Digitalregeln der EU „Es ist nicht das Ziel, brutal zu bestrafen“

Digitalmarkt-Gesetz-Chefunterhändler Andreas Schwab mit EU-Parlamentariern bei Apple. Quelle: Matthias Hohensee

Während US-Politiker sich über neue Wettbewerbsregeln für digitale Märkte nicht einig werden, macht das Europa-Parlament mehr Tempo.

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Eine Gruppe von EU-Parlamentariern des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz besuchte jüngst das Silicon Valley, unter anderem die Big Tech Größen Apple, Meta und Alphabet. Im Gepäck hatten sie die im Parlament ausgehandelten Regeln für die digitale Wirtschaft wie den Digital Markets Act (DMA) und den Digital Services Act (DSA). Sie sollen im Juli verabschiedet werden und voraussichtlich 2024 in Kraft treten.

Delegationsleiter und EU-Abgeordneter Andreas Schwab (CDU), der als Chefunterhändler des EU-Parlaments als einer der Architekten des Digitalmarktgesetzes gilt, spricht im Interview über den Empfang im Silicon Valley:

WirtschaftsWoche: Herr Schwab, haben Sie sich bei Ihrer Expedition ins Silicon Valley wie in der Höhle des Löwen gefühlt?
Andreas Schwab: Nein. Es ist bekannt, dass Unternehmen wie Google, Apple und Meta bestimmte Fragen nicht so gern beantworten. Aber es sind Gespräche, wie man sie als Politiker jeder Woche führt.

Was war der Zweck des Besuches?
Wir wollten vor Ort eruieren, wie DMA und DSA bei den betroffenen Unternehmen aber auch anderen Marktteilnehmern ankommen, ob wir da an den richtigen Stellen angesetzt haben. Beispielsweise bei dem Ziel, die Bevorzugung eigener Dienste zu unterbinden. Da gab es gute Rückkoppelung.

EU-Parlamentarier Andreas Schwab (Mitte) mit der dänischen EU-Abgeordneten Christel Schaldemose (links) und der tschechischen EU-Parlamentsvizepräsidentin Dita Charanzová bei Facebook. Quelle: Matthias Hohensee

Im Silicon Valley beklagt man zumindest bei den Großen hinter vorgehaltener Hand die Regulierungswut der EU. Wie reagieren Sie darauf?
Das hat uns niemand so gesagt. Im Gegenteil: Die Stanford-Professoren, die wir getroffen haben, immerhin 15, haben uns bestätigt, dass die EU das richtig macht. Big Tech brauche unbedingt Regulierung, so ihr dringender Appell. Schon deshalb, um die Innovationsstärke der westlichen Welt zu erhalten, faire Chancen für jedermann sicherzustellen. Aber wir müssen natürlich aufpassen, dass wir es bei der Regulierung nicht übertreiben.

Zum Beispiel?
Apple macht sich Sorgen darüber, dass in der neuen Öko-Design-Richtlinie der EU drinsteht, dass auch Mikrofone einzeln aus den Geräten ausbaubar sein müssen, um sie zu recyclen. Da sagen machen, dass es unverhältnismäßig sei, wenn in einem Gerät wie dem iPhone Komponenten gemeinsam verbaut sind, diese einzeln ausbauen zu müssen. Jedenfalls nicht generell.

Die EU will Techgiganten strenger regulieren. Helfen soll dabei ein neues Büro in San Francisco. Eine Delegation bringt schon mal neue Vorschriften vorbei. Doch Diplomatie allein wird wenig bringen.
von Matthias Hohensee

Was DMA und DSA betrifft, können die großen Tech-Unternehmen daran noch was ändern?
Nein. Da geht es jetzt um die Umsetzung und deshalb ist es sicherlich gut, wenn die Kommission jetzt jemanden in San Francisco und Silicon Valley vor Ort hat. Dort gibt es noch einige Fragen. Beispielsweise wie kleinteilig die Definition ist. Muss man bei den Plattformen unterscheiden, ob es sich um ein Betriebssystem für Desktop handelt oder für mobile Geräte? Also etwa das Mac OS und iOS von Apple für iPhone und iPad. Daraus könnten sich unterschiedliche Schlussfolgerungen ergeben.

Wer macht diese Unterscheidung?
Die Mitarbeiter der Kommission.

Was gibt es für Missverständnisse über DMA und DSA?
Dass es antiamerikanische Gesetze sind, wie früher schon mal vorgeworfen wurde. Das ist nun jedem klar, dass dies nicht so ist. Wir hatten gehofft, dass der US-Senat es nun schafft, über das angekündigte Antitrust-Gesetz für Digitalunternehmen abzustimmen. Das war nicht der Fall, aber vielleicht gelingt es im Juni. Es wäre eine große Errungenschaft, wenn europäische und amerikanische Politiker da gemeinsam vorgehen. Denn wir haben im Grunde ähnliche Ziele. Eigentlich ist die Grundidee des DMA die Realisierung des amerikanischen Traums, dass jeder Mensch die Chance hat, sich mit einer großartigen Idee zu verwirklichen, ohne dabei unfair ausgebremst zu werden.

Was ist das grundlegende Ziel des Digitalmarktgesetzes?
Die Wettbewerbsfähigkeit im digitalen Umfeld zu erhalten. Und dort wiederherzustellen, wo wir sie verloren haben. Beispielsweise bei Suchmaschinen, bei App-Stores oder sozialen Medien. Wir müssen verhindern, dass ein einziges Unternehmen entscheiden kann, was im Markt passiert. Wir müssen den Nutzern, der Gesellschaft, Auswahlmöglichkeiten geben. Die Chance, dass neue Dienste entstehen können oder Alternativen zu bestehenden.

