EU-Austritt Britische Behörden sorgen schon mal für den harten Brexit vor

Wie geht es mit dem Brexit weiter? Quelle: imago images

Die Scheidungs-Verhandlungen zwischen London und Brüssel gehen auf die Zielgerade, die Hoffnung auf einen baldigen Deal wächst. Aber vorher muss noch einmal richtig gekämpft werden. Wo die Fronten verlaufen.

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Die Regierung in London warnt vor übereilter Feierlaune: Große Fortschritte seien zuletzt bei den Brexit-Gesprächen erzielt worden, aber bei den schwierigen Fragen sei man noch immer weit auseinander und habe fundamentale Differenzen, heißt es in der Downing Street. Ein unüberhörbarer Warnschuss an Brüssel, wo in den letzten Tagen optimistische Nachrichten gestreut worden waren, ebenso wie ein geschicktes Taktieren, das der schwierigen innenpolitischen Lage in Großbritannien Rechnung trägt. Denn der gordische Knoten – ein Kompromiss bei der Nordirland-Grenze, die sich bisher als größtes Hindernis für ein Abkommen erwies – ist kaum zu durchschlagen, will man die harten Brexitiers und die nordirische Protestantenpartei DUP nicht vor den Kopf stoßen.

Premierministerin Theresa May wird ihren Landsleuten, ihrer Partei und den Abgeordneten im Parlament also glaubhaft demonstrieren müssen, dass sie diese Woche blutbefleckt, aber ungebeugt aus Brüssel zurückehrt. Andernfalls droht ihr nicht nur eine Rebellion ihrer Minister und ein Auseinanderbrechen ihrer Regierung, sondern auch eine spätere Parlaments-Niederlage bei der Abstimmung über den Brexit-Deal, was Neuwahlen und vielleicht gar eine Labour-Regierung zur Folge haben könnte.

Sie zieht Lehren aus den Erfahrungen ihres Vorgängers David Cameron. Als der im Februar 2016 aus Brüssel zurückkehrte gab er siegessicher: Er habe der EU vier wichtige Konzessionen abgerungen und werde „mit ganzem Herzen und ganzer Seele“ in den Wahlkampf ziehen, um bei seinen Landsleuten für den Verbleib Großbritanniens in der EU zu werben, erklärte der Premier damals. Auch auf der EU-Seite glaubte man, den Briten sehr weit entgegengekommen zu sein und zeigte Zuversicht. Dreieinhalb Monate später entschied sich die Mehrheit der Briten beim Referendum aber für den Brexit. May, die sich erst kürzlich beim Salzburger EU-Gipfel eine blamable Niederlage einhandelte, wird daher äußerst vorsichtig taktieren.

Sie hat gleich an mehreren Fronten zu kämpfen:

1. Obwohl es vorübergehend hieß, die irische Grenzfrage sei fast gelöst, liegt der Teufel doch im Detail. Denn die schwierige Frage, wie der Personen- und Warenverkehr an Großbritanniens einziger Landesgrenze zur EU, die zwischen der britischen Provinz Nordirland und der Republik Irland verläuft, geregelt werden soll, ist offen. Obwohl es zwischen der EU und Großbritannien einen Konsens darüber gibt, dass auch in Zukunft eine harte Grenze mit physischer Infrastruktur und Schlagbäumen vermieden werden muss, herrscht weiter Unklarheit darüber, wie dieses Ziel in der Praxis verwirklicht werden kann.

Am Donnerstagabend hatte es geheißen, ganz Großbritannien könne als Notfall-Lösung vorübergehend in einer Zollunion mit der Europäischen Union bleiben, bis ein neues Handelsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU vereinbart sei. Damit würde sowohl eine harte Grenze zwischen Großbritannien und Nordirland als auch zwischen Irland und Nordirland vermieden. Das Problem: Mehrere Brexitiers in Mays Kabinett wehren sich gegen diese schwammige Formulierung. Sie befürchten, dass Großbritannien ohne eine klare zeitliche Begrenzung auf immer und ewig in einer Zollunion mit der EU bliebe. Brexit-Minister Dominic Raab, Umweltminister Michael Gove und der Minister für internationalen Handel, Liam Fox lehnen den Kompromiss rundheraus ab. Sie machten erfolgreich Druck auf May, die am Freitag bereits zurückruderte.

