Wie könnte eine Reform der europäischen Handelspolitik aussehen?
Erste Überlegungen gehen in die Richtung, bei Freihandelsabkommen genau zu trennen, welche Teile in wessen Kompetenz fallen. Der Teil, der in nationale Kompetenz fiele, etwa Verkehr, bedürfte dann die Zustimmung der nationalen Parlamente. Die politische Debatte darüber hat aber noch nicht begonnen – und sie verspricht äußerst schwierig zu werden. Denn auf der einen Seite stehen diejenigen, die eine stärkere Einbindung der nationalen Parlamente fordern, weil sie glauben, dass Bürger sich dadurch mitgenommen fühlen. Andere argumentieren, dass die EU immer schwerfälliger wird, je mehr Mitspracherechte sie vergibt. Diese Gruppe weist den Vorwurf zurück, die EU sei undemokratisch. Wenn über ein Freihandelsabkommen nur auf EU-Ebene abgestimmt wird, dann entscheiden demokratisch gewählte EU-Abgeordnete im Europäischen Parlament und demokratisch gewählte Regierungen im Rat der EU.
Fragen und Antworten zur Ceta-Ablehnung durch die Wallonie
Das ist äußerst unwahrscheinlich. Hinter Ceta stehen alle 28 EU-Regierungen. Sie halten das Abkommen für das fortschrittlichste und beste, das die EU je ausgehandelt hat. Die Gemeinschaft dürfte deswegen weiter versuchen, den Widerstand der Wallonen zu brechen.
Das gilt als schwierig, aber nicht als unmöglich. Der Regierungschef der Wallonen, Paul Magnette, sieht etliche Forderungen seiner Region nach den Verhandlungen der vergangenen Tage bereits als erfüllt an - zum Beispiel, weil Zusatzerklärungen zu Bereichen wie Umwelt- und Verbraucherschutz noch deutlicher formuliert wurden. Knackpunkt ist aber weiterhin das System zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Staaten. Die Wallonen verlangten zuletzt Änderungen, die nicht in kurzer Zeit umsetzbar sind.
Es gab Warnungen, aber offensichtlich hat sie niemand ernst genug genommen. In Brüssel betrachteten viele Verantwortliche die Streitigkeiten als innerbelgisches Problem und sahen es als Aufgabe der Föderalregierung von Charles Michel an, die notwendige Einigkeit in den Regionen herzustellen.
Letztlich wäre dies wohl am ehesten die Sache von Premierminister Charles Michel. Er hat es weder geschafft, die Wallonie zu überzeugen, noch hat er offensichtlich klar genug davor gewarnt, dass er dem Abkommen gegebenenfalls nicht zustimmen kann.
Beide Seiten zeigen derzeit gegenseitig mit dem Finger auf sich. Die EU-Kommission weist darauf hin, dass sie von Deutschland und etlichen anderen Staaten gezwungen wurde, Ceta als Vertrag einzustufen, dem nicht nur das Europaparlament, sondern auch der Bundestag und andere nationale und regionale Parlamente zustimmen müssen. Dies führt dazu, dass nun zum Beispiel die Wallonen das Abkommen blockieren können. Bundeswirtschaftsminister Gabriel wirft der EU-Kommission hingegen eine Präferenz für das „technokratische Durchpauken von Handelsverträgen“ vor. Er argumentiert, er und andere Mitgliedstaaten hätten damals nur auf die „Fragen und Kritik ihrer Bevölkerung“ reagiert.
Vermutlich haben beide Seiten die Kritik an Freihandelsabkommen wie Ceta lange nicht ernst genug genommen. Gabriel muss sich zudem vorwerfen lassen, dass er zuletzt zweigleisig fuhr. Auf der einen Seite warb er für Ceta, auf der anderen machte er aber Stimmung gegen das mit den USA geplante Handelsabkommen TTIP. Für Ceta-Kritiker war das kaum verständlich.
Ceta-Befürworter befürchten, dass die EU ihre Glaubwürdigkeit als Handelspartner verliert. Ihr Tenor: Schafft die EU nicht mal ein Abkommen mit Kanada, mit wem soll es dann noch klappen? Sie denken dabei auch an die Verhandlungen mit den USA über die große Ceta-Schwester TTIP.
Warum durfte die Wallonie über Ceta abstimmen, nicht aber deutsche Bundesländer?
Dies geht auf eine belgische Besonderheit zurück. Bereits 1994 hat eine Verfassungsänderung in Belgien die Kompetenz für Außenhandelsverträge an die Regionen gegeben. Auslöser war der Drang des nördlichen Landesteils Flandern nach mehr Selbstbestimmung. Erst zwei Jahrzehnte später wird nun offensichtlich, welchen politischen Sprengstoff die Kompetenzverlagerung barg.
Wer ist der Gewinner der vergangenen Tage?
Paul Magnette, der Ministerpräsident der belgischen Region Wallonie, hat für seinen Kurs Zuspruch aus der ganzen Welt bekommen und ist zur Leitfigur für Globalisierungsgegner geworden. Innenpolitisch hat sich sein Veto bezahlt: 70 Prozent der französischsprachigen Belgier unterstützen seine Linie.
Was bedeuten die Ereignisse der vergangenen Tage für die Verhandlungen der EU über das transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP)?
Der große Widerhall, den der wallonische Ministerpräsident Magnette in Europa fand, zeigt, dass in der Bevölkerung Skepsis gegenüber Freihandelsabkommen neuer Art herrscht. In diesen Abkommen geht es nicht nur darum, Zölle zu senken, sondern Regulierung anzugleichen. Nicht-Regierungsorganisationen warnen, dass TTIP den Verbraucherschutz senken werde. Diesen Vorwurf werden die TTIP-Unterhändler mehr als zuvor entkräften müssen, wenn TTIP von den Bürgern akzeptiert werden soll. Der Streit um Ceta zeigt auch, dass in Europa kein gesellschaftlicher Konsens mehr herrscht, dass Freihandel per se erstrebenswert ist.