Im Fall eines Gasnotstands sollen EU-Staaten nach dem Willen der Europäischen Kommission zum Gassparen gezwungen werden können. Konkret schlug die Brüsseler Behörde am Mittwoch vor, dass verbindliche Reduktionsziele möglich sein sollen, wenn nicht genug gespart wird. Freiwillig sollen die EU-Länder alles dafür tun, ihren Verbrauch in den kommenden Monaten um 15 Prozent im Vergleich zum Schnitt der vorangegangenen fünf Jahre zu verringern.
Voraussetzung für die Einführung von verpflichtenden Einsparzielen wäre, dass die EU-Kommission wegen einer Unterversorgung mit Gas akute Notsituationen befürchten. Sie kann den Notstand auch ausrufen, wenn sie von mindestens drei EU-Staaten dazu aufgefordert wird. Für verpflichtende Vorgaben bei Sparzielen könnte auch mehr als 15 Prozent Reduktion vorgegeben werden, wie aus dem vorgestellten Gesetzentwurf hervorgeht. Berücksichtigt werden sollen dabei Dinge wie Füllstände von Speichern und die Versorgungslage etwa mit Flüssiggas.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen machte bei der Vorstellung des Plans deutlich, dass sie einen kompletten Lieferstopp von Gas aus Russland in die Europäische Union für wahrscheinlich hält. „Wir müssen uns auf eine vollständige Unterbrechung der russischen Gasversorgung vorbereiten“, sagte die deutsche Politikerin. „Dies ist ein wahrscheinliches Szenario.“
Man habe schon in der Vergangenheit gesehen, dass Russland versuche, Druck auf die EU auszuüben, indem es die Gasversorgung reduziert. Ein kompletter Lieferstopp würde von der Leyen zufolge alle EU-Staaten schwer treffen. Zugleich betonte sie, dass die EU die Schwierigkeiten bewältigen könne, wenn sie geschlossen handele. Von der Leyen sprach zudem davon, dass bereits zwölf EU-Länder gar nicht mehr oder nur eingeschränkt von Russland mit Gas beliefert würden. „Russland erpresst uns, Russland setzt Energie als Waffe ein“, sagte von der Leyen.
EU-Kommissionsvize Frans Timmermans warf dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, einzelne Länder durch das Abdrehen des Gashahns anzugreifen, um Europa insgesamt zu schwächen. „Ganz Europa wird angegriffen“, sagte er.
Ob und in welchem Umfang Deutschland seinen Gasverbrauch weiter senken muss, um das 15-Prozent-Ziel zu erreichen, war zunächst unklar. In den ersten fünf Monaten des Jahres war der Gasverbrauch in Deutschland gut 14 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum, wie das Wirtschaftsministerium mitteilte. „Auch bereinigt um Temperatureffekte lag der Gasverbrauch im laufenden Jahr 6,4 Prozent unter dem Wert des Vorjahreszeitraums“, hieß es unter Verweis auf Zahlen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft.
Im Mai seien es im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar 34,7 Prozent – bereinigt 10,8 Prozent – weniger gewesen. Deutlich rückläufig sei auch die Stromerzeugung aus Gas, teilte das Ministerium mit. Diese sei in den ersten fünf Monaten gut 14 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum gewesen.
EU-Plan für möglichen Gasnotstand
Im Gesetzesvorschlag heißt es, den EU-Staaten stehe es frei, geeignete Maßnahmen selbst zu wählen. Wie genau auf Verbraucherseite gespart wird, ist also nicht vorgegeben. Dass auch Bürgerinnen und Bürger Gas sparen müssen, ist aber sehr wahrscheinlich. Denn die Einsparziele sind hoch. Auf zunächst freiwilliger Basis soll der Gasverbrauch in den EU-Ländern um 15 Prozent sinken. Im Verordnungsentwurf wird aber betont, dass sogenannte geschützte Kunden „ununterbrochen“ versorgt werden sollen.
Generell gibt es für den Fall einer Gasnotlage bereits einheitliche Regeln in der EU, die in der sogenannten SoS-Verordnung verankert sind. Diese regelt etwa, welche Kunden in einem Ernstfall noch mit Gas versorgt werden sollen: Haushalte und essenzielle soziale Dienste werden als geschützte Verbraucher besonders behandelt. Sie genießen eine besondere Stellung und ihnen kann von den Mitgliedsländern Vorrang eingeräumt werden.
In einem Punkt kommen aber vermutlich auch weniger Auswirkungen auf die Menschen im Land zu als zunächst angedacht. In einem früheren Entwurf war vorgesehen, dass öffentliche Gebäude, Büros und kommerzielle Gebäude bis maximal 19 Grad beheizt und mit Klimaanlagen auf nicht weniger als 25 Grad heruntergekühlt werden sollen. Dies findet sich in den am Mittwoch präsentierten Vorschlägen nicht mehr.
