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Diktatorische Vergangenheit Das schwere Erbe der Südeuropäer

Spanien, Portugal und Griechenland sind die jüngsten Demokratien Westeuropas. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet sie am anfälligsten für die Euro-Krise waren.

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Noch wurde gejubelt: Athen am Tag nach dem Zusammenbruch der Junta-Herrschaft im Juli 1974 Quelle: Laif

Vor 40 Jahren, in der Nacht zum 24. Juli 1974, kehrte der frühere griechische Ministerpräsident Konstantin Karamanlis aus dem französischen Exil zurück. Auf dem Athener Flughafen jubelten die Menschen: „Er kommt, er kommt!“ Nach sieben Jahren war die griechische Militärdiktatur zusammengebrochen. In Südeuropa begann eine neue Ära. Aus rückwärts gewandten rechten Diktaturen wurden in den Siebzigerjahren marktwirtschaftliche Demokratien nach westlichem Muster – jedenfalls im Prinzip.

Wenige Monate vor den Griechen hatte Portugal seine mehr als vier Jahrzehnte alte Diktatur abgeschüttelt. In Spanien wankte die Gewaltherrschaft, und als der Tyrann Francisco Franco 1975 starb, endete sein Regime friedlich, auch weil der junge König Juan Carlos sich überraschenderweise als Demokrat entpuppte.

