gerade die Deutschen aber erinnern sich, dass die kluge Währungspolitik der Deutschen Bundesbank und die Stabilität der Deutschen Mark Maßstab für die Funktionsfähigkeit des Euro ist.