Mays Sprecherin betont: ein Verbleib in der Zollunion als Notfall-Lösung sei – wie bereits im Juni in einem offiziellen Brief Mays festgeschrieben – auch künftig nur bis längstens Ende 2021 möglich. Nur: Was kommt danach, wenn bis dahin kein neues Abkommen mit der EU steht? EU-Chefunterhändler Michel Barnier hatte sich deshalb bisher stets gegen eine zeitlich befristete Notfall-Lösung für das Irland-Problem gewehrt. Und auch die Briten selbst haben keine Antwort auf die Frage, ob es ab 2022 doch zu einer „harten“ Grenze auf der irischen Insel kommen könnte.

Hardliner warnen schon vor dem uneigentlichen Brexit

2. Bliebe Großbritannien auf lange Zeit mit der EU in einer Zollunion verbunden, so würde das außerdem die Möglichkeiten einschränken, Freihandelsabkommen mit Drittstaaten wie den USA , China und Australien abzuschließen, was für viele Brexitiers einer der wichtigsten Gründe für den Austritt war. Großbritannien bliebe damit eine „Kolonie der EU“, wie Ex-Außenminister  Boris Johnson polemisiert. Er und andere Hardliner warnen May vor einem „Brino“ – die Abkürzung steht für „Brexit in name only“, einen Brexit, der eigentlich keiner wäre. Das aber wäre undemokratisch und würde den Wähler-Willen konterkarieren, so der Vorwurf der Brexitiers. May nimmt ihn ernst, immerhin trat sie im Sommer 2016 mit dem Versprechen als Regierungschefin an, den Wunsch ihrer Landleute umzusetzen.  

3. May muss bangen, dass sie später im Parlament keine Mehrheit für den mit Brüssel ausgehandelten Scheidungsvertrag bekommt. Als Anführerin einer Minderheitsregierung ist sie auf die Unterstützung der kleinen nordirischen Partei DUP angewiesen, muss aber nun befürchten, dass ihr diese die Gefolgschaft versagt, weil der DUP der Nordirland-Kompromiss nicht gefällt. Konkret nimmt die DUP, die 2016 für den Brexit geworben hatte, an zwei Punkten Anstoß: Eine Zollunion zwischen Großbritannien und der EU ohne eine konkrete zeitliche Begrenzung lehnt sie ab und gleichzeitig schließt sie jede Art von Warenkontrollen zwischen Nordirland und Großbritannien aus, selbst wenn diese nicht direkt an der Grenze, sondern bei den Unternehmen selbst stattfinden würden. Waren- und Lebensmittelkontrollen sind allerdings eine Forderung der EU, die auf diese Weise verhindern möchte, dass über den Güterverkehr zwischen Großbritannien und Irland minderwertige Waren in die EU eingeschleust werden.

Die Frage ist allerdings, ob die DUP blufft. Schon im vergangenen Winter hatte sie mit der Aufkündigung ihres Duldungspaktes gedroht, May erkaufte sich damals dessen Fortsetzung mit dem Versprechen, eine Milliarde Pfund an zusätzlichen öffentlichen Fördermitteln in die nordirische Provinz zu pumpen. Die ersten 400 Millionen Pfund wurden inzwischen ausgezahlt. Auch diesmal könnten die Tories versuchen, die DUP durch monetäre Geschenke bei der Stange zu halten.

Die Agenda der Brexit-Verhandlungen

Die Behörden bauen für den harten Brexit vor

Die Gefahr, dass es ungeachtet der positiven Nachrichten aus Brüssel doch noch zu einem No-Deal-Szenario kommt ist also noch keineswegs gebannt, ein chaotischer Austritt aus der EU am 29. März 2019 immer noch möglich. In London bereiten sich die Behörde auch immer noch darauf vor: Am Freitag veröffentlichte die Regierung einen weiteren Satz Dokumente, die Unternehmen und Organisationen konkrete Hinweise geben sollen, was auf sie zukommt, wenn Großbritannien im Falle eines EU-Austritts ohne Übergangsphase Drittland werden sollte.

Bisher veröffentlichte das Brexit-Ministerium rund 100 entsprechende Dokumente. Aus den neuesten geht hervor, dass die Anerkennung von beruflichen Abschlüssen und Qualifikationen bei einem No-Deal-Brexit sofort enden würden. In der Praxis hieße das beispielsweise, dass Rechtsanwälte aus der EU nicht mehr in Großbritannien arbeiten dürften. Außerdem wurde bekannt, dass im Süden Englands bereits ein ganzer Autobahnabschnitt zum Lkw-Notparkplatz umgebaut werden soll, falls es nach dem EU-Austritt ab April 2019 bei der Grenzabfertigung in Dover zu Verzögerungen und Rückstaus kommen sollte.

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