Einblick

Großbritannien und Europa müssen zur Paartherapie

Die Briten stimmen über den Brexit ab. Sollen sie gehen. Es könnte der heilsame Schock sein, den ein bürokratisiertes Europa braucht.

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Die Flaggen von Großbritannien und der EU Quelle: dpa

Man muss sich nicht aneinander die Zähne ausbeißen. Nicht einmal, wenn man gerade die Rubinhochzeit begangen hat: 40 gemeinsame Jahre. Bis zur Goldenen scheint es nun nicht mehr zu reichen. So ist das. Manch einen macht das Alter klug oder milde, manch einen macht es störrisch und verbohrt. Das gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Großbritannien und die EU.

Die Argumente sind ausgetauscht, die Liebes- und Hassbezeugungen auch. In dieser vernetzten, globalisierten Welt ist nicht einmal mehr eine Insel eine Insel. Jeder Staat schwimmt in der Ursuppe einer gemeinsamen politischen und wirtschaftlichen Evolution. Zu glauben, man könne mit einem Fingerschnippen zurück in den Zustand der Autarkie wechseln, zeugt bei freundlicher Betrachtung von Naivität, realistisch gesehen von Ignoranz.

So ist das auch im Verhältnis Großbritanniens zur EU. Beide Seiten verhalten sich seit Monaten wie ein zerstrittenes Paar, das mit jedem Tag weniger in der Lage ist, sich an die Beweggründe zugunsten der einst willentlich eingegangenen Partnerschaft zur erinnern. Je näher nun der Tag der Entscheidung rückt, desto lauter werden plötzlich wieder die Stimmen derjenigen, die zu begreifen beginnen, dass man auch im politischen Spiel irgendwann tatsächlich rausfliegen kann und dass dann nicht einmal sichergestellt ist, wieder auf „Los“ zu kommen.

Europa am Scheideweg

Mitte der Woche warnten 51 Chefs multinationaler Unternehmen in Europa in einem Brief vor den Konsequenzen eines Brexit. Sie schrieben, was man dann so schreibt. Vom Scheideweg, an dem Europa sich befindet. Davon, dass beide Seiten, Großbritannien und die EU, alleine schwächer sein werden als gemeinsam. Das britische Finanzministerium macht es konkreter. In ihrer aktuellen Analyse spielt die Behörde verschiedene Szenarien durch, die von einem bilateralen Abkommen zwischen Großbritannien und der EU nach dem Vorbild Kanadas bis zu einer Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) reichen.

In allen Fällen stehen die Briten nach einigen Jahren deutlich schlechter da als bei fortgeführter EU-Mitgliedschaft. Pro Haushalt bedeutet das zwischen 2600 und 5200 Pfund weniger im Jahr als bisher. Aufseiten der EU wiederum kann man die Einwände gegen den Brexit mittlerweile mitbeten. Sie richten sich vor allem auf die Verfasstheit Europas. Gehen die Briten raus, fehlt der EU ein wichtiges liberales und auf Freihandel ausgerichtetes Gewicht.

Alle wissen also, woran sie sind. Aber wie in einer seit Langem kriselnden Partnerschaft sind die Argumente so oft ohne Wirkung ausgetauscht worden, dass sie mittlerweile resonanzlos verhallen. Man kann reden und reden, aber irgendwann sind alle Leviten und Messen gelesen. Jeder Tag, der dann noch ins Land geht, ist eine Qual.

Die Briten sollen also entscheiden. Und es ist Zeit, ihnen zuzurufen: Dann geht doch! Erst der Entzug macht das spürbar, was schon jetzt nicht mehr ist. Für Europa ist das dann vielleicht endlich der heilsame Schock, den diese verbürokratisierte Lähmung der einzigen Europaidee braucht, um wieder in Schwung zu kommen. Ein Weiter-so ist inzwischen die quälendste Vorstellung. Quälender, als jede Trennung sein kann.

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