




Gespannt blicken Börsianer, Ökonomen und Politiker heute nach Frankfurt, wo sich die Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB) zu ihrer Sitzung treffen. Normalerweise sind die Zusammenkünfte, bei denen die Währungshüter nicht über die Zinsen entscheiden, für die Märkte ein Non-Ereignis. Doch diesmal ist es anders. Denn bei dem heutigen Treffen geht es um die Frage, ob die griechische Notenbank den Geschäftsbanken ihres Landes mehr Notkredite (Emergency Liquidity Assistance, kurz: ELA) gewähren darf. Was sich sperrig und technisch anhört, ist für die Zukunft der Währungsunion von entscheidender Bedeutung. Denn ohne die zusätzlichen Notkredite dürften die Tage Griechenlands in der Währungsunion gezählt sein.
Weitere Stationen im griechischen Schuldendrama
Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB). Dabei könnte eine Aufstockung und Verlängerung der Notfallhilfe für Griechenland bewilligt werden. Die griechischen Banken haben immer größere Probleme, weil Bürger des Landes ihre Konten aus Furcht vor der finanziellen Zukunft abräumen. Seit vergangenen Mittwoch können die Banken griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit für EZB-Kredite hinterlegen, um an frisches Geld zu kommen.
Das Ultimatum der Europartner für Griechenland läuft ab. Bis dahin soll Athen einen Antrag für eine sechsmonatige Verlängerung des Hilfsprogramms stellen - zusammen mit verbindlichen Zusagen.
Das bereits verlängerte Hilfsprogramm der Europäer endet. Aus dem Programm stehen noch 1,8 Milliarden Euro aus.
2,1 Milliarden Euro müssen an den IWF und 1,9 Milliarden Euro an Zinsen gezahlt werden.
Die Finanzminister der Euro-Zone kommen routinemäßig zusammen, Griechenland dürfte wieder ein Thema sein.
Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU.
Im Juni sind 2,62 Milliarden an Schulden fällig, im Juli 5,12 Milliarden und im August 3,69 Milliarden Euro. 6,68 Milliarden davon sind Schulden bei europäischen Institutionen. Insgesamt muss Athen 2015 rund 22,5 Milliarden Euro zurückzahlen.
ELA-Kredite sind ein Instrument, das so gar nicht zu einer gemeinsamen Geldpolitik in einer Währungsunion passt. Denn die nationalen Zentralbanken können ELA-Kredite in Eigenregie an Banken vergeben, wenn diese vorübergehend unter einem Mangel an Liquidität leiden. Voraussetzung ist, dass die Banken im Grunde genommen solvent sind. Da es sich um Notkredite handelt, gibt sich die nationale Zentralbank mit Sicherheiten zufrieden, die die EZB bei ihren regulären Geldleihgeschäften mit den Banken wegen der geringen Qualität nicht akzeptiert. Dafür müssen die Banken für ELA-Kredite einen höheren Zins zahlen. Wie hoch dieser ist und welche Sicherheiten die Zentralbanken verlangen, darüber schweigen sie in der Regel. Auch geben sie nicht bekannt, welche Institute die Notkredite in Anspruch genommen haben. In Bankenkreisen heißt es, die griechischen Institute müssten 1,55 Prozent Zinsen für ELA-Kredite berappen, 1,5 Prozentpunkte mehr als für reguläre Geldleihgeschäfte der EZB. Offiziell tragen die nationalen Zentralbanken die Verlustrisiken aus den ELA-Krediten.
Da ELA-Kredite mithin kein Element der einheitlichen Geldpolitik sind, bleibt die EZB bei der Entscheidung zunächst außen vor. Beläuft sich der ELA-Kredit für eine Bank oder eine Bankengruppe auf weniger als 500 Millionen Euro, informiert die nationale Zentralbank die EZB lediglich im Nachhinein über den Kredit. Übersteigt der Kredit die Schwelle von 500 Millionen Euro, muss die nationale Zentralbank die EZB im Vorfeld informieren. Überschreitet der Kredit gar die Marke von 2 Milliarden Euro, prüft die EZB, ob das Leihgeschäft mit den Aufgaben des Eurosystems vereinbar ist. Auf Antrag der nationalen Zentralbank kann die EZB in diesem Fall eine Obergrenze für ELA festlegen. Im Gegenzug verzichtet sie darauf, den einzelnen ELA-Krediten zu widersprechen, solange diese sich im vereinbarten Rahmen bewegen. Die nationalen Zentralbanken erhalten auf diese Weise einen Freibrief, Notkredite ohne Einzelfallprüfung durch die EZB zu vergeben.
Was droht Griechenland und seinen Banken?
