In Litauen mangelt es Soldatinnen und Soldaten an Socken und Unterwäsche, beim Kommando Cyber- und Informationsraum sind fast 2000 Stellen von IT-Feldwebeln vakant, der 1972 eingeführte Transporthubschrauber CH-53 ist kaum noch einsatzfähig – das meint Heeresinspekteur Alfons Mais, wenn er schreibt: Die Bundeswehr „steht mehr oder weniger blank da“. Dass er sich ausgerechnet an dem Tag auf dem Netzwerk LinkedIn so „angefressen“ äußert, an dem Russland einen Krieg in der Ukraine beginnt, zeigt wie groß der Frust ist. Nach 16 Jahren Merkel-Regierung ist die Bundeswehr in einem desolaten Zustand – von der Unterhose bis zum U-Boot.
Wie paradox, dass nun ausgerechnet eine Regierung aus SPD, Grünen und Liberalen erkennen muss: Bei der Bundeswehr-Frage geht es um mehr als nur eine unbeliebte Aufrüstungsdebatte. Es geht um Bündnisverantwortung – und reale gemeinsame Verteidigungsfähigkeit. Zwar betont Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Beistand zu NATO-Partnern gerade wie ein Mantra – doch Artikel fünf, der Bündnisfall, kann nur dann wirken, wenn dahinter glaubhafte Zusicherungen stehen. Neudeutsch: Credible Commitments.
Genau diese „Commitments“ leistet Deutschland bisher nicht. Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts waren einmal als Zielwert für Verteidigung ausgerufen. Doch in Deutschland sind es gerade einmal 1,49 Prozent. Damit landet die Bundesrepublik auf den hinteren Plätzen der 28 NATO-Partner, die es im übrigen auch kaum besser machen. Gerade einmal sieben Bündnispartner erreichten 2019 das Zwei-Prozent-Ziel. Nun wurde diese Zahl in der Vergangenheit immer wieder als zu dogmatisch diskutiert, Fakt ist aber: Die Abhängigkeit von den USA ist riesig, wenn es um europäische Sicherheitsinteressen geht.
So bitter die Witze seit Jahren über die Ausstattung der Bundeswehr sind, so sehr offenbart Putins Krieg in der Ukraine den Handlungsdruck. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärt, dass Deutschland seine militärischen Verpflichtungen in der NATO erfüllen werde – sie erklärt aber auch, dass sie einen größeren Wehretat brauche.
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Sollten die Verteidigungsausgaben bisher laut mittelfristiger Finanzplanung sogar noch sinken auf 1,27 Prozent, kündigte Olaf Scholz am Sonntag bei seiner Regierungserklärung auf der Sondersitzung des Bundestages ein Investitionsoffensive bei den Verteidigungsausgaben an. Allein die Bundeswehr soll auf ein Sondervermögen von 1000 Milliarden Euro zugreifen können, zudem werden das Engagement in der Nato verstärkt. Zuvor hatte Finanzminister und Reserveoffizier Christian Lindner (FDP) bereits eine „Zäsur“ angekündigt. „Sinkende Verteidigungsausgaben passen nicht mehr in die Zeit“, sagte er am Donnerstagabend in der ARD-Talksendung „Maischberger“. Er wollte darüber nun mit dem Bundestag sprechen – wobei ihm schon vor dem Krieg klar gewesen sei, dass die Mittel für die Bundeswehr verstärkt werden müssten.
Es ist die richtige Debatte. Die Ampel muss die Merkel-Versäumnisse so schnell es geht beseitigen – bei der Energieunabhängigkeit wie bei der Verteidigungsfähigkeit. Wünschenswert wäre es, wenn auch die anderen Bündnispartner mitziehen würden. Helfen könnte dabei womöglich, wenn aus der losen Zwei-Prozent-Vorgabe eine feste Bündnisbedingung würde.
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