Deutschlands wichtigster Partner Deutsche Unternehmer fürchten gelbes Fieber in Frankreich

Gilets Jaunes: Deutsche Firmen fürchten Gelbwesten in Frankreich Quelle: dpa

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron ist zum ersten Mal vor dem Druck der Straße zurückgewichen. Wankt der Hoffnungsträger? Eindrücke von der Weihnachtsfeier der deutsch-französischen Handelskammer in Paris.

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Hanno Klausmeier ist empört. „Sind wir hier im Wilden Westen oder noch in Frankreich? Hat der Rechtsstaat noch einen Wert?“ Klausmeier leitet die SAP Labs France in Mougins. Wenige Kilometer nördlich von Cannes wird Firmen-Software für den Weltmarkt entwickelt. Der 54-jährige Managing Director hat einige Auf- und Ausstände erlebt, seit er vor elf Jahren für seinen Arbeitgeber aus den USA an die Côte D‘Azur wechselte und kennt Frankreich auch gut aus seinen Studienzeiten in Lyon und dem grenznahen Saarbrücken. Dass Präsident Emmanuel Macron und die französische Regierung nun den gewaltsamen Protesten nachgeben und die für Januar geplanten Preiserhöhungen für Kraftstoffe, Gas und Strom vorerst aussetzen, hält er für ein verheerendes Signal. „Ich hätte da konsequent und hart durchgegriffen.“

Wie Klausmeier geht es an diesem Abend zahlreichen Vertretern deutscher Unternehmensniederlassungen in Frankreich, die zur Weihnachtsfeier der deutsch-französischen Handelskammer in den 56. Stock des Tour Montparnasse gekommen sind. Von der verglasten Aussichtsplattform des Büroturms im Südteil der Stadt aus ist das nächtlich beleuchtete Paris, ist ganz Frankreich der Firmenstandort, der nach der Wahl Macrons gerade wieder verlorenes Vertrauen bei Investoren zurückgewonnen hat. Aber nun geht die Sorge um, dass 210 Meter tiefer das Zurückweichen vor dem Druck der Straße „Tür und Tor“ für weitere Forderungen von Unzufriedenen öffnen werde. Dass das „gelbe Fieber“ der Protestierenden in ihren leuchtenden Warnwesten sich ausbreitet und der Staatschef seine mutigen Reformen allenfalls noch zum Teil wird umsetzen können.

„Wer soll denn dann hier noch investieren wollen?“, fragt Klausmeier stellvertretend. Vertreter von Zulieferern sind hier, von Banken, Steuerkanzleien, Mittelständler ebenso wie Repräsentanten von Großkonzernen. Im Gegensatz zum französischen Unternehmerverband Medef, der Macrons Einlenken am Dienstag begrüßte und seine Kooperation bei der Suche nach einem Ausweg anbot, eint die Deutschen bei dieser Feier Besorgnis und Ratlosigkeit.

Dass mit dem Aussetzen der geplanten Öko-Steuern auf Benzin und Diesel für vorläufig sechs Monate sowie dem Einfrieren der Gas- und Strompreise nun Frieden einkehren wird, glaubt keiner der Anwesenden. Viele Franzosen lebten tatsächlich in prekären Verhältnissen, die man in Frankreich kaum vermute, sagt der Frankreich-Chef eines deutschen Großkonzerns, der nicht namentlich genannt werden will. Die Lebenshaltungskosten seien hoch, das Einkommen aber oft spürbar niedriger als in Deutschland. Er prangert aber vor allem das Verhalten der Opposition an, die aus politischem Kalkül den Zorn auf Macron und die Seinen noch anstachele. „Wenn es nur die extreme Linke und die extreme Rechte wären, könnte man das ja noch wegstecken. Aber dass selbst die größte Oppositionspartei, die konservativen Republikaner, da mitmachen, das ist einfach nur verantwortungslos.“ Ein anderer fürchtet bereits italienische Verhältnisse: ein Zusammengehen von Links- und Rechtsextremen.

Tatsächlich ist Deutschlands wichtigster Partner wie im Fieberwahn. Und der ist ansteckend. Während die „Gilets Jaunes“ mit den gelben Warnwesten nach wie vor Brücken, Straßen und Kraftstoffdepots blockieren, schließen sich ihnen Landwirte an. Die größte französische Bauernvereinigung FNSEA mobilisiert ihre Mitglieder wortgewaltig. Sie spricht vom „Steuerknüppel“, mit dem die Regierung auf die Landwirte einprügele. Der Transportsektor der Gewerkschaften CGT und Force Ouvrière hat Lastwagenfahrer aufgerufen, ab Sonntagabend für unbestimmte Zeit in den Streik zu treten. Folgen sie dem Appell, könnte das die Versorgung mit Lebensmitteln und Kraftstoffen stark beeinträchtigen.

Schüler und Studenten ziehen vor die Universitäten. Bereits vor einigen Monaten hatten sie die Hörsäle aus Protest gegen neue Zulassungsverfahren blockiert. Die Begründung, die sich nun in der Eile finden ließ, sind geplante Studiengebühren für ausländische Studierende. Für diesen Samstag sind erneut Demonstrationen der „Gilets Jaunes“ in der Hauptstadt geplant. „Nahe den Zentralen der Staatsmacht, den Champs-Elysées, dem Triumphbogen und der Place de la Concorde“, wie einer ihrer Sprecher verrät. Dabei hatte die zerstörerische Wut bereits an den vergangenen beiden Wochenenden dort und in den angrenzenden Stadtvierteln eine Spur der Verwüstung gezogen. Händler, Restaurateure und Hoteliers müssen nicht nur die Schäden an ihren Häusern reparieren, sondern fürchten auch auch um die wichtigen Einnahmen während der Vorweihnachtszeit. Aktienkurse von französischen Einzelhandelsketten, Hotelbetreibern, Logistikunternehmen und Infrastrukturfirmen gehören zu den Verlierern an der Börse.

Dass Macron seine Reformen durchsetzt, scheint wenig wahrscheinlich

„Ich musste meine Frau am Samstag im Auto vom Krankenhaus abholen, das war nicht zum Spaßen,“ erzählt ein deutscher Unternehmer von seiner Bekanntschaft mit den Demonstranten. Ein anderer berichtet, dass Mitarbeiter auf dem Weg zur Arbeit seit Wochen gezwungen würden, Petitionen der „Gilets Jaunes“ zu unterschreiben. Andernfalls könnten sie die Straßenblockaden nicht überwinden. „Die Polizei schaut zu,“ ereifert er sich.

Der Wunsch mancher Politiker und Aktivisten in Deutschland, die hiesige Bevölkerung möge sich ein Beispiel an solchem Widerstand gegen die Regierenden nehmen, fruchtete bisher nicht. Sorgen muss sich Deutschland trotzdem wegen der massiven Zustimmung in der französischen Bevölkerung für die Protestaktionen. Hätten trotz der jüngsten Gewaltszenen nicht noch zu Wochenbeginn fast drei Viertel der Franzosen in Umfragen den Protestierenden in den gelben Westen Recht geben, hätte der Präsident wohl nicht zum ersten Mal in 19 Monaten Amtszeit und entgegen seiner bisherigen Beteuerungen eingelenkt.

Ist das nun die Zäsur, die auch seine Vorgänger erlebten? Ist der Hoffnungsträger, der besser und konsequenter führen und Frankreich wieder zu einem verlässlichen Partner in der EU machen wollte, schnell an seine Grenzen gelangt? Wenige Monate vor der Europa-Wahl erscheinen Warnungen nicht aus der Luft gegriffen, dass das Rassemblement National (ehemals Front National) von Marine Le Pen sie gewinnen könnte. Schon wackelt auch das für die Euro-Staaten verpflichtende, aber in Frankreich verhasste Limit der Neuverschuldung von höchstens 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Frankreich erwägt nach Krawallen Verhängung von Ausnahmezustand

„Wenn man zu lange beharrt, einen fest steckenden Wagen immer tiefer in den Schlamm fährt, dann wird es am Ende nur teurer,“ urteilt der Soziologe Jean-François Amadieu von der Pariser Sorbonne-Universität. Die Konzessionen kosteten dann mehr Geld.

So lehnen nicht nur die „Gilets Jaunes“ das versprochene Moratorium von sechs Monaten als zu wenig ab. Senatspräsident Gérard Larcher von den konservativen Republikanern fordert ein Einfrieren sämtlicher Energiepreise auf dem Stand von 2018. Außerdem solle der Kinderfreibetrag bei der Steuerberechnung steigen und die Renten der Inflation angepasst werden. Ein Berater des Premierministers Edouard Philippe sagte der französischen Zeitung „Libération“, es sei „nicht sicher, dass die Regierung schon alles auf den Tisch gelegt hat“. Einige Karten habe man noch im Ärmel.

Anders als zu Beginn der Legislaturperiode im vergangenen Juni wagen sich nun auch mehr und mehr Abgeordnete der Macron-Partei „La République en Marche“ (LREM) mit Kritik an Staats- und Regierungschef aus der Deckung. Sie haben mit nur 13 Prozent der Stimmen aller französischen Wahlberechtigten die absolute Mehrheit im Parlament gewonnen. Das französische Mehrheitswahlsystem und die Enthaltung von mehr als 51 Prozent machten es möglich. Bei ihren Besuchen in den Wahlkreisen kriegen sie immer deutlicher zu spüren, dass viele Franzosen sie nicht als ihre legitimen Vertreter betrachten. Sie sehen sie vielmehr als Statthalter einer betuchten Minderheit, die komfortabel in den Städten wohnt und mit dem von Macron geprägten Begriff von der Start-up-Nation Frankreich etwas anfangen kann. Auf dem Land haben die Bewohner oft noch nicht einmal schnelles Internet, wie eine Studie gerade wieder bestätigte. Und viele stehen am Ende des Monats vor einem leeren Kühlschrank.

Dass Präsident Macron unter diesen Umständen die Staatsausgaben wie geplant senken kann, zehntausende Beamtenstellen streichen und das vielarmige Ungeheuer des französischen Rentensystems im nächsten Jahr bezwingen wird, scheint derzeit wenig wahrscheinlich. Auch eine Reform der Arbeitslosenversicherung mit mehr Anreizen und Sanktionen rückt angesichts der Lage erst einmal in die Ferne. Bei der Feier der deutsch-französischen Handelskammer spielt eine junge Pianistin zum Ausklang des Abends fröhliche Weihnachtsweisen. Aber kaum einer hört ihr zu.

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