Emissionshandel, CO2-Grenzen, Erneuerbare Energien Green Deal vorgestellt: Das große Chaos droht

Den Green Deal hat Ursula von der Leyen zum zentralen Element ihrer fünfjährigen Amtszeit gemacht. Quelle: REUTERS

Noch nie hat die EU-Kommission Vorschläge gemacht, die Wirtschaft und Gesellschaft so grundlegend umkrempeln wie das Paket zum Klimaschutz. Doch wer stellt eigentlich sicher, dass die einzelnen Elemente harmonieren und Europa auf den Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2050 bringen?

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Das ganze Wochenende haben die Beamten der EU-Kommission noch um Details gerungen und auch zu Wochenanfang noch um Zahlen gefeilscht. Bis zuletzt gab es Änderungen und Anpassungen am großen Klima-Paket, das EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch unter dem Titel „Fit for 55“ vorgelegt hat. Den Treibhausgasausstoß der EU bis 2030 um 55 Prozent zu verringern und damit die Klimaneutralität im Jahr 2050 zu ermöglichen, ist das Ziel des Green Deals. Von der Leyen hat ihn zum zentralen Element ihrer fünfjährigen Amtszeit gemacht.

Kernelemente sind eine europaweite Pflicht zum Kauf von CO2-Verschmutzungsrechten für Sprit, Heizöl oder Gas. Der bestehende CO2-Handel für Industrie und Kraftwerke wird den Plänen zufolge verschärft, es werden weniger Verschmutzungsrechte ausgegeben und diese jährlich schneller reduziert. Ab dem Jahr 2035 dürfen keine herkömmlichen Diesel- und Benzinerfahrzeuge mehr neu zugelassen werden. Es sind viele und hehre Ziele, die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) dazu veranlassten, eine „neue industrielle Revolution“ auszurufen.

Mit dem großen Aufschlag kurz vor der politischen Sommerpause fängt die Arbeit am Klimakurs der EU allerdings erst richtig an. Mitgliedsstaaten und in fast allen Fällen auch das Europäische Parlament müssen den Maßnahmen noch zustimmen.

Wirtschaftsvertreter und Umwelt-Aktivisten werden versuchen, das Endergebnis in ihrem Sinne zu beeinflussen. Wie werden die Kosten des Übergangs zwischen Wirtschaft und Gesellschaft verteilt? Welche Last werden die einzelnen Mitgliedsstaaten tragen? Über diese Fragen wird in den kommenden anderthalb Jahren heftig gestritten werden.

Erste Interventionen geben einen Vorgeschmack des Drucks, der auf den Gesetzgebern lasten wird. Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisieren die Vorschläge als viel zu wenig ambitioniert, um das Klima zu retten. „Um die Klimaerhitzung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, muss die EU ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent reduzieren“, fordert etwa der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. Gleichzeitig hat der Verband der Automobilindustrie (VDA) zusammen mit den Herstellerverbänden aus Italien, Frankreich und Spanien Anfang der Woche in einem Brief an von der Leyen gefordert, die CO2-Ziele für 2025 nicht anzutasten.

Die Unterhändler in Brüssel werden Vorschlag für Vorschlag einen Kompromiss finden müssen, so wie das im EU-Betrieb immer passiert. Ob die Kompromisse etwa zum Emissionshandel, den CO2-Limits für Pkw und die Vorgaben für erneuerbare Energien am Schluss tatsächlich ineinandergreifen, ist offen. „Das ist die Eine-Million-Euro-Frage“, heißt es selbst bei NGOs. Der deutsche Botschafter in Brüssel, Michael Clauss, spricht in einem internen Papier von einem „regelrechten Tsunami von einem Dutzend Legislativvorschlägen“, bei denen sich die Frage stelle, wie diese „kohärent zusammengebunden werden“.

Die interne Abstimmung der EU-Kommission zielte genau darauf ab, dass die einzelnen Elemente zueinander passen. Immer wieder mussten Entwürfe neu geschrieben werden, weil eine Änderung an einer Stelle eine ganze Reihe von Änderungen an anderer Stelle ausgelöst hat. Alle Branchen fordern stimmige Vorgaben.



„Wir wollen nicht zweimal für CO2 zahlen“, heißt es beispielsweise aus der Flugbranche. Sie ist bereits im Emissionshandel tätig, soll künftig aber auch Quoten für nachhaltigen Treibstoff einhalten und Steuern auf das bisher steuerfreie Kerosin zahlen.

Die Wirtschaft kritisiert insgesamt, dass schon jetzt zu wenig Augenmerk darauf gelegt werde, wie sich die Vorschläge gegenseitig beeinflussen. Die EU-Kommission hat für jeden einzelnen Vorschlag eine Gesetzesfolgenabschätzung vorgelegt, nicht aber für die Gesamtwirkung.

„Was im Paket fehlt, ist das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Gesetzgebungsvorschlägen“, moniert der Verband der Chemischen Industrie. Als Beispiel führt er an, dass unsicher sei, ob in Zukunft wirklich genügend Grünstrom zu wettbewerbsfähigen Preisen bereitstehe, damit die Klimaziele erreicht werden können.

Alleine im Europäischen Parlament werden sich eine Vielzahl von Ausschüssen mit den Vorschlägen befassen, von Umwelt über Handel, Verkehr, Soziales, Binnenmarkt zu Regionalem. „Da kann man nicht ausschließen, dass die Prioritäten unterschiedlich sein werden“, sagt der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken.

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Die EU-Kommission will die Diskussionen im Europäischen Parlament und unter den Mitgliedsstaaten im Auge behalten. Die Staats- und Regierungschefs wollen bei ihren Gipfeln informiert werden, ob das Paket kohärent bleibt. „Aber das Risiko, dass einzelne Interessen aus dem Ruder laufen, ist hoch“, fürchtet ein Wirtschaftsvertreter.

Zu der Frage, ob die Summe der Vorschläge am Schluss überhaupt die Treibhausgasemissionen in der EU ausreichend reduzieren wird, hat ein Brüsseler Insider eine einfache Antwort. Im Jahr 2028 werde sich die EU-Kommission die Zahlen ansehen. „Und wenn die EU nicht auf ein Minus von 55 Prozent zusteuert, dann wird der Kommission schon etwas einfallen, um es auf 55 zu rechnen.“

Mehr zum Thema: Der hohe Strompreis wird zum Standortnachteil in Deutschland. Die verschärften Klimaziele von EU und Bundesregierung könnten für einen weiteren Schub sorgen – wenn die Politik jetzt keine Gegenmaßnahmen ergreift.

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