Der Entwurf der Kommission, dem die EU-Staaten noch zustimmen müssen, sieht unter anderem vor, dass Unternehmen auf andere Energieträger umsteigen sollen. Dafür könnten Firmen finanzielle Anreize erhalten. Wenn die Versorgungslage sehr kritisch wird, könnten bestimmten Wirtschaftszweigen der Gashahn abgedreht werden. Der Gesetzesvorschlag sieht aber vor, dass bestimmte Bereiche geschützt werden sollen. Bei Sparmaßnahmen soll etwa darauf geachtet werden, ob diese Auswirkungen auf Versorgungs- und Lieferketten hätten oder langfristige Schäden an Industrieanlagen anrichten könnten.
Der Deutsche Industrie und Handelskammertag (DIHK) begrüßte den Plan grundsätzlich. „Die EU-Kommission ist mit ihrem Gasplan auf dem richtigen Weg: Nur durch schnelle und pragmatische Gaseinsparungen kommen wir durch den nächsten Winter“, sagte Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer. Er fordert von der Bundesregierung finanzielle Anreize und, dass der Wechsel von Gas auf andere Energieträger bürokratisch vereinfacht wird.
Nach geltenden EU-Regeln müsste die deutsche Industrie theoretisch Gas an Haushalte eines Nachbarlands wie Österreich abgeben, falls das Land sich nicht anders versorgen kann und auch Deutschland keine weiteren Vorräte hat. Umgekehrt würden deutsche Haushalte über die Industrie von Nachbarländern versorgt, wenn es zum Äußersten käme. Dies wäre der allerletzte Ausweg und würde wohl nur eintreten, wenn Gas in mehreren Ländern gleichzeitig knapp wird. Die genauen Modalitäten müssten noch ausgearbeitet werden.
Sie müssen Maßnahmen entwickeln, wie Gas gespart werden kann. Wenn der Vorschlag in seiner jetzigen Form Realität wird, sind sie im Zweifel auch dazu verpflichtet. Weigert sich dann ein EU-Staat, kann er von der Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt werden. Dies kann dazu führen, dass Strafen fällig werden.
Schon jetzt gibt es Mitgliedsstaaten, die sich nicht an die bereits geltenden EU-Regeln halten wollen. So hat Ungarn vergangene Woche einen Notstand ausgerufen und angekündigt, dass es ab August kein Gas und andere Energieträger mehr an andere EU-Länder liefern will. Die EU-Kommission untersucht diesen Schritt gerade.
Für Deutschland begrüßte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das Vorhaben der EU-Kommission. „Wir müssen daher gemeinsam unsere Vorsorge stärken“, teilte er mit. Ein entscheidender Hebel sei es, den Gasverbrauch zu reduzieren. „Daran müssen wir alle mit ganzer Kraft arbeiten.“
Ob der Plan der EU-Kommission Realität wird, dürfte sich in den kommenden Tagen zeigen. Die EU-Staaten müssen dem Vorhaben noch zustimmen. Am Dienstag soll es ein Sondertreffen der EU-Energieminister geben.
Zuletzt gab es Sorgen, dass Russland bei der Ostseepipeline Nord Stream 1 nach einer geplanten Wartung, die in dieser Woche vorbei sein könnte, den Gashahn nicht wieder aufdreht. Wie aus Daten des Netzbetreibers Gascade vom Mittwochnachmittag hervorgeht, sind für Donnerstag Lieferungen angekündigt worden. Ob und wie viel Gas tatsächlich ab Donnerstag kommt, verraten die nun vorliegenden Daten aber nicht mit Sicherheit. Nach Angaben der EU-Kommission lieferte Russland im Juni im Vergleich zum Schnitt der vergangenen fünf Jahre weniger als ein Drittel der sonst üblichen Menge.
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte in der Nacht zu Mittwoch laut der staatlichen Nachrichtenagentur Tass gesagt, sollte Russland eine in Kanada reparierte Turbine nicht zurückerhalten, drohe Ende Juli die tägliche Durchlasskapazität der Pipeline deutlich zu fallen. Von der Leyen sagte, die Turbine befinde sich gerade auf dem Weg nach Russland.
In einem Entwurf des Plans war noch vorgesehen, dass öffentliche Gebäude, Büros und kommerzielle Gebäude bis maximal 19 Grad beheizt und mit Klimaanlagen auf nicht weniger als 25 Grad heruntergekühlt werden sollten. Diese Vorgaben sind in den nun präsentierten Vorschlägen nicht mehr enthalten.
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