Einbecker Bürgerspital Wie sich eine Klinik selbst aus dem Abgrund zieht

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Einbecks wilder Ritt entlang der Pleite

Knapp zwei Jahre nach ihrer Wiederauferstehung sind die Einbecker dennoch in den schwarzen Zahlen. Statt zuletzt 126 gibt es jetzt nur noch 109 Betten. Früher waren es mal 200. In Zukunft wird das Haus noch weniger Krankenhaus und mehr Gesundheitsstation sein.

Einbeck hat aber alles, was ein Wald-und-Wiesen-Krankenhaus braucht – von der Notaufnahme bis zur Intensivstation. Die Geburtsstation ist längst dicht, andere Abteilungen sind gestutzt. Stattdessen gibt es Krankengymnastik auch für ambulante Patienten und traditionelle chinesische Medizin. Der Radiologe sitzt nicht vor Ort, sondern hat eine Praxis in der Region.

Neue Geschäftsideen

Dazu kam ein neues Angebot – vor allem für Ältere. Ein Ärzteteam aus einem benachbarten Hospital, das aufgab, bietet im Obergeschoss Schmerzmedizin und die Betreuung unheilbar Kranker. Ein Hospiz soll wohl im bisherigen Schwesternwohnheim starten – „das gibt es in dieser ländlichen Gegend nicht“, sagt Beyes. Auch sonst fand sich neues Geschäft: Die Küche bekocht nun umliegende Schulen und beliefert den Bringdienst Essen auf Rädern.

Nach dem wilden Ritt entlang der Pleite wagen die mittelständischen Gesundheitsunternehmer nun, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Dabei helfen soll der kaufmännische Geschäftsführer Hans-Martin Kuhlmann. 2013 hatte er das Angebot, nach Einbeck zu kommen, erst abgelehnt. Mit 56 Jahren war ihm der Pleitebetrieb zu unsicher. Beyes überredete ihn.

Kontrolleur Beyes (links) und Kuhlmann (rechts) beraten sich mit Städtler. Quelle: Michael Löwa für WirtschaftsWoche

Kuhlmann wirkt im Hintergrund, wenn die beiden anderen nach vorne preschen. Doch auch er ist selbstbewusst: „Vor fünf Jahren wäre so ein Modell gescheitert, heute wage ich zu sagen, dass es klappen wird.“ Politiker und Kassen würden erkennen, dass es Gesundheitszentren brauche, wenn Arztpraxen dichtmachten.

Manches könnte besser sein. Die Qualität sei nach gängigen Klinikvergleichen „noch etwas schlecht“, räumt Kuhlmann ein. „Wir messen uns aber an der Akzeptanz der Bevölkerung. Egal, welcher Qualitätsaufkleber drauf ist, die Leute kommen nur, wenn wir in deren Augen gut sind.“ Die Betten sind zu knapp 90 Prozent voll.

Ziel: Ambulante Patienten locken

Das nächste Ziel ist, mehr ambulante Patienten anzulocken, Orthopäden, Internisten und andere Spezialisten sind im Haus. Der Schritt ist heikel, die niedergelassenen Ärzte fürchten, dass ihnen dann Geschäft entgeht. Städtler wischt die Bedenken weg: „Das müssen wir schon deshalb machen, weil es auf dem Land sonst nicht mehr genügend Ärzte gibt.“ Im Krankenhaus sei vieles billiger. „Ist doch sinnvoller, wenn sich fünf Mediziner ein Ultraschallgerät teilen, als wenn jeder eins kauft.“

Sparsamkeit ist Tugend hier am Berg über der Stadt. Das finden die Miteigentümer und Spender in Ordnung. Dennoch erwarten sie einiges. Manchmal, wenn er den sehr forschen Verwandten eines Patienten am Telefon hat, stöhnt Städtler. „Jeder, der uns zehn Euro gespendet hat, fühlt sich wie der wichtigste Patient. Aber meistens geht das in Ordnung. Die sollen sich wohlfühlen.“

Weil es die Bürger genau nehmen, achtet der Arzt darauf, sein Zigarettenpäuschen am Nachmittag auf dem Balkon diskret zu absolvieren. Statt Fluppe und Rauch hält er dem Publikum seinen Rücken entgegen.

Danach lässt sich ein erschöpfter Klinikchef im Schwesternzimmer nieder. Inzwischen bekommt er sogar wieder Bewerbungen von Ärzten, denen die Atmosphäre hier zusagt. Ganz sicher werde es das Bürgerspital in fünf Jahren noch geben. „Das weiß ich, wenn ich aus dem Fenster schaue.“ Städtler lächelt. Der Parkplatz für die Besucher ist voll.

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