
Brutale Schlepper, lange Fußmärsche, gefährliche Bootsfahrten – auf viele Gefahren während der Flucht vor dem syrischen Bürgerkrieg war Ali (Name von der Redaktion auf Bitte geändert) gefasst, doch damit hatte er nicht gerechnet: Kaum angekommen im sicheren Europa, geht ihm das Geld aus, in Griechenland herrscht eine Bankenkrise. Anderen Flüchtlingen, die die griechische Küstenwache vier Tage zuvor aus ihrem Boot gerettet hatte, geht es ähnlich: „Wir haben ein Problem mit Western Union“, sagt Ali, die Filialen der Transferbank haben heute geschlossen.
Nun sitzen sie da. 30 verlorene Seelen, dem endlosen Krieg in Syrien mit dem täglichen Töten und Foltern gerade entronnen, warten sie auf den Treppen der National Bank of Greece am hippen wie heruntergekommenen Omonia-Platz in Athen und warten darauf, dass die Banken öffnen. Das kann dauern. „Verwandte überweisen mir Geld, damit ich meine Reise nach Europa bezahlen kann“, sagt Ali. Er wolle nach England und dort sein Zahnmedizin-Studium fortsetzen, sagt der 26-Jährige: „Am besten in Oxford, sonst auch in London.“
Bis dahin war die Reise schon nicht günstig: Zu Fuß floh Ali über die Grenze in den Libanon, von dort ging es mit „Turkish Airlines“ weiter nach Istanbul, dem utopischen Traum von einem besseren Leben in Europa entgegen. Nach einer kurzen Pause weiter per Bus in den türkischen Ferienort Izmir, wo der Schlepper wartete – ein Grieche, der nach übereinstimmenden Auskünften pro Kopf 1200 Dollar für die Überfahrt berechnete.
Mit Ali ging auch die 19-jährige Sally (Name von der Redaktion auf Bitte geändert) an Bord, die in Aleppo zwei Jahre Medizin studiert hatte. Ihr Studium will sie in Deutschland fortsetzen, oder auch irgendwo anders in Europa. „Überall in Europa ist es besser als im Arabischen Raum“, sagt die junge Frau in gutem Englisch, während Ali weiter auf ein Ende des Krieges und die Rückkehr nach Syrien hofft.
An Griechenland hängt mehr als nur der Euro
Seit Wochen betonen die Euro-Partner, dass die Ansteckungsgefahr nach einem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone eher gering wäre. Zum einen wird darauf verwiesen, dass sich heute fast alle griechischen Schulden bis auf 40 bis 50 Milliarden Euro in der öffentlichen Hand befinden - eine Kettenreaktion kollabierender Banken also nicht zu befürchten sei. Zum anderen hätten sich Gläubiger seit langem auf mögliche Probleme eingestellt und ihre griechischen Geschäfte reduziert.
Alles falsch, meint Schulz und verweist darauf, dass die Risikoaufschläge etwa für spanische Staatsanleihen in den vergangenen Wochen erheblich gestiegen seien. Kommt ein Staatsbankrott, würde der möglicherweise einen Schuldenschnitt nach sich ziehen - mit erheblichen Belastungen für die klammen Haushalte etwa der südlichen EU-Staaten, aber auch Frankreichs.
Außerdem könnte das Vertrauen in den Euro als Währung weltweit Schaden nehmen, wenn eines der 19 Mitglieder ausbreche, heißt es in der Bundesregierung. Dabei spiele keine große Rolle, dass Griechenland weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Währungszone beisteuere. Denn die angebliche Unumkehrbarkeit der Euro-Einführung wäre widerlegt.
In Berlin fürchtet man aber auch, dass ein Kollaps Griechenlands den Befürwortern eines britischen Austritts aus der EU Auftrieb geben könnte. Europa droht also an seinen Rändern zu zerfasern. Der Grund ist einfach: Die EU wäre nach einem Ausstieg Athens wahrscheinlich in einem so desolaten Zustand und müsste so viel kurzatmige Rettungsaktionen für Griechenland starten, dass die Gemeinschaft auf britische Wähler kaum noch attraktiv wirken dürfte. Möglicherweise würden zudem mehr Griechen das eigene Land auch Richtung Großbritannien verlassen wollen. Die Briten schimpfen aber bereits jetzt über zu viele Migranten aus anderen EU-Ländern - dies ist einer der Kritikpunkte der EU-Gegner auf der Insel.
