
Vor 40 Jahren, in der Nacht zum 24. Juli 1974, kehrte der frühere griechische Ministerpräsident Konstantin Karamanlis aus dem französischen Exil zurück. Auf dem Athener Flughafen jubelten die Menschen: „Er kommt, er kommt!“ Nach sieben Jahren war die griechische Militärdiktatur zusammengebrochen. In Südeuropa begann eine neue Ära. Aus rückwärts gewandten rechten Diktaturen wurden in den Siebzigerjahren marktwirtschaftliche Demokratien nach westlichem Muster – jedenfalls im Prinzip.
Wenige Monate vor den Griechen hatte Portugal seine mehr als vier Jahrzehnte alte Diktatur abgeschüttelt. In Spanien wankte die Gewaltherrschaft, und als der Tyrann Francisco Franco 1975 starb, endete sein Regime friedlich, auch weil der junge König Juan Carlos sich überraschenderweise als Demokrat entpuppte.





Vier Jahrzehnte später ist dieser Umbruch in Südeuropa viel mehr als ein Anlass für Jubiläumsfeiern. Denn die tiefe Wirtschaftskrise der Südländer, die seit 2009 ganz Europa umtreibt, findet hier ihre Wurzeln. Die wirtschaftlichen und politischen Probleme der südeuropäischen Länder sind weitgehend aus der Erblast der Diktaturen zu erklären. Dass Griechen, Spanier und Portugiesen wenige Jahre später trotz ökonomischer Bedenken in Brüssel offene Türen fanden, war eine Prämie für den politischen Wandel – wirtschaftlich gesehen war es der Auftakt erst zu stürmischem Wachstum, auf dass am Ende die Krise folgte. Milliardenschwere Rettungspakete wie seit 2009 konnte sich niemand vorstellen, als Griechenland 1981, Spanien und Portugal fünf Jahre später der damals sogenannten Europäischen Gemeinschaft beitraten. Und als Peseta, Escudo und Drachme schließlich im Euro aufgingen, wurden die ererbten Strukturprobleme der Südeuropäer zum gesamteuropäischen Problem.
Falsch wäre es, die drei Staaten über einen Kamm zu scheren. In Athen, Madrid und Lissabon hat die Krise ein unterschiedliches Gesicht: Aber diese Unterschiede haben auch jedes Mal mit der spezifischen Erblast zu tun.
Griechenland: Krise des Staates
Bis heute nennen die Griechen die Ereignisse von 1974 die „metapolitefsi“, also die „politische Wende“. Doch in vielem war es kein Neubeginn. Alte Unsitten wie Korruption, Nepotismus, Schattenwirtschaft, Steuerbetrug und staatlicher Dirigismus trotzten den politischen Veränderungen.
Die Euro-Krise war in Griechenland vor allem eine Krise des Staates. Die Wurzeln des Übels reichen tief: Die Offiziersjunta hatte den Regierungsapparat erstens als Instrument des Terrors gegen Andersdenkende verstanden und zweitens als Mittel zur wirtschaftlichen Versorgung ihrer Gefolgsleute. Unter Karamanlis, der von 1974 an sechs Jahre Regierungschef war und dann noch einmal zehn Jahre Staatspräsident, gab es keinen Terror mehr, aber umso mehr Günstlingswirtschaft. In der Karamanlis-Partei namens Nea Dimokratia (ND) wurde man in der Regel nicht aktiv, um die neue Demokratie zu sichern, sondern das ganz persönliche Fortkommen. So ging es bis an die politische Spitze: Von 2004 bis 2009 stand ein gleichnamiger Neffe des großen Karamanlis an der Spitze von Partei und Regierung. Und wenn die ND bei Wahlen von der sozialistischen Opposition abgelöst wurde, ging es mit der Vetternwirtschaft in der Regel noch schlimmer weiter.
Konservative und Sozialisten, die das Land seit dem Ende der Militärdiktatur abwechselnd regierten, versorgten ihre Gefolgsleute mit Jobs in der öffentlichen Verwaltung und bei den Staatsbetrieben. Diese systematische Plünderung des Staates, verbunden mit immer höherer Schuldenlast, ist die eigentliche Ursache der heutigen griechischen Krise. Nach dem Ende der Diktatur wurden zwar rund 100.000 griechische Staatsdiener entlassen, denen man aktive Zusammenarbeit mit den Obristen nachweisen konnte. Doch die Chance, bei dieser Gelegenheit den aufgeblähten Staatsapparat zu verschlanken, blieb ungenutzt.