Während Europas Politiker noch um die Details eines einheitlichen digitalen Impfpasses ringen, werden die Bewohner Estlands schon im März einen digitalen Impfpass erhalten. „Wir erwarten, dass wir in zwei bis drei Wochen mit echten Daten an den Start gehen“, sagte Ain Aaviksoo, Chief Medical Officer von Guardtime, der WirtschaftsWoche. Aktuell testet das auf Verschlüsselung mit der Blockchain-Technologie spezialisierte Unternehmen noch die Prozesse.
Sobald sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die EU auf Standards geeinigt habe, könnte das estnische Unternehmen einen weltweit nutzbaren digitalen Impfpass auf den Markt bringen. „Wir wären unmittelbar in der Lage, eine Lösung anzubieten.“
WHO und EU haben Arbeitsgruppen gebildet, die Standards setzen sollen, damit Reisende künftig ohne großen Aufwand ihre Impfung nachweisen können. Neben Guardtime arbeiten auch die US-Internetgiganten Google und Apple mit der WHO zusammen, um einen digitalen Impfausweis zu entwickeln.
Die EU-Staaten haben sich im Prinzip auf einen einheitlichen Impfpass geeinigt, tun sich aber mit der konkreten Ausgestaltung schwer. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte am Donnerstag nach dem virtuellen EU-Gipfel, sie erwarte erst binnen drei Monaten eine Lösung.
Guardtime befindet sich auch mit der Bundesregierung bereits in konkreten Gesprächen und verhandelt ebenso mit allen anderen EU-Staaten über einen möglichen Einsatz seiner Technologie. Auch mit Israel, den USA und Großbritannien befindet sich das Unternehmen in Kontakt, insgesamt wird mit 40 Staaten gesprochen. Finnland und Litauen haben schon große Offenheit signalisiert für eine digitale Lösung.
Guardtime legt großen Wert auf Datenschutz. „Unsere Lösung respektiert voll und ganz die europäische Datenschutzgrundverordnung“, betont Aaviksoo. Dies könnte ein Wettbewerbsvorteil gegenüber der US-Konkurrenz sein. Grundsätzlich sei eine Blockchainlösung sicherer, unterstreicht er. „Bei Lösungen, in denen die Daten in der Cloud aufbewahrt werden, gibt es ein Problem mit dem Datenschutz.“
Bei einem digitalen Impfausweis müssten aber nur sehr wenig Informationen vorgehalten werden. „An der Grenze geht es um geimpft oder nicht geimpft“, sagt Aaviksoo. „Die Nutzer müssen sich keine Sorge machen, dass ihre gesamte Krankengeschichte kontrolliert wird.“
Die Kosten für einen digitalen Impfpass werden sich nach Angaben von Aaviksoo auf „einen Bruchteil der Impfkosten“ belaufen. Der Preis wird davon abhängen, ob Staaten die digitale Plattform Vaccineguard, von der die Impfausweise nur eine Anwendungsmöglichkeit darstellen, auch für das Management der Impfkampagnen nutzen. Regierungen könnten dort etwa einen Überblick bekommen, wie viel Impfstoff bereits verabreicht wurde. Deutschland fehlt der Überblick vielerorts, weil zu wenig moderne Technologie eingesetzt wird.
Die Bundesregierung gehört beim digitalen Impfausweis bisher zu den Bremsern in der EU. Das liegt auch am langsamen Fortschritt bei der Impfung. Solange nicht jeder Erwachsene einen Impftermin angeboten bekommen hat, ist es politisch schwer durchsetzbar, Geimpften ihre alten Freiheiten zurückzugeben. Datenschutzbedenken spielen in Deutschland ebenfalls eine Rolle.
Aaviksoo, zuvor Staatssekretär für E-Health und Innovation in Estland, versteht, dass andere Länder Zeit brauchen, um sich an digitale Lösungen heranzutasten. „In Estland leben wir seit 20 Jahren in einer digitalen Welt“, sagt der Mediziner. „Experten und Laien fällt es hier leicht, digitalen Lösungen zu vertrauen, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass es in dem transparenten Prozess klare Verantwortung gibt.“ Cyberkriminelle würden mittlerweile einen Bogen um sein Land machen, „weil sie wissen, dass sie hier erwischt werden.“
Mehr zum Thema: Bald startet die Immunisierung der zweiten Impfgruppe, kündigten Politiker jüngst an. Die WirtschaftsWoche hat in den Ländern nachgefragt, wie es denn aussieht mit der Impfquote – und unbefriedigende Antworten bekommen.