Griechenland ist nicht nur ein angeschlagener Euro-Staat, sondern auch ein schwieriger EU-Partner. Mit seiner Linksaußen- Rechtsaußen-Regierung betonte Ministerpräsident Alexis Tsipras politische Nähe zum Kreml und hat sich mehrfach mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. In der EU gibt man sich zwar gelassen, dass Russland nicht als alternativer Geldgeber gegen die EU ausgespielt werden kann - dafür sind die nötigen Hilfssummen viel zu groß. Auch die Träume des Links-Politikers, dass Griechenland Verteilland für russisches Gas in der EU werden könnte, dürften sich angesichts des Vorgehens der EU-Kommission gegen den russischen Gasriesen Gazprom zerschlagen. Aber Putin hat nach Ansicht von EU-Diplomaten durchaus schon bewiesen, dass er Differenzen zwischen EU-Staaten ausnutzen kann. Bei der Verlängerung von EU-Sanktionen gegen Russland braucht es etwa auch die Zustimmung Griechenlands.
In Berlin sorgt man sich zunehmend, dass die gesamte Balkan-Region ohnehin sehr instabil werden kann. Immer noch gärt der Namensstreit zwischen Griechenland mit dem EU-Beitrittsaspiranten Mazedonien - in dem ein heftiger innenpolitischer Machtkampf tobt. Und Geheimdienste warnen, dass die radikalislamische Miliz Islamischer Staat (IS) in den vergangenen Monaten massiv versucht hat, in den moslemischen Bevölkerungen Bosnien-Herzegowinas, Albaniens oder Mazedoniens Fuß zu fassen. Ein zusammenbrechender Nachbarstaat Griechenland würde die Unruhe in der Region noch verstärken.
Kaum diskutiert worden ist die Rolle Griechenlands bei der Abwehr eines unkontrollierten Zuzugs von Flüchtlingen in die EU. In den vergangenen Jahren hat der bessere Schutz der griechisch-türkischen Grenze Flüchtlingen aus dem Nahen Osten die Einwanderung in die EU zumindest zum Teil erschwert. Die linke Syriza-Partei könnte im Falle eines Staatsbankrotts die Schleusen für afrikanische oder syrische Flüchtlinge aufmachen. Entsprechende Drohungen waren aus Athen bereits zu hören. Denn seit Jahresbeginn seien bereits 46.000 Flüchtlinge nach Griechenland gekommen, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit. 2014 waren es im selben Zeitraum nur 34.000 Personen. Die Vereinten Nationen warnen bereits vor einer Flüchtlingskatastrophe in Griechenland.
EU-Kommissar Günther Oettinger forderte die Brüsseler Behörde auch deshalb auf, einen "Plan B" zu erarbeiten. Dabei soll Hilfe für das Land für den Fall eines Bankrotts vorbereitet werden. Neben humanitärer Hilfe gehe es um die Frage, wie man eigentlich die Sicherheit in dem EU-Land noch gewährleisten will, wenn die Regierung den Polizisten keine Löhne mehr zahlen kann.
Die Überfahrt mit dem griechischen Schlepper muss eine fürchterliche Tortur gewesen sein. Sally erzählt: „Ich hatte Angst, es war kalt und das kleine Boot lief rasch voller Wasser.“ Nach einigen Stunden habe sie die griechische Küstenwache gerettet, die seien sehr höflich gewesen.
Ob sie den Schlepper festgenommen haben, wissen die Flüchtlinge nicht. Nach drei Tagen im Camp auf der Insel Metopi habe man die Flüchtlinge allerdings gebeten, sie mögen Griechenland so bald wie möglich wieder verlassen.