Wer wettbewerbsfähig ist und wer nicht
Platz 57: BulgarienBulgarien wird zurecht als das Armenhaus Europas bezeichnet. Unter 60 Ländern, die die Schweizer Wirtschaftshochschule IMD (International Institute for Management Development) nach ihren wirtschaftlichen Stärken und Schwächen miteinander verglichen hat, landet Bulgarien auf Platz 57 (Platz 54 im Jahr 2012). Damit ist Bulgarien das wirtschaftlich schwächste Land der Europäischen Union. Noch schlechter stehen nur noch Kroatien (Platz 58), das am 1. Juli der EU beitreten wird, Argentinien (Platz 59) und Venezuela (Platz 60) da. Wirklich gut schneidet Bulgarien nur beim Preisniveau ab, da belegt es im internationalen Vergleich Platz vier. In Disziplinen wie Beschäftigungsrate, Arbeitsmarkt, Bildung, Infrastruktur, gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Gesundheit und Investments schafft es das osteuropäische Land nicht einmal unter die Top 30. Quelle: dpa
Platz 55: RumänienIm gleichen Atemzug mit Bulgarien wird stets Rumänien genannt. Das Land liegt im internationalen Vergleich auf Rang 55, im Vorjahr schaffte es Rumänien noch auf Platz 53 von 60 im World Competitiveness-Ranking. Von 21,35 Millionen Einwohnern haben 10,15 Millionen einen Job, die Arbeitslosenquote beträgt 6,8 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Rumäniens liegt bei 169,4 Milliarden Euro - im internationalen Vergleich macht das Platz 48 von 60. Beim BIP pro Kopf schafft es das Land mit 16.062 Euro auf Rang 46. Wirklich glänzen kann auch Rumänien nur beim Preisniveau, da landet es auf Platz neun von 60. Die zweitbeste Wertung bekommt das osteuropäische Land für seine Beschäftigungsquote: Hier liegt es im internationalen Vergleich auf Rang 33. Fragt man Unternehmen, was sie am meisten am Wirtschaftsstandort Rumänien schätzen, nennen 78,7 Prozent die offene und freundliche Art der Menschen. Eine kompetente Regierung lobten dagegen nur 11,5 Prozent und ein wirksames Rechtssystem attestierte dem Land niemand. Dafür lobten immerhin 52,5 Prozent der Befragten die Dynamik der Wirtschaft. Quelle: dpa
Platz 54: GriechenlandAuch Griechenland gehört weiterhin zu den Sorgenkindern Europas, konnte sich aber binnen eines Jahres von Rang 58 auf 54 verbessern. Griechenland muss auch 2013 weiterhin daran arbeiten, seinen aufgeblasenen Verwaltungsapparat zu verkleinern und den Finanzsektor wieder auf die Beine zu bringen. Auch in puncto Korruptionsbekämpfung und Steuersystem hat das Land noch einiges an Arbeit vor sich. Dementsprechend rangiert Griechenland, gerade was die Gesamtsituation der heimischen Wirtschaft angeht, auf Platz 60 von 60 Staaten. Auch beim BIP-Wachstum und der Kreditwürdigkeit gibt es nur Platz 60. Allerdings hat sich in Griechenland seit dem letzten Ranking auch einiges verbessert: So konnte das Land sein Image, die Anpassungsfähigkeit der Regierungspolitik und die Staatfinanzen verbessern sowie die Bürokratie verringern. Unternehmen schätzen an Griechenland besonders die gut ausgebildeten Arbeitskräfte sowie das allgemein hohe Bildungsniveau. Quelle: dpa
Platz 46: PortugalBinnen eines Jahres ging es für Portugal im IMD-Ranking von Platz 41 runter auf 46. Jetzt soll die rezessionsgeplagte Konjunktur mit Steueranreizen aufgepeppelt werden. Bei Firmeninvestitionen von bis zu fünf Millionen Euro seien Steuererleichterungen von 20 Prozent möglich, sagte Finanzminister Vitor Gaspar. Die Investitionen in Portugal sind zwar binnen eines Jahres von 10,20 Milliarden Dollar auf 13,79 Milliarden gestiegen, das Bruttoinlandsprodukt schrumpft dennoch weiter. 2012 betrug der Rückgang noch 1,6 Prozent, 2013 waren es schon -3,2 Prozent. Dafür steht Portugal sowohl bei der technischen als auch der wissenschaftlichen Infrastruktur recht gut da. 71,9 Prozent der ausländischen Unternehmer nennen die portugiesische Infrastruktur den attraktivsten Grund, in das Land zu investieren. Weltspitze ist Portugal bei dem Verhältnis Schüler pro Lehrer und den Einwanderungsgesetzen. Auch bei den Ingenieuren belegt Portugal im Ranking Platz vier. Nur Arbeit gibt es für die Fachkräfte kaum, am wenigsten für junge Menschen (Platz 59 bei Jugendarbeitslosigkeit). Auch die Forschung und Förderung von Wissenschaft und Technik, Fortbildungen, Erwachsenenbildung, Börsengänge und der Export gehören zu Portugals Schwächen. Quelle: dpa
Platz 45: SpanienSpanien ist binnen eines Jahres von Platz 39 auf 45 abgestiegen. Im Jahr 2007 stand das Land noch auf Platz 26 der stärksten Volkswirtschaften. Ein deutsche Hilfsprogramm im Volumen von bis zu einer Milliarde Euro soll die angeschlagene spanische Wirtschaft wieder auf die Beine bringen. Derzeit kämpft Spanien besonders mit seiner hohen Arbeitslosenquote (Platz 60 von 60), den Staatsfinanzen (Platz 59) und seinen Verwaltungsverfahren (Platz 56). Auch bei der Langzeitarbeitslosigkeit, Kapitalkosten, Sprachkenntnissen, dem Bankensektor und der Förderung von jungen Unternehmen steht Spanien mehr als schlecht da. Allerdings ist auch auf der iberischen Halbinsel nicht alles schlecht. So ist beispielsweise der Warenexport Spaniens binnen eines Jahres um 1,7 Prozentpunkte gestiegen. Insgesamt schafft es Spanien in neun Wirtschaftsdisziplinen unter die weltweiten Top Ten: Bei den Zinssätzen belegt Spanien unter 60 Ländern Platz drei, bei der Wechselkursstabilität und den Unternehmenszusammenschlüssen und -übernahmen jeweils Platz sechs, beim Export von Dienstleistungen Platz acht. Sowohl bei den Direktinvestments in die Aktien heimischer Unternehmen als auch der durchschnittlichen Lebenserwartung und grünen Technologien schafft es Spanien auf Platz neun und bei der Bilanzsumme des Bankensektors sowie der Arbeitsproduktivität Platz zehn. Quelle: dapd
Platz 28: FrankreichFrankreich dagegen, das ebenfalls wirtschaftlich zu kämpfen hat, konnte sich um einen Platz verbessern. Von Rang 29 ging es hoch auf 28. Trotzdem muss Frankreich seinen Arbeitsmarkt reformieren, wenn es die Erwerbsquote steigern möchte. Weitere Probleme der Grande Nation sind der stetig zunehmende Brain Drain, also das Abwandern von Fachkräften, das stagnierende Wirtschaftswachstum, die geringe Zahl der Beschäftigten, Arbeitsbedingungen und Wochenarbeitsstunden sowie die Haltung gegenüber der Globalisierung. Zu Frankreichs wirtschaftlichen Stärken gehören dagegen die Vertriebsinfrastruktur (Platz eins von 60), die Energieinfrastruktur und die Gesundheitsausgaben (jeweils Platz zwei) sowie die Direktinvestments in Aktien heimischer Unternehmen, der Export von Dienstleistungen, Investments in ausländische Aktien, die Gesundheitsinfrastruktur und die Zahl der Breitbandnutzer (jeweils Platz vier von 60). Insgesamt schaffte es Frankreich in 40 Kategorien 20 mal unter die Top Ten der Welt. Quelle: dpa
Platz 17: IrlandIrland, dass sonst gerne in einem Atemzug mit Italien und Spanien genannt wird, überholt sogar Frankreich, was die wirtschaftliche stärke angeht. Binnen eines Jahres konnte sich die grüne Insel im IMD World Competitiveness-Ranking um drei Plätze verbessern. Das liegt besonders an den gestiegenen Investments, dem herrschenden Zinssatz, dem Wirtschaftswachstum und der Wechselkursstabilität. Auch bei grünen Technologien hat sich Irland laut der Studie seit 2012 verbessert. Zu den besonderen Stärken des rund 4,6 Millionen Einwohner starken Landes gehören Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Unternehmen sowie deren Haltung gegenüber der Globalisierung, die Telefontarife, Belohnungen und Anreize für Investoren, dementsprechend auch die Anzahl an ausländischen Investoren und die Vergabe öffentlicher Aufträge (jeweils Platz eins von 60.) Schlecht steht es allerdings auch in Irland um die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, sowie das BIP pro Kopf bestellt. Quelle: dpa