Sind die Verbraucher auf diese Vielfalt vorbereitet? Beispielsweise den Browser auf dem Smartphone bewusst auszuwählen und nicht bequem alles einfach so zu akzeptieren, wie es der Anbieter vorgibt?
Das ist ein wichtiges Argument, das wir erst nehmen. Nicht nur Demokratie ist anstrengend. Sondern auch, als Verbraucher mit den eigenen Rechten in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung umzugehen. Diese Rechte müssen auch wahrgenommen werden. Diese Entscheidung können wir ihnen nicht abnehmen. Allerdings mangelt es heute in Europa an großen, relevanten Plattformen, wie es sie in den USA gibt. Einheitliche Regeln kommen allen Unternehmen zugute. Sie bedingen, dass europäische Unternehmen in Europa genauso schnell wachsen können wie amerikanische Unternehmen in den USA. Keiner dieser Rechtsräume ist perfekt. Aber Kern ist, dass es mit diesem Regeln gelingt, Grundprinzipien der demokratischen Gesellschaft in der Wirtschaft zu erhalten. Die es ohne diese Regeln nicht gibt oder die gefährdet sind. Da haben die Amerikaner ähnliche Interessen.

Wird Europa denn in den USA ernst genommen?
Ja. Ich war gerade vor zwei Wochen in Washington. Als wir unsere Initiative mit den Wettbewerbsregeln in digitalen Märkten Anfang 2014 starteten, gab es wütende Briefe von US-Politikern etwa an den EU-Parlamentspräsidenten, was wir uns da eigentlich erlauben würden. Heute ist die Stimmung so, dass alle sagen, wir brauchen Regeln zur Privatsphäre, wir brauchen Antitrust-Bestimmungen.

Warum hat es geschlagene acht Jahre gedauert, um die Regeln festzuziehen?
Weil die Europäische Kommission zu langsam war. Und weil die Geschäftsmodelle großer Internet-Unternehmen sehr attraktiv für Konsumenten schienen. Zumindest auf den ersten Blick. Der Nutzer denkt ja, es ist umsonst. Und viele realisieren nicht, dass sie mit ihren Daten bezahlen. Das ist teuer für die Gesellschaft geworden. Es reicht aber nicht, recht zu haben. Man muss auch Mehrheiten hinbekommen.

Die EU droht mit empfindlichen Strafen, beim DMA sind es bis zu 20 Prozent des weltweiten Umsatzes. Falls sich Unternehmen nicht an die Regeln halten, steht dann auch ein Aufbrechen weiter im Raum?
In einer liberalen Wirtschaftsordnung sollte sich der Staat nicht darauf konzentrieren, möglichst brutal zu bestrafen. Dort, wo der Staat klare Regeln vorgibt, werden sie auch eingehalten. Das zeigt die Erfahrung. Nicht die Strafe ist das Ziel, sondern Regeln. Ich habe keinen Zweifel, dass die großen Unternehmen aus dem Silicon Valley sich an sie halten werden. Vielleicht gibt es das eine oder andere Unternehmen, welches testen wird, ob es der Europäische Gerichtshof auch so sieht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Regeln umgesetzt werden. Der Nachteil ist, dass bestimmte Märkte schon zerstört und wichtige Unternehmen aufgekauft sind.

Kann man die Macht von Big Tech überhaupt noch eindämmen?
Sicher, ein Stück weit ist die Sache leider schon durch. Bestimmte Fehlentwicklungen können wir aufgreifen und auch mit Bußgeldern sühnen. Viele Märkte sind jedoch schon weitestgehend aufgeteilt. Aber nicht alle – bei der Künstlichen Intelligenz etwa. Oder beim Web3 – dem dezentralen Internet – wo einige Unternehmen, die heute auf den Daten sitzen, diese wieder verlieren könnten und so neue Angebote an den Nutzer machen müssen. Das könnte Märkte wieder neu ordnen, mit neuen Anbietern. In einer Art, die wir heute noch nicht absehen.

Was treibt Sie als Politiker an, neue Regeln für den digitalen Wettbewerb durchzusetzen?
Es ist die Grundidee, dass je offener eine Wirtschaftsordnung ist, desto offener eine Gesellschaft sein kann. Wir müssen in der westlichen Welt aufpassen, dass wir die Offenheit, die wir heute haben, nicht durch Marktkonzentrationsprozesse zerstören. Die Unternehmen, die das vorantreiben, profitieren von einer extrem offenen und dem Wohlstand verpflichteten Gesellschaft, in der Verbraucher frei entscheiden können. Diese Rechte werden durch unfairen Wettbewerb eingeschränkt oder missbraucht. Damit sägen sie ein Stück weit an dem Ast, auf dem sie sitzen. Wir müssen darauf achten, unsere eigenen Grundwerte zuerst zu verteidigen, bevor wir die Möglichkeit geben, diese zu nutzen.

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Andere Länder schauen angeblich schon auf die EU-Digitalregeln. Könnten sie ein Vorbild sein, etwa für Asien?
Ich bin da sehr optimistisch. Ich habe gerade mit indonesischen Politikern darüber gesprochen. Japan ist interessiert, Südkorea sowieso, Australien auch. Es ist schon so, dass die westliche Welt insgesamt ein Problem hat, wie man am besten mit den Marktkonzentrationen umgeht. Da haben wir jetzt einen guten Aufschlag gemacht. Aber am Ende kommt es darauf an, wie die Regeln umgesetzt werden.

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