Energiekosten Frankreich deckelt Preise für Strom und Gas

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron wollte sich gar nicht erst ausmalen, welchem Ausmaß die saftigen Gast- und Stromrechnungen die Gelbwesten-Bewegung reaktiveren könnten. Quelle: AP

Staatschef Emmanuel Macron sind die Gelbwesten-Proteste noch in schlechter Erinnerung. Gut sechs Monate vor der Präsidentschaftswahl im nächsten Frühjahr zieht er die Bremse.

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Eile war geboten. Nur noch gut sechs Monate sind es bis zur Präsidentschaftswahl in Frankreich, und die Gas- und Strompreise gehen durch die Decke. Staatschef Emmanuel Macron und sein Premier Jean Castex wollten sich gar nicht erst ausmalen, ob und in welchem Ausmaß die saftigen Rechnungen die Gelbwesten-Bewegung reaktiveren könnten. Deren Proteste hatten ab Herbst 2018 wochenlang das Land wegen eines vergleichsweise maßvollen CO2-Aufschlags auf Kraftstoffpreise in Atem gehalten. „Wir werden eine Tarifbeschränkung einführen, um uns gegen diese Preiserhöhungen zu wappnen,“ kündigte Castex stattdessen am Donnerstagabend live in den Hauptnachrichten des Privatsenders TF1 an.

Die Erhöhung der Gaspreise um 12,6 Prozent an diesem Freitag sei die letzte für die nächsten sieben Monate, versprach der Premier – also bis nach den beiden Runden der Präsidentschaftswahl im April. Die Strompreise würden zwischen Februar 2022 und Februar 2023 um nicht mehr als 4 Prozent erhöht. Ohne einen solchen Deckel waren Experten zuletzt von einem Anstieg um 20 Prozent ausgegangen.

Der Druck auf Präsident und Regierung war in den vergangenen Tagen enorm. Die Ankündigung zusätzlicher „Energieschecks“ in Höhe von jeweils 100 Euro für 5,8 Millionen bedürftige Haushalte hatten Verbraucherschützer zuvor als völlig unzureichend kritisiert. Sie forderten stattdessen den Rückgriff auf eine gesetzlich mögliche Maßnahme, die etwa den staatlich dominierten Stromproduzenten EdF zum Verkauf von bis zu 100 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Atomstrom zum Preis von lediglich 42 Euro je Megawattstunde (MWh) an seine Konkurrenten zwingen würde. Damit hätten alternative Stromanbieter die günstigeren Tarife an ihre Kunden weiterreichen können. Doch das hätte EdF, ohnehin stets klamm, mehr belastet, als dem Staat lieb sein konnte. Ende 2020 hatte EdF bereits 42,5 Milliarden Euro an Schulden angehäuft.

Also musste eine Alternative her, und zwar schnell. Das Einfrieren der Gaspreise bezahlen erst einmal die Anbieter, allen voran der französische Marktführer Engie. „Sie werden begleitet,“ sagte Castex dazu. Der Premierminister räumte ein, dass die Maßnahmen der Regierung die Liquidität der Versorger beeinträchtigen werde. Die für den Winter erwarteten weiteren Preiserhöhungen sollten jedoch ab dem Frühjahr über eine Dauer von zwölf Monaten nachgeholt werden. Castex stützt sich dabei auf Erwartungen, wonach die Gaspreise auf den internationalen Märkten ab dann signifikant sinken werden. Sollten die Prognosen nicht eintreffen, sei eine Reduzierung der Energiesteuer denkbar.

Um die Strompreise zu deckeln, verzichtet der Staat auf etwa vier Milliarden Euro an Einnahmen an der Steuer auf den Endverbrauch von Strom (TICFE). Die Lücke will Castex zum Teil über Einsparungen in Höhe von zwei Milliarden Euro bei der Förderung von erneuerbaren Energiequellen und rund 600 Millionen Euro an zusätzlichen Einnahmen aus der Mehrwertsteuer auf Energie schließen. Außerdem hofft er auf künftig bessere Ergebnisse des Sorgenkindes EdF, das die Kassen seines Hauptaktionärs mit Dividendenausschüttungen und Unternehmensteuern füllen soll.

Preissteigerungen von Strom und Gast im Winter haben in Frankreich den Charakter sozialen Sprengstoffs: 22 Millionen Haushalte heizen mit Strom, fünf Millionen mit Gas. Laut offiziellen Angaben waren 2019 rund 3,5 Millionen Haushalte wegen ihrer Ausgaben für Energie in einer prekären Lage: Sie bezahlten mehr als 8 Prozent ihres verfügbaren Einkommens dafür. In beinahe 700.000 Haushalten stellten die Versorger im selben Jahr Strom und Gas ab oder drosselten zumindest die Zufuhr.

von Florian Güßgen, Max Haerder, Stefan Hajek, Henryk Hielscher, Nele Husmann, Michael Kroker, Bert Losse, Jürgen Salz, Cordula Tutt, Silke Wettach

Der anstehende Winter beunruhigt uns wirklich sehr“, sagte Marie-Françoise Thull von der Hilfsorganisation Secours populaire vor wenigen Tagen. „Noch nie zuvor haben wir so viele Menschen dabei unterstützt, ihre Rechnungen zu bezahlen.“ Auch die Gewerkschaften schlugen Alarm. Dabei sind Gas- und Strompreise in Frankreich für Privatkunden größtenteils staatlich reguliert, um soziale Härten abzufedern. Dennoch stiegen insbesondere die Gaspreise in den vergangenen Monaten erheblich: im Juli um zehn Prozent, im August um fünf Prozent und zum 1. September um 8,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Unternehmen und andere Großabnehmer profitieren zwar seit 2013 nicht mehr von Fixpreisen für Strom, konnten aber dennoch Dank staatlicher Subventionen stets auf günstigen Atomstrom setzen.

Wirtschaftsminister- und Finanzminister Bruno Le Maire hatte den europäischen Energie-Binnenmarkt erst vergangene Woche als „obsolet“ bezeichnet und angekündigt, sich für eine Reform einsetzen zu wollen. „Der Energie-Binnenmarkt funktioniert nicht, er ist absurd,“ sagte er in mehreren Interviews. „Ich finde es unerträglich, dass es eine Korrelation zwischen fossilen Energieträgern und Atomenergie gibt.“

Das würden vermutlich viele Franzosen unterschreiben, die Atomenergie zu den erneuerbaren Energiequellen zählen. Die jetzige Ankündigung der Regierung löste dennoch einen Sturm der Entrüstung aus – bei den Oppositionsparteien des linken genauso wie des rechten Spektrums. Sie sehen darin ein reines Wahlkampfmanöver.

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„Die Gaspreise sind bis zur Präsidentschaftswahl blockiert. Kommt danach der Keulenschlag?“, twitterte Eric Ciotti, einer der Präsidentschaftsanwärter bei den bürgerlichen Republikanern. „Die Erhöhungen kommen danach“, ist auch Bruno Retailleau, Vorsitzender der Republikaner im Senat, überzeugt. „Die Franzosen brauchen keine Wahlkampfmaßnähmchen, sondern eine echte Absenkung der Preise für Energie und Benzin“, forderte die Präsidentschaftskandidaten Marine Le Pen vom rechtsnationalen Rassemblement National. Und Jean-Luc Mélenchon vom „unbeugsamen Frankreich“ ätzte: Der Plan von Castex gegen die Preissteigerung ist einfach: Sie geben ihm Ihre Uhr, und er sagt Ihnen, wie spät es ist. Sie zahlen jetzt, und später zahlen sie genauso.“

Mehr zum Thema: Massiv steigende Preise für Gas, Öl und Strom belasten Industrie und Verbraucher. Wie eine neue Regierung gegensteuern müsste – und Anleger an dem Trend verdienen.

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