Vier Jahrzehnte später ist dieser Umbruch in Südeuropa viel mehr als ein Anlass für Jubiläumsfeiern. Denn die tiefe Wirtschaftskrise der Südländer, die seit 2009 ganz Europa umtreibt, findet hier ihre Wurzeln. Die wirtschaftlichen und politischen Probleme der südeuropäischen Länder sind weitgehend aus der Erblast der Diktaturen zu erklären. Dass Griechen, Spanier und Portugiesen wenige Jahre später trotz ökonomischer Bedenken in Brüssel offene Türen fanden, war eine Prämie für den politischen Wandel – wirtschaftlich gesehen war es der Auftakt erst zu stürmischem Wachstum, auf dass am Ende die Krise folgte. Milliardenschwere Rettungspakete wie seit 2009 konnte sich niemand vorstellen, als Griechenland 1981, Spanien und Portugal fünf Jahre später der damals sogenannten Europäischen Gemeinschaft beitraten. Und als Peseta, Escudo und Drachme schließlich im Euro aufgingen, wurden die ererbten Strukturprobleme der Südeuropäer zum gesamteuropäischen Problem.

Falsch wäre es, die drei Staaten über einen Kamm zu scheren. In Athen, Madrid und Lissabon hat die Krise ein unterschiedliches Gesicht: Aber diese Unterschiede haben auch jedes Mal mit der spezifischen Erblast zu tun.

Griechenland: Krise des Staates

Bis heute nennen die Griechen die Ereignisse von 1974 die „metapolitefsi“, also die „politische Wende“. Doch in vielem war es kein Neubeginn. Alte Unsitten wie Korruption, Nepotismus, Schattenwirtschaft, Steuerbetrug und staatlicher Dirigismus trotzten den politischen Veränderungen.

Die Euro-Krise war in Griechenland vor allem eine Krise des Staates. Die Wurzeln des Übels reichen tief: Die Offiziersjunta hatte den Regierungsapparat erstens als Instrument des Terrors gegen Andersdenkende verstanden und zweitens als Mittel zur wirtschaftlichen Versorgung ihrer Gefolgsleute. Unter Karamanlis, der von 1974 an sechs Jahre Regierungschef war und dann noch einmal zehn Jahre Staatspräsident, gab es keinen Terror mehr, aber umso mehr Günstlingswirtschaft. In der Karamanlis-Partei namens Nea Dimokratia (ND) wurde man in der Regel nicht aktiv, um die neue Demokratie zu sichern, sondern das ganz persönliche Fortkommen. So ging es bis an die politische Spitze: Von 2004 bis 2009 stand ein gleichnamiger Neffe des großen Karamanlis an der Spitze von Partei und Regierung. Und wenn die ND bei Wahlen von der sozialistischen Opposition abgelöst wurde, ging es mit der Vetternwirtschaft in der Regel noch schlimmer weiter.

Konservative und Sozialisten, die das Land seit dem Ende der Militärdiktatur abwechselnd regierten, versorgten ihre Gefolgsleute mit Jobs in der öffentlichen Verwaltung und bei den Staatsbetrieben. Diese systematische Plünderung des Staates, verbunden mit immer höherer Schuldenlast, ist die eigentliche Ursache der heutigen griechischen Krise. Nach dem Ende der Diktatur wurden zwar rund 100.000 griechische Staatsdiener entlassen, denen man aktive Zusammenarbeit mit den Obristen nachweisen konnte. Doch die Chance, bei dieser Gelegenheit den aufgeblähten Staatsapparat zu verschlanken, blieb ungenutzt.

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