Einbecker Bürgerspital Wie sich eine Klinik selbst aus dem Abgrund zieht

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Klinikschließung oft teurer, als einfach weiterzumachen

Für die Betreiber wird eine Schließung oft teurer als das Weiterwurschteln – sie müssten hohe Subventionen zurückzahlen. Die staatlich verordnete Hungerkur förderte so ein neues Problem: Ärzte operieren nun eher, was geht, als das, was nötig ist – auch des Geldes wegen. Künstliche Knie- und Hüftgelenke oder Kaiserschnitte sind in Deutschland häufiger als in den allermeisten Industrieländern der OECD.

Deutschland hat im Vergleich zu seinen Nachbarländern zwar viele Kliniken und teure Betten, nicht aber gesündere Menschen. Auf 1000 Einwohner kommen gut acht Krankenhausbetten, in Frankreich 6,5, in der Schweiz und den Niederlanden nicht einmal fünf und in Dänemark nur drei. Jeder dritte Euro der Krankenkassen, rund 66 Milliarden Euro, geht im Jahr an die Krankenhäuser. Mit Honoraren der Privatversicherungen und Staatsgeld summiert sich das auf 90 Milliarden Euro. Trotzdem schreiben rund 40 Prozent der Häuser rote Zahlen.

Statt rote Blutkörperchen zu lesen, lernte Internist Städtler rote Zahlen zu verstehen, und fasste Ende 2012 den endgültigen Entschluss. Mit Beyes und wohlhabenden Privatleuten übernahm er das Haus.

Dem Patienten geht es gut: Die Herzfrequenz ist in Ordnung. Quelle: Michael Löwa für WirtschaftsWoche

Der Ort, der für die Erfindung des Bockbieres bekannt ist, macht seitdem auch mit Bürgerstolz von sich reden. Der ehemalige KWS-Manager erreichte, dass aus der Abwicklung eine Planinsolvenz wurde, die wohl erste einer Klinik in Deutschland. Nicht der Exitus, sondern die Genesung war das Ziel. 27 Millionen Euro Schulden wurden mit der Pleite weggewischt. „Wir sind das einzige Haus in Niedersachsen, das einen sauberen Neustart hinlegt“, sagt Beyes. Den Stolz trägt das Haus nun im Namen: Bürgerspital heißt der Betonkasten.

Schmerzhaftes Schrumpfen

Einen ähnlichen Umstieg könnten Bund und Länder bald auch anderen Kliniken ermöglichen. Darüber verhandelt seit Frühjahr eine Kommission bei Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Ein großzügiger Fonds soll helfen, Schulden abzubauen und kranke Häuser in Gesundheitsambulanzen zu verwandeln. Das wird ungemütlich, egal, ob der Staat Geld gibt. Die Einbecker wissen das. Sie mussten schrumpfen und wirtschaftlicher werden.

Die Mediziner verzichteten auf zehn Prozent ihrer Bezüge, die Krankenschwestern auf 8,5 Prozent Lohn. Drei Monate wurden gar nicht bezahlt, 70 Mitarbeiter entlassen. 280 Menschen blieben – sie teilen sich umgerechnet 190 Vollzeitstellen.

"Mehrmals wussten wir nicht, ob es weitergeht“, erinnert sich Pflegedienstleiterin Meike Kettler. „Das hat uns zusammengeschweißt.“ Die Schwestern seien im Schnitt 55 Jahre alt und wollten nicht woanders neu anfangen. Diese Treue spürten die Patienten, ist die 42-Jährige sicher. Auch wenn nun eine Pflegerin auf zehn Patienten kommt – das ist selbst in Deutschland wenig, wo Pflegende im Dauerstress sind.

Chefarzt Olaf Städtler muss zugleich auf Patientenwohl und Sparsamkeit achten. Quelle: Michael Löwa für WirtschaftsWoche

Der Arzt Städtler und der Manager Beyes bastelten einen mittelständischen Betrieb im Besitz der Bürger – der eine als Geschäftsführer, der andere als Aufsichtsrat, der hier Beirat heißt. 500.000 Euro Risikokapital brachten wohlhabende Einbecker ein – auch Städtler und Beyes beteiligten sich. Auf jeder Ladentheke im Ort standen Spendenbüchsen. Das Geld verwaltet Beyes als Treuhänder. Einmal pro Woche tritt der 73-Jährige zur Lagebesprechung an.

"Wir heften Patienten keinen Barcode an den Zeh"

Beyes, der unter den buschigen Augenbrauen sehr bestimmt schaut, ist zwar für Zahlen zuständig. Viel wichtiger ist ihm aber anderes: „Wir wollen hier nur das machen, was den Patienten nützt.“ Das Haus müsse keinen Gewinn erzielen, nur wirtschaftlich sein. „Das ist eine ganz andere Kultur als beim Helios-Konzern“, schnaubt er. Gerade hat im nahen Northeim eine neue Helios-Klinik eröffnet. Sie wollten dem „regionalen Monopolisten“ mit einem persönlichen Umgang gegenhalten.

Städtler sagt: „Wir haben kein Wunder vollbracht, wir sind auch nicht die besseren Menschen.“ Er legt aber Wert darauf, dass er sich nicht am Wettlauf beteilige, wer den Leuten am meisten andient. „Wir heften neuen Patienten keinen Barcode an den großen Zeh“, sagt er.

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