Brexit-Entwurf May verliert Minister – jetzt geht es um alles

Brexit: Theresa May verliert mehrere Minister Quelle: REUTERS

May kämpft im Parlament um ihr Austrittsabkommen – und ihr politisches Überleben. Gegenwind kommt von allen Seiten. Mehrere Minister sind bereits zurückgetreten. Die britische Regierung ist in der Auflösung.

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Die britische Premierministerin Theresa May will ihre Brexit-Vereinbarung mit der EU trotz des Widerstands aus ihrer eigenen Partei und der Opposition nicht aufgeben. „Ich glaube mit jeder Faser meines Seins, dass der Kurs, den ich vorgegeben habe, der richtige für unser Land und unser ganzes Volk ist“, sagte May am Donnerstagabend bei einer Pressekonferenz in London im Regierungssitz 10 Downing Street. Ihn abzulehnen, würde das Land in eine tiefe Unsicherheit führen.
Die britische Premierministerin hatte die unter ihrer Federführung erzielte Vereinbarung mit der EU über einen Austritt aus der Europäischen Union am Donnerstag bereits im britischen Parlament verteidigt. Der Brexit erfordere schwierige Entscheidungen von allen. „Weder wir noch die EU sind völlig glücklich mit den Vereinbarungen zu einer Notfalloption für Irland.“ Man habe jedoch nur die Wahl, entweder keinen Deal zu riskieren, den Brexit abzublasen oder aber gemeinsam die bestmögliche Vereinbarung zu unterstützen. Sie rief die Abgeordneten auf, das Abkommen zu genehmigen. Das Parlament wird voraussichtlich im Dezember darüber abstimmen. Die britische Premierministerin ging im Vorfeld optimistisch in die historische Kabinettssitzung über den Ausstieg des Vereinigten Königsreichs aus der EU. Gleichwohl bereitet sich ihre Regierung aber auch auf einen Austritt ohne Folgeabkommen vor.

Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier zeigte sich zufrieden mit dem Vertrag. „Wir haben letztendlich eine gerechte und ausbalancierte Lösung gefunden“, sagte Barnier am Donnerstag im EU-Parlament. Der Kompromiss beachte die Forderungen des Vereinigten Königreichs nach einem ungeteilten Zollraum. Gleichzeitig sehe er den Schutz der Verbraucher in der EU und des EU-Binnenmarkts vor. Man sei aber noch nicht am Ende des Weges.
Der britische Oppositionschef Jeremy Corbyn bezeichnete Mays Entwurf im Unterhaus dagegen als „gewaltiges und schädliches Scheitern“. Es überschreite die roten Linien der Regierung und erfülle nicht die Anforderungen der Labour-Partei. Er will May dazu drängen, die Brexit-Vereinbarung zurückzuziehen.

Rücktritte setzen May unter Druck

Am Morgen hatten bereits mehrere Minister und Staatssekretäre aus Protest gegen den Deal ihr Amt niedergelegt. Darunter waren Brexit-Minister Dominic Raab und Arbeitsministerin Esther McVey. Beide protestieren damit gegen das Brexit-Abkommen, das den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union und Übergangsfragen regeln soll. Auch der Vizechef von Mays Konservativer Partei hat am Nachmittag seinen Hut genommen: Rehman Chishti erklärt seinen Rücktritt vom Amt. Großbritannien will Ende März 2019 die Europäische Union verlassen.
Für Premierministerin Theresa May sind die Rücktritte ein schwerer Rückschlag. Erst am Mittwochabend hatte May ihrem Kabinett nach stundenlanger Debatte die Zustimmung zu dem Entwurf abgerungen.

Theresa May hat eine wichtige Hürde genommen: Die britische Regierung billigt den Entwurf des Brexit-Vertrags. Doch von Einigkeit keine Spur: Rücktritte und neue Details aus Brüssel bergen Zündstoff.
von Yvonne Esterházy

Raab ist bereits der zweite Brexit-Minister, der im Streit mit May hinwirft. Im Juli hatte sein Vorgänger David Davis das Amt abgegeben. Grund für seinen Rücktritt sei, dass der Entwurf wegen der Bestimmungen zu Nordirland die Einheit des Landes gefährde, schrieb Raab in einem Brief an die Premierministerin. Zudem könne er keine Vereinbarung akzeptieren, die Großbritannien unbegrenzt an die EU binde. Er bezieht sich damit auf den sogenannten Backstop, der garantieren soll, dass es keine Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland geben wird.

„Keine demokratische Nation hat je einem so umfassenden Regime zugestimmt, das von außen auferlegt wird, ohne jegliche demokratische Kontrolle über die angewandten Gesetze oder die Fähigkeit, die Vereinbarung zu verlassen“, schrieb Raab.
Esther McVey galt als schärfste Kritikerin des Brexit-Abkommens im Kabinett. Die 51-Jährige aus Liverpool ist eine ehemalige TV-Moderatorin und hat auch in einem Familienunternehmen gearbeitet. Erst im vergangenen Januar war McVey zur Arbeitsministