Ein Land beunruhigt die Welt Die wichtigsten Antworten zum Italien-Chaos

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Welche wirtschaftspolitischen Schritte sind konkret umstritten?

Die im Vergleich zur Vorgängerregierung geplante höhere Neuverschuldung in den nächsten drei Jahren resultiert im wesentlich aus drei wirtschafts- und sozialpolitischen Projekten der neuen Regierung. Diese waren die maßgeblichen Versprechen im Wahlkampf, aus dem die Fünf Sterne mit 33 Prozent und die Lega mit etwa 18 Prozent Wählerstimmen hervorgingen: Eine soziale Grundsicherung für Langzeitarbeitslose, die Rücknahme einer umstrittenen Senkung des Renteneintrittsalters und eine Steuerreform für Klein- und Kleinstbetriebe.

Alles in allem kostet das im Vergleich zu den Plänen der bisherigen Regierung etwa 20 Milliarden Euro jährlich, sehr konservativ gerechnet.

Den größten Kostenblock verursacht dabei die soziale Grundsicherung, die es bisher in Italien nicht gibt. Wer dort arbeitslos wird, bekommt – sofern er vorher in eine Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat – für maximal zwei Jahre ein Arbeitslosengeld. Hat er nie in die Versicherung eingezahlt oder ist länger als zwei Jahre arbeitslos, entfällt je nach Wohnort jegliche finanzielle Unterstützung. Etwa 6,5 Millionen Italiener, vor allem im von einer Arbeitslosigkeit von bis zu 30 Prozent geplagten Italien südlich von Rom, betrifft das. „Für sie schaffen wir die Armut ab“, begründete Vize-Premier und Arbeitsminister Luigi di Maio (Fünf Sterne) die soziale Grundsicherung. Nach seinen Plänen sollen Langzeitarbeitslose, die grundsätzlich Arbeit suchen, künftig 780 Euro im Monat bekommen.

Um die erwartete Kritik aus Nordeuropa zu entkräften, hat die Regierung einige Einschränkungen in das Gesetz gebaut: Lehnen die Empfänger mehr als zwei Jobangebote ab, wird die Unterstützung wieder gestrichen. Damit es zu keinem Missbrauch kommt soll die Summe zudem nicht als Geld sondern als Wertkarte bereit gestellt werden. Sollten Empfänger dennoch gegen Regeln verstoßen, drohen bis zu sechs Jahren Haft. Zudem verweist di Maio darauf, dass der italienische Staat bisher deutlich weniger Sozialleistungen pro Jahr und Kopf zahle als etwa der deutsche: Knapp 13.000 versus 15.500 Euro.

Was denken die Italiener?

So einhellig wie das italienische Wirtschafts-Establishment die Pläne ablehnt, so populär sind sie in der Bevölkerung. Das zeigt sich nicht nur durch regionale Wahlerfolge wie jenem am Wochenende im Nordosten des Landes. Der „Corriere della Sera“, eine der zwei renommiertesten Zeitungen des Landes und sehr regierungskritisch, veröffentlichte am Wochenende eine landesweite Umfrage. Demnach beurteilen 59 Prozent der Wähler den Kurs der Regierung als positiv, nur ein Drittel sieht die Regierung negativ. Die Wähler der beiden Regierungsparteien halten die Arbeit „ihrer“ Regierung sogar zu mehr als 80 Prozent für gut. Das sind Rekordzustimmungswerte in dem chronisch wankelmütigen Land. Und mehr als zwei Drittel der Wähler der beiden Parteien hält explizit die Finanz- und Wirtschaftspolitik für gut. In der Gesamtbevölkerung ist es mit 47 Prozent dafür und 42 Prozent dagegen immerhin auch noch eine Mehrheit.

In den Zahlen drückt sich auch eine tiefe Verbitterung vieler Italiener mit dem bisher zwischen den Alt-Parteien und den Euro-Partnern abgestimmten Kurs in der Haushaltspolitik aus: Die öffentlichen Investitionen etwa in Straßen, Schienen oder Schulen haben sich seit 2010 fast halbiert. Ausgaben für Gesundheit und Bildung gehen permanent zurück. Zwar wuchs die Wirtschaft im Jahr 2017 um etwa 1,9 Prozent und damit so stark wie lange nicht – doch wirkte sich das weder nennenswert auf die Arbeitslosenquote noch auf die Einkommen der meisten Italiener aus. Und selbst der Schuldenberg von mehr als zwei Billionen Euro oder 130 Prozent des Bruttoinlandsproduktes blieb mehr oder weniger auf seinem hohen Niveau.

Vor allem der zweite Vize-Premier und Chef der Lega, Innenminister Matteo Salvini, positioniert sich als skrupelloser Kämpfer gegen Ausländer und Einwanderer. Quelle: dpa

Wenn es jenseits der Wirtschafts-Community in Italien Kritik an der Regierung gibt, dann wegen ihres unappetitlichen Umgangs mit Migranten. Vor allem der zweite Vize-Premier und Chef der Lega, Innenminister Matteo Salvini, positioniert sich als skrupelloser Kämpfer gegen Ausländer und Einwanderer. Dagegen protestierten am Wochenende Zehntausende in Rom. Wirklich gefährlich dürften sie der Regierung aber zunächst nicht werden.

Wenn überhaupt, dann ist diese Regierung permanent durch innere Konflikte destabilisiert. Fünf Sterne und Lega sind ein Zweckbündnis. Weder die beiden Vize-Premiers, die sich schon während der Koalitionsverhandlungen so stritten, dass keiner von ihnen sondern als Kompromiss der parteilose Verwaltungsprofessor Conte Regierungschef wurde, noch die Wähler haben nennenswerte gemeinsame Interessen. Regelmäßig droht die eine Seite der anderen mit dem Ende der Koalition. Vor allem in der Wirtschaftspolitik knallt es immer wieder: Die Fünf Sterne, die doppelt so viele Parlamentarier in Rom haben wie die Lega, sind eher wachstumskritisch und offen für alternative Ökonomie-Modelle. Die Lega ist eine klassische, eher wirtschaftsliberale, Partei des Mittelstandes. Aus ihren Reihen kommen auch immer wieder Signale, am Ende könnte die Neuverschuldung doch geringer ausfallen, als derzeit geplant. Am Wochenende konnte etwa Fünf-Sterne-Frontmann di Maio seinen Gegenüber Salvini nur mit der Zustimmung zu einer Amnestie für Steuersünder in der Regierung halten.

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