Energiekonzerne Taugt Großbritanniens Übergewinnsteuer als Vorbild?

Schatzkanzler Rishi Sunak hat die Zusatzsteuer im Parlament in London vorgestellt. Quelle: AP

In Deutschland ist die Übergewinnsteuer noch ein Diskussionsthema, anderswo ist sie Realität: Großbritannien schöpft seit kurzem die Mehrgewinne seiner Erdöl- und Gaskonzerne ab. Zugleich erhalten die Konzerne aber massive Steuergeschenke, wenn sie neue Erdgas- und Ölquellen erschließen. Die chaotische Ankündigung hat Stromerzeuger verunsichert.

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In Deutschland wird derzeit noch über eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne gestritten. Die britische Regierung hat kürzlich ihre strikte Ablehnung dagegen aufgegeben und eine solche Steuer eingeführt: Öl- und Gaskonzerne wie Shell und BP müssen ab diesem Jahr für zunächst zwölf Monate eine Zusatzsteuer auf ihre Gewinne entrichten.

Mit der Frage, wie man „Übergewinne“ definiert, hält sich London dabei gar nicht erst auf. Stattdessen erhebt das Schatzamt pauschal eine zusätzliche Steuer in Höhe von 25 Prozent. Zu holen gibt es eine Menge: So hat BP seine Gewinne in den ersten drei Monaten dieses Jahres mehr als verdoppelt, Shell sogar beinahe verdreifacht. Der Steuersatz, den britische Öl- und Gasproduzenten entrichten müssen, steigt somit in diesem Jahr von 40 auf 65 Prozent. Damit liegt Großbritannien trotzdem noch immer hinter Norwegen. Dort müssen Mineralölkonzerne schon lange eine Steuer auf ihre Gewinne in Höhe von 78 Prozent zahlen.

„Der Öl- und Gassektor erzielt außergewöhnliche Gewinne, und das nicht durch Risikobereitschaft oder Innovation oder Effizienz, sondern als Ergebnis der steigenden globalen Rohstoffpreise, die teilweise durch den Krieg in Russland in die Höhe getrieben wurden“, sagte Schatzkanzler Rishi Sunak, als er die Zusatzsteuer kürzlich im Parlament in London vorstellte.

Für Stromerzeuger gilt die Zusatzabgabe zunächst nicht. Doch Sunak sagte, „gewisse Teile des Stromerzeugungssektors“ erzielten ebenfalls „außerordentliche Gewinne“. Sein Ministerium prüfe derzeit „eilig“ das Ausmaß der Zugewinne bei den Stromerzeugern und bereite eventuelle weitere Schritte vor.

Die erwarteten Mehreinnahmen in Höhe von fünf Milliarden Pfund sollen in den rund 15 Milliarden Pfund umfassenden Topf wandern, mit dem die Regierung die britischen Haushalte entlasten möchte. Bislang hat die Regierung von (Noch-)Premier Boris Johnson auf die Kostenexplosion bei den Lebenshaltungskosten mit nur einigen wenigen Maßnahmen reagiert. Nun sollen Einmalzahlungen an alle Haushalte dabei helfen, die stark gestiegenen Kosten zu bewältigen: So wird es für alle Haushalte eine Einmalzahlung in Höhe von 400 Pfund geben. Weitere Zahlungen sollen beispielsweise an die Empfänger staatlicher Leistungen, Menschen mit Behinderungen und Rentner gehen, die Heizkostenzuschüsse erhalten.



Der Ruf nach solchen Hilfen war zuletzt immer lauter geworden. Denn die Energiekosten für den britischen Durchschnittshaushalt sind nach der Anhebung des landesweit geltenden Energiepreisdeckels im April um rund 700 Pfund auf etwa 1900 Pfund im Jahr gestiegen. Im Oktober soll der Energiepreisdeckel um weitere 800 Pfund angehoben werden. Da die Lebenshaltungskosten in Großbritannien schon vor der jüngsten Preisexplosion enorm hoch waren und die Armut in Ballungszentren wie London hoch ist, haben schon jetzt Millionen britischer Haushalte Probleme damit, über die Runden zu kommen.

