Drehkreuz Brüssel Erste Impfstoff-Lieferungen gingen schon im November aus Europa in die USA

Im speziellen Cargo-Terminal für Pharma-Transporte am Brüsseler Flughafen werden Covid-19-Vakzine in Flugzeuge verladen. Quelle: PR

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen droht mit einem Exportverbot von Impfstoff. Pfizer und Johnson&Johnson haben die Dosen ausgeführt, als sie in Europa noch gar nicht zugelassen waren.

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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlägt scharfe Töne an. „Wir können unseren Bürgern nicht erklären, wie es kommt, dass Europas Pharmaunternehmen in die ganze Welt liefern, aber wir hier permanent mit Lieferschwierigkeiten konfrontiert sind“, sagte sie am Mittwoch. Bei ihrem Auftritt im Hauptsitz der EU-Kommission in Brüssel drohte sie den Impfstoffherstellern gar mit einem Exportverbot. Die Staats- und Regierungschefs werden über das Thema bei ihrem Gipfel in der kommenden Woche diskutieren.

Der Ärger der Kommissionspräsidentin richtet sich gegen den Hersteller AstraZeneca, der mit seinen Lieferungen weit im Verzug ist. Statt den im Vertrag zugesicherten 180 Millionen Dosen wird der britisch-schwedische Konzern bis Ende Juni nach seinen eignen Prognosen nur 70 Millionen Dosen liefern.

Die Flugbewegungen am Flughafen Brüssel, zwölf Kilometer östlich vom Dienstsitz der EU-Kommissionspräsidentin, deuten indes darauf hin, dass EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten bei ihrer Planung insgesamt zu langsam waren: Ende November, fast einen Monat, bevor der von Biontech und Pfizer entwickelte Impfstoff in der EU zugelassen wurde, hob in Brüssel ein Jet von United Airlines ab, um die begehrte Ware in die USA zu bringen. Bis Mitte Dezember folgten sechs weitere Transporte von Impfstoff gen USA.

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Die Ausfuhren waren mit Vorlauf geplant. Im Oktober hatte Brussels Airport dafür eine eigene Task Force gegründet, um die Vorgaben der Hersteller zu erfüllen. „Wir wussten schon eine ganze Weile, dass November das Zieldatum sein würde“, sagte Samuel Speltdoorn, Business Development Manager Cargo der WirtschaftsWoche. „Wir waren in engem Kontakt mit den Herstellern.“

Seit zehn Jahren ist der Flughafen Brüssel auf die Logistik rund um empfindlichen Impfstoff spezialisiert. Als einer der ersten weltweit ließ er sich von der International Air Transport Association (Iata) zertifizieren. Die Expertise war ein wichtiger Grund, warum sich der US-Pharmariese Pfizer als ersten Standort für die Covid-Impfstoffproduktion in Europa die 30 Kilometer entfernte Kleinstadt Puurs wählte. In der Pandemie hat sich Brüssel zum wichtigsten Exportflughafen für Corona-Impfstoff in Europa entwickelt. 15 Millionen Corona-Impfstoffdosen sind von hier ausgeflogen worden.

Der Rhythmus der Exporte hat sich deutlich beschleunigt von anfangs rund zwei Maschinen in der Woche hin zu aktuell einem Flug täglich, über 40 Zielorte werden bedient. So hat der Carrier ANA große Mengen nach Japan transportiert, das Land bezieht Impfstoff bisher ausschließlich aus Europa.

Viele Fluglinien, denen in der Pandemie die Passagiere fehlen, haben auf Impfstofflogistik umgestellt. So brachte ein Ferienflieger der TUI, aus dem die Sitze entfernt worden waren, Mitte Februar Impfstoff von Johnson & Johnson aus Belgien nach Südafrika. Auch dieser Flug erfolgte, bevor die EU den Impfstoff zuließ, was erst vergangene Woche der Fall war.

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Virgin Atlantic fliegt täglich mit Maschinen, die vor der Pandemie Los Angeles und San Francisco ansteuerten, Cargo von Brüssel nach London, „und da ist auch die ein oder andere Impfstofflieferung dabei“, wie Speltdoorn sagt. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um Dosen von AstraZeneca handelt.

Speltdoorn erwartet, dass bald auch noch mehr Flieger aus exotischen Zielen, Impfstoffe abholen werden: „Regierungen wollen, dass ihre nationalen Carrier den Impfstoff befördern.“

Theoretisch könnte Brüssel auch das Tor für Impfimporte werden. Der Flughafen Brüssel hat ein Memorandum of Understanding mit dem indischen Carrier Spice Jet unterschrieben, der Impfstoff befördern will. Serum Institute of India, der weltgrößte Impfstoffhersteller, hat auf Vorrat das Vakzin von AstraZeneca hergestellt. Auf Anfrage wollte sich das Unternehmen nicht äußern, ob der Impfstoff schon bald in die EU eingeführt werden soll.



Der Flughafen Brüssel, dessen Passagierzahlen im vergangenen Jahr um fast 75 Prozent einbrachen, rechnet in diesem Jahr mit steigenden Cargo-Umsätzen, „auch dank der Impfstoffe“, wie Speltdoorn sagt.

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