Die EZB verleiht Geld nur an Geschäftsbanken, die als Sicherheiten Wertpapiere hinterlegen, denen Ratingagenturen gute Noten geben. Das ist bei Griechenland-Anleihen nicht der Fall. Bislang machten die Währungshüter eine Ausnahme, weil Athen ein EU-Sanierungsprogramm mit harten Reformauflagen durchlief. Diese Grundlage ist nun weggefallen: Die Regierung des linksgerichteten Ministerpräsidenten Alexis Tsipras lehnt das EU-Rettungsprogramm ab. Die EZB begründete ihre Entscheidung damit, dass man im Moment nicht davon ausgehen könne, dass Hellas sein Reformprogramm erfolgreich abschließen wird.
Ende Dezember 2014 hatten sich die griechischen Banken rund 56 Milliarden Euro bei der EZB beschafft. Davon entfielen nach Angaben der Commerzbank 47 Milliarden Euro auf kurzfristige Geschäfte, die inzwischen ausgelaufen sein dürften - und die nur wiederholt werden können, wenn die Institute andere Sicherheiten haben als griechische Staatsanleihen. Die übrigen neun Milliarden Euro steckten in Langfristgeschäften. „Das Geld muss zurückbezahlt werden, wenn es in diesem Umfang keine anderen Sicherheiten gibt“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Nein. Die Institute können vorerst bei der griechischen Zentralbank ELA-Notkredite nachfragen. Der EZB-Rat hat dafür ein Volumen von bis zu rund 60 Milliarden Euro bewilligt. Damit könnte das Refinanzierungsvolumen griechischer Banken bei der EZB vollständig in eine ELA-Finanzierung überführt werden, schreiben Ökonomen der BayernLB: „Es wäre aber nur wenig Raum vorhanden, um einen weiteren Abfluss von Einlagen zu kompensieren.“ Ein weiterer Haken für die Banken: EZB-Kredite kosten aktuell 0,05 Prozent, ELA-Notkredite 1,55 Prozent. Der Vorteil für die EZB und Europas Steuerzahler: Sie müssen nicht geradestehen, wenn die Kredite ausfallen. Das Risiko liegt bei der Zentralbank in Athen und damit beim Steuerzahler Griechenlands.
Nein. Der EZB-Rat kann diesen Geldhahn mit Zwei-Drittel-Mehrheit zudrehen. ELA darf nur an Institute vergeben werden, die zwar vorübergehende Liquiditätsengpässe haben, aber solvent sind. Das wird ohne ein Hilfsprogramm oder zumindest die begründete Erwartung, dass ein neues Programm schnell in Kraft tritt, unwahrscheinlicher. Die Experten der BayernLB sind daher überzeugt: „Sollte sich Griechenland mit seinen Gläubigern bis Ende Februar nicht zumindest auf eine Brückenfinanzierung einigen, ist damit zu rechnen, dass die EZB griechische Banken von der ELA-Finanzierung ausschließt.“
Dann dürfte den Banken sehr schnell das Geld ausgehen. „Wenn die EZB ELA abklemmt, haben die Institute keinen Zugriff mehr aus EZB-Liquidität. Das wäre der Rausschmiss, Griechenland würde die Währungsunion faktisch verlassen“, sagt Commerzbank-Experte Krämer. Daher sei die Entscheidung auch eine politische. Experten der UBS sehen das ähnlich: „In dem Moment, in dem die EZB das ELA-Fenster schließt, müssen die Verhandlungspartner entweder sofort Kompromisse finden, oder Griechenlands Banken kommen nicht mehr an Geld.“ Um einen Bankenkollaps zu verhindern, müsse Athen dann umgehend eine eigene Währung einführen: „Das wäre das Ende Griechenlands im Euroraum und könnte eine gefährliche Kettenreaktion in Gang setzen.“
Denkbar wäre, die Laufzeit der Hilfskredite zu verlängern oder den Schuldendienst vorrübergehend auszusetzen. Krämer erwartet, dass am Ende auch die Bundesregierung einem „faulen Kompromiss“ zustimmen würde: „Denn bei einem Austritt Griechenlands schlitterte das Land ins Chaos und die Bundesregierung müsste ihren Wählern erklären, dass die direkt und indirekt auf Deutschland entfallenen Hilfskredite an Griechenland in Höhe von 61 Milliarden Euro verloren wären.“
Ist der EZB-Rat allerdings der Ansicht, dass die ELA-Kredite den Aufgaben des Eurosystems, etwa der Sicherung der Preisstabilität, zuwiderlaufen, kann er die Kredite beschränken oder ganz stoppen. Dazu müssen sich zwei Drittel der stimmberechtigten Mitglieder im Zentralbankrat gegen ELA aussprechen. Derzeit sind wegen des Rotationsprinzips von den insgesamt 25 Mitgliedern des EZB-Rats nur 21 stimmberechtigt. Für einen Stopp der ELA-Kredite wären daher 14 Stimmen nötig.
Was bedeutet das konkret für Griechenland? Anfang Februar hat die EZB beschlossen, vorerst keine griechischen Staatsanleihen mehr als Sicherheiten für reguläre Geldleihgeschäfte zu akzeptieren, weil die Regierung in Athen das von ihrer Vorgängerregierung mit der Troika vereinbarte Reformprogramm verworfen hat. Seither sind die griechischen Banken auf ELA-Kredite der griechischen Zentralbank angewiesen. Die EZB hat für diese Kredite eine Obergrenze von 65 Milliarden Euro gezogen. Mittlerweile dürfte diese Grenze jedoch erreicht sein, weil die Griechen aus Angst vor einem Ausstieg aus dem Euro ihre Konten räumen. Um sich Bargeld zu beschaffen und Geld über das Target-Zahlungsverkehrssystem der Eurozone ins Ausland zu überweisen, benötigen die griechischen Banken Zentralbankgeld. Daher ist der Druck auf die EZB groß, die Obergrenze für die ELA-Kredite anzuheben.
Gibt die EZB dem Druck nach, hätte das fatale Folgen. Zum einen förderte sie damit die ohnehin schon massive Kapitalflucht. In der Folge schwöllen die Target-Salden weiter an. Im Januar schossen die Target-Forderungen der Bundesbank gegenüber dem Eurosystem um rund 55 Milliarden auf 515 Milliarden Euro in die Höhe. Ein Großteil davon dürfte auf die Kapitalflucht von Griechen zurück zu führen sein, die ihr Geld nach Deutschland überwiesen.
Zum anderen bedeutete eine Ausweitung der ELA-Kredite, dass die neue Regierung in Athen den Geberländern weiter auf der Nase herumzutanzen könnte. Denn solange die griechische Zentralbank die Banken des Landes mit dem Plazet der EZB über Wasser hält, kann Regierungschef Alexis Tsipras auf Zeit spielen.
Griechenlands Schwächen
Griechenlands Ruf hat in der Euro-Krise arg gelitten. Nur zwei der 60 getesteten Staaten haben ein schlechteres Image als der Pleitestaat. Die Folge: Investoren meiden das Land, die Kreditwürdigkeit ist mies.
Nur 5,7 Prozent der gefragten Experten bescheinigten Griechenland, eine kompetente Regierung zu haben. In der Tat hat es Athen nicht geschafft, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen (Rang 60), für Wachstum zu sorgen (Rang 60) und die öffentlichen Finanzen auf Vordermann zu bringen.
Auch bei der Bildung und Weiterbildung der Bürger hat Griechenland großen Nachholbedarf. Fortbildung von Angestellten gibt es quasi nicht (Platz 58), auch die Qualität der Universitäten ist schlecht (Rang 51). Demzufolge gibt es auch wenige Forscher und Wissenschaftler (Rang 49). Besser schneidet der Krisenstaat bei der Frühförderung ab: Es gibt eine Vielzahl von Lehrern, die Klassen sind sehr klein (Rang 2).
Zudem setzte die EZB ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Ihren eigenen Regularien zufolge darf sie ELA-Krediten nur zustimmen, wenn die begünstigten Banken solvent sind. Das aber ist bei den meisten griechischen Banken nicht der Fall. Ratingagenturen zufolge schlummern in den Bilanzen der hellenischen Institute notleidende Kredite in Milliardenhöhe, für die diese keine ausreichenden Wertberichtigungen gebildet haben. Platzen die Kredite, können die Verluste das Eigenkapital der Banken aufzehren, faktisch sind die Institute dann pleite. Hält die griechische Zentralbank die Banken dennoch durch ELA-Kredite künstlich am Leben, gleicht dies einer Konkursverschleppung.
Schlittern die Banken später in die Pleite, dürften sie kaum mehr in der Lage sein, ihre ELA-Kredite zurückzuzahlen. Die griechische Zentralbank müsste ihre Forderungen abschreiben. Überschreiten die Verluste ihr Eigenkapital, stellt sich die Frage nach der Rekapitalisierung der Notenbank. Zuständig dafür wäre in erster Linie der griechische Staat. Ist dieser finanziell überfordert, dürften aber wohl die Steuerzahler der übrigen Euroländer, etwa über den Euro-Rettungsschirm ESM, zur Kasse gebeten werden. Die Verluste aus den ELA-Krediten würden sozialisiert.
Statt grünes Licht für noch mehr ELA zu geben, sollte die EZB die Notkredite daher eindämmen. Sie könnte die ELA-Kredite der griechischen Zentralbank auf dem aktuellen Niveau einfrieren. Dann müssten die griechischen Geschäftsbanken schon bald die Barabhebungen und Überweisungen ihrer Kunden ins Ausland einschränken. Lenken die Machthaber in Athen daraufhin immer noch nicht ein, steht der griechische Finanzsektor vor dem Kollaps. Der griechischen Notenbank bliebe dann nichts anderes übrig, als rasch eine eigene Währung zu drucken, um den Bankensektor liquide zu halten. Griechenland wäre den Euro los – und Euroland die Griechen.