Die Einführung der Sondersteuer markierte eine Kehrtwende. Bis vor kurzem sträubte sich allen voran Premier Johnson dagegen. Johnson wiederholte dabei die Position von Lobbyisten, dass Energiekonzerne nach der Verhängung einer Sondersteuer einen Teil ihrer Investitionen zurückfahren könnten. BP-Chef Bernard Looney widersprach dem aber kürzlich, als er erklärte, dass sein Konzern an den geplanten Investitionen in Höhe von 18 Milliarden Pfund bis Ende 2030 festhalten werde – mit oder ohne Sondersteuer.

Befürworter der Steuer wiesen zudem darauf hin, dass die großen Mineralölkonzerne schon seit Jahren beinahe überhaupt keine Steuern auf ihre Gewinne in Großbritannien gezahlt haben. Mehr noch: Dank geschickt zurecht gerechneter Bilanzen haben die meisten von ihnen in den vergangenen Jahren unterm Strich mehr Geld vom Staat entgegengenommen, als sie in Form von Steuern gezahlt haben. Die Ersparnisse flossen häufig in Aktienrückkäufe. Aus diesem Grund soll die neue Sondersteuer auch nicht wie gewohnt in den Bilanzen weggerechnet werden können.

Doch die Konzerne können sich trotzdem davor drücken, die vollen 25 Prozent zu zahlen: Sunak erhöhte die Steuernachlässe, die Konzerne für die Kosten im Zusammenhang mit der Erschließung neuer Öl- und Gasvorkommen geltend machen können – auf geschlagene 91 Prozent. Damit torpediert die Regierung aus Sicht von Kritikern den Energiewandel. Der Thinktank E3G wies darauf hin, dass das einer neuen Erdölsubvention gleichkomme. Mit den erwarteten Steuereinbußen hätte die Regierung die (in Großbritannien dringend überfällige) Wärmedämmung von zwei Millionen Häusern bezuschussen können.

Ein Grund dafür, dass die Sondersteuer auf Übergewinne ein wenig chaotisch und unausgegoren wirkt: Bis vor kurzem hat die Regierung die Erhebung einer solchen Steuer kategorisch ausgeschlossen. Nicht wenige Kritiker vermuten, dass Johnson die Sonderabgabe auch deswegen in die Wege geleitet hat, um die Öffentlichkeit zu beschwichtigen. Denn die ist wegen des Skandals um illegale Lockdown-Partys in der Downing Street weiter überwiegend der Meinung, dass Johnson seien Hut nehmen sollte.

Labour begrüßte die Einführung der Übergewinnsteuer, für die sich die Partei selbst seit Monaten eingesetzt hat. Oppositionspolitiker kritisierten jedoch die überstürzte Ankündigung der Steuer, und da vor allem die „planlose“ Erklärung, dass in Kürze auch Stromerzeuger zur Kasse gebeten werden könnten.

Der Schatzkanzler habe mit seiner chaotischen und inhaltlich teilweise unklaren Bekanntgabe möglicherweise Investitionen in neue Energieprojekte gefährdet. Das schlage schon jetzt auf den Wert der Stromerzeuger durch: „In nur einer Woche haben diese Firmen fast drei Milliarden Pfund an Wert verloren“, erklärte die Partei.

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„Es ist das Markenzeichen dieser chaotischen, realitätsfremden und ideenlosen Regierung, dass ihr hastig zusammengeschusterter Plan diese Art von Auswirkungen auf britische Unternehmen hat. Sie müssen dringend Klarheit schaffen“, sagte Schatten-Schatzkanzlerin Rachel Reeves der Financial Times.

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