Deutschland-Bild Spaniens Problem mit dem eigenen Image

Seit Wochen gibt es zunehmend unterschwellige Angriffe der spanischen Presse gegen Deutschland. Unsere Korrespondentin in Madrid hat für die größte spanische Online-Zeitung lainformacion.com nach Ursachen für die derzeitigen Spannungen zwischen den Ländern gesucht.

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Stefanie Claudia Müller (links). Quelle: Pressebild

Viele Spanier haben die Hoffnung verloren. Eine Arbeitslosenquote von fast 25 Prozent, drastische Sparmaßnahmen der Regierung, steigende Lebenskosten, das Spekulieren gegen spanische Staatsanleihen und die Verstaatlichung zweier wichtiger spanischer Unternehmen in Argentinien und Bolivien haben die bekannte Lebensfreude vieler Spanier erheblich beeinträchtigt. Hinzukommt die für viele nicht mehr erträgliche “germanische Kontrolle via Brüssel”. Wolfgang Schäuble wurde jüngst in der Tageszeitung "El País" als 14. Minister des spanischen Regierungschef Mariono Rajoy bezeichnet.

In diesen Tagen fühle ich mich hin und her gerissen. Ich lebe in Spanien, einem Land, das offenbar von allen Seiten attackiert wird. Gleichzeitig komme ich aus Deutschland, einem Land, das man derzeit angeklagt, seine Wirtschaftsmacht, seine Hegemonie und seine Sonderbeziehungen mit Frankreich für eigene Interessen auszunutzen.

In vielen Zeitungen in und außerhalb Europas kommt wieder das Bild vom "hässlichen Deutschen" auf. Da wird wieder von Gaskammern und Holocaust im Zusammenhang mit der "neuen deutschen Führungskraft" gesprochen. Angela Merkel vergleichen sie mit Hitler und stellen gleichzeitig die Spanier mit den Griechen auf eine Stufe - sie werden für ihre Faulheit, Korruption und neureiches Gehabe angeklagt.

Mein Herz ist zweigeteilt, weil ich beide Seiten verstehen kann. In allem, was gesagt und geschrieben wird, gibt es ein Körnchen Wahrheit. Dennoch haben beide Länder, Spanien und Deutschland, allen Grund, verärgert zu sein über das Bild, das vom anderen gezeichnet wird und das meist auf Stereotypen reduziert ist.

Es tut auch deswegen weh, weil die aktuelle Disharmonie zwischen beiden Ländern vor allem auf Missverständnissen beruht - vor allem von Seiten Spaniens. Aber auch auf kulturellen Unterschieden und auf einer anderen Wahrnehmung von den gleichen Dingen.

Was die Deutschen über Spanien denken

Image entsteht meist auf der Basis von Stereotypen, die immer einen wahren Hintergrund haben, aber niemals die ganze Realität widerspiegeln. Was weiß Angela Merkel wirklich über Spanien, wenn sie sagt, dass die Menschen dort mehr arbeiten und später in Rente gehen müssen? Nichts. Man muss den Anschein haben, dass auch ihre Meinung auf Stereotypen basiert, wie wir es alle machen, wenn wir Dinge hören oder lesen, die logisch erscheinen für südeuropäisches Land, das stark vom Tourismus abhängt. Aber in der Krise, die wir derzeit in Europa erleben, ist so etwas sehr gefährlich, weil es die gute Partnerschaft zwischen Spanien und Deutschland zerstört.

Das Bild der iberischen Halbinsel in Deutschland ist das eines Urlaubslandes. Die Deutschen verbinden damit nette Menschen, Sonne, Strand und Lebensfreude. Das sind alles positive Attribute. Warum ist das Image von Spanien dann nicht genauso gut in Wirtschaftsdingen? Viele spanische Unternehmen gehören doch in ihren Branchen zu den Weltmarktführern.

Die Deutschen, die in Spanien leben, wissen, dass die Spanier - anders als Merkel behauptet - viel mehr Stunden arbeiten als in Deutschland, wo viele schon am Nachmittag und nicht erst am Abend zuhause sind. Manche Deutschen kehren sogar schon um 15 Uhr von der Arbeit zurück, weil sie bereits um 7 Uhr angefangen und nur eine kurze Mittagspause machen.

Hier lebend habe ich erfahren, dass wir in mancherlei Hinsicht etwas von der Flexibilität und der Ruhe lernen könnten, mit der in Spanien Projekte erfolgreich durchgezogen werden. Sicherlich ist die Produktivität - wenn man sie in Relation zur Zeit setzt - wesentlich geringer als in Deutschland. Aber das hat auch damit zu tun, dass hierzulande das Sozial- und Arbeitsleben nicht getrennt werden. Um 12 Uhr geht man mit den Kollegen zum zweiten Frühstück, spricht über Fußball und seine Familie, lange Mittag- und manchmal auch Abendessen mit Geschäftspartnern sind üblich.

Wenn Deutsche hier Geschäfte machen, können sie den Eindruck gewinnen, dass die Spanier nur trinken und essen - aber nicht arbeiten. Wir müssen jedoch verstehen, dass es gut ist, anders zu sein und dass jedes Land etwas beisteuern kann zur Europäischen Union.

Spanien hat mit Firmen wie Telefónica, Iberdrola, Santander und Inditex Unternehmen geschaffen, die ihre deutschen Wettbewerber teilweise um Längen schlagen. Das spanische Hochgeschwindigkeitsnetz ist eines der effizientesten der Welt. Die spanische Medizin ist Weltklasse, das Land führt das internationale Ranking der Organspender und gilt als weltweite Referenz bei der Verpflanzung und Nachsorge.

Spaniens wirtschaftlicher Schwachpunkt

Arbeitslosenzahlen: Deutschland geht es lange nicht so gut, wie es in Spanien den Anschein hat Quelle: dpa

Aber trotzdem schafft es Spanien nicht, sich wirtschaftlich richtig zu verkaufen. Noch immer haben wir das Bild von Stierkämpfen, Fiestas, Sonne und Sangria im Kopf, eins das die Urlaubsindustrie groß gemacht hat und noch immer benutzt wird, um Spanien zu verkaufen.

Aber es sind nicht nur die Stereotypen, die ein Image kreieren, es sind auch Zahlen und Statistiken und die werden derzeit ständig angebracht, um Spanien mit Deutschland zu vergleichen. Eine Zahl, die derzeit immer wieder wie ein Schreckgespenst durch die spanischen Medien geistert, ist die Arbeitslosigkeit. Nach offiziellen Statistiken beträgt sie fast 25 Prozent, Deutschland kommt gerade mal auf rund sieben Prozent.

Aber diese Zahl, die immer wieder für alles mögliche herhalten muss, bei Reden von Politikern, Unternehmen und Gewerkschaften, lässt außer Acht, dass Spaniens Schattenwirtschaft nach Angaben von einige Experten rund 20 Prozent des Bruttoinlandproduktes erwirtschaftet. Ebenfalls verdeckt die Horrorzahl von 25 Prozent, die jetzt als Argument für radikale Sparmaßnahmen und Reformen herhalten muss, das noch immer hohe Volumen an Schwarzgeld, was in Spanien zirkuliert, und die vielen Wohnungen und Häuser, die vermietet werden, ohne das der Staat etwas davon weiß. Das erklärt auch, warum es in Spanien trotz der hohen Arbeitslosenzahlen noch zu keiner sozialen Revolte gekommen ist. Einige Arbeitslose leben ein Doppelleben.

Zurückkommend auf Problemen hinter den politischen Kulissen zwischen “meinen beiden Heimatländern” ist es überraschend, dass obwohl viele Fundamentaldaten in Deutschland schlechter oder fast genauso schlecht sind wie in Spanien, Angela Merkel die Debatte um Reformen in der EU anführt.

Verzerrtes Bild

Dabei geht es Deutschland lang nicht so gut wie es in Spanien oft scheint. Deutschlands Arbeitslosenzahl spiegelt auch nicht das wahre Bild wider. Die Zahlen sind frisiert, weil viele ohne Job direkt in staatliche Fortbildungsmaßnahmen gesteckt werden oder einen Mini-Job haben. Tatsächlich wächst die Armut in dem Land, das sich derzeit als starke Industriemacht und boomende Wirtschaft verkauft. Die sozialen Konflikte wachsen. Angela Merkel hat ein Team von brillianten Kommunikationsexperten, die das Image eines starken Landes verkaufen.

Fakt ist, dass die multikulturelle Mischung in vielen Städten künftig eine große Herausforderung für Deutschland sein wird, ebenso die enormen Staatsausgaben für Sozialleistungen und Subventionen, im Verhältnis zum BIP gesehen, über den spanischen liegen. Genauso wie die Staatsverschuldung, die mit 81 Prozent des BIPs höher ist als in Spanien. Die deutsche Wirtschaft wächst kaum, und dennoch verkauft sich das Bild des “deutschen Wirtschaftswunders” im Ausland.

Made in Germany

Urlaub ja, Wirtschaft nein: Spanien und Deutschland sind derzeit fast feindlich gegeneinander aufgestellt Quelle: dpa

Die Tatsache, dass dennoch Spanien scheinbar angegriffen wird, hat daher vor allem damit zu tun, dass das Land seine wirtschaftlichen Stärken und seinen Reformwillen nicht so gut verkaufen kann, wie das beispielsweise Italien und Portugal geschafft haben.

Natürlich ist die stark wachsende Neuverschuldung Spaniens erschreckend, aber angesichts der seit Jahren sinkenden Steuereinnahmen, ist es auch ein normaler Prozess. In Spanien hat die Krise schon 2005 angefangen. Die internationale Finanzkrise traf das Land, als die Immobilienblase gerade geplatzt war.

Aber es sollte nicht vergessen werden, dass das Land dennoch viele Jahre lang Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet hat, was Deutschland nicht von sich sagen kann. Deutschland präsentiert sich als Musterschüler, obwohl die Neuverschuldung in diesem Jahr aller Vorrausicht nach steigen wird - in 2011 betrug sie 22 Milliarden Euro.
Man sollte auch nicht vergessen, dass Deutschland vor gut zehn Jahren den europäischen Stabilitätspakt nicht einhalten konnte. Trotz allem bleibt im Ausland das Bild vom seriösen und strengen Deutschen erhalten. "Made in Germany" ist immer noch ein wertvolles Markenzeichen für die deutsche Industrie und das ganze Land.

Ich selber habe viele Vorteile in Spanien, weil ich Deutsche bin. Sofort denken viele Spanier, ich sei deswegen ernsthafter und pflichtbewusster. Manchmal denke ich: Wenn die Spanier wüssten, wie sich manche Deutschen auf Mallorca benehmen und wie sie sich in Marbella gegenseitig betrügen, dann würden sie vielleicht ihre Meinung ändern.
Und dann macht es mich auch traurig, zu sehen, dass Spanien es in den zwölf Jahren meines bisherigen Aufenthalts nicht auch nur ansatzweise geschafft hat, sein Image zu polieren, um weltweit den Rang einzunehmen, der ihm politisch und wirtschaftlich gebührt. Bisher hat das Land kein einheitliches Bild seiner Wirtschaft vermittelt und das, obwohl das Land zweiter Investor nach den USA in Lateinamerika ist.

Als Deutsche im Vorteil

Das Image-Problem hat sicherlich auch damit zu tun, dass Spanien im vergangenen Jahrhundert einen schlimmen Bürgerkrieg erlebt hat, der das Land auseinander gerissen hat. Aber die Unternehmen sollten über diesen noch offenen Wunden stehen und sich vereinigen, um das Bild von Spanien in der Welt zu verbessern.

Sicherlich muss Spanien noch viele strukturelle Probleme in Angriff nehmen, vor allem im beruflichen Ausbildungsbereich, wo das Land vielleicht wirklich von Deutschland lernen könnte. Aber dennoch sollten sich die Regierung und die Unternehmen bewusst sein, wie wichtig das Image für den Erfolg ihres Landes ist. Alles in unserer globalen Welt funktioniert über das Bild, das wir von Menschen, Produkten und auch Ländern haben.
Die Deutschen lieben das Urlaubsland Spanien. Sie sind neidisch auf die Lebensfreude der Menschen und deren Familiensinn. Es ist deswegen traurig zu sehen, wie die Länder derzeit fast feindlich gegeneinander aufgestellt sind.
Voneinander lernen
Dabei können wir immer voneinander lernen. Es gibt in Europa keine führende Nation und Europa darf auch nicht germanisiert werden. (...) Denn das ist es, was Europa sein sollte: ein gutes Team. Niemand hat das recht, Lektionen zu erteilen, wir haben alle Fehler gemacht. Spanien hat den Deutschen viel gegeben und umgekehrt.

Das sollten wir niemals vergessen.

Stefanie Müller lebt seit zwölf Jahren in Spanien und ist Korrespondentin der WirtschaftsWoche in Madrid. Ihre Kolumne in der größten spanischen Online-Zeitung hat starke Reaktionen ausgelöst. Hier können Sie das Original lesen.

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