Es hat schon eine gewisse Ironie: Vor einem Jahrzehnt agierte Deutschland als Mahner in der EU, drängte EU-Staaten in der Schuldenfalle zu strikter Sparpolitik. Im Jahr 2022 ist Deutschland dagegen das Land mit dem größten Ausgabendrang. Die Bundesregierung nimmt 200 Milliarden Euro in die Hand, um Unternehmen und Bürger zu beruhigen, dass sie sich auch in diesem Winter Energie leisten werden können.
Der Doppelwumms, wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine Hauruck-Politik nennt, vermag vielleicht die Beliebtheitswerte der Koalitionspolitiker im Inland steigern. Mit Blick auf Europa ist der Ansatz fatal. Wenn das größte Land der EU mit derart großen Summen hantiert, dann ist das eben keine rein nationale Angelegenheit, weil Wettbewerbsbedingungen in der EU verzerrt werden. Dies noch dazu ohne Absprache mit den Partnerländern zu tun, ist nicht nur stillos, sondern gleicht politischem Dilettantismus. Zumal anderen EU-Staaten frühere deutsche Alleingänge in der EU stark in Erinnerung geblieben sind, etwa der unabgestimmte Atomausstieg 2011 und die genauso wenig abgestimmte Grenzöffnung 2015.
Nach dem unerwarteten Doppelwumms steht der Vorwurf im Raum, Deutschland verhalte sich in der EU unsolidarisch. Populisten, etwa von der künftigen italienischen Regierungspartei Fratelli d´Italia, freuen sich über die Steilvorlage.
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Schon beim EU-Gipfel an diesem Freitag in Prag wird die Diskussion über einen Energie-Hilfsfonds nach Vorbild des Milliarden schweren Corona-Fonds aufbrechen, wie ihn beispielsweise die EU-Kommissare aus Frankreich und Italien fordern. Deutschland werden Argumente gegen eine erneute gemeinsame Schuldenaufnahme in der EU fehlen, zumal sich die Bundesregierung bisher energisch gegen einen europäischen Gaspreisdeckel gestellt hat, den nun aber national schafft.
Der Doppelwumms führt für Deutschland direkt zu weiteren Ausgaben in der EU, sehr wahrscheinlich dauerhaft. Bezahlen werden das Unternehmen und Bürger in der Zukunft. Darüber spricht bisher niemand in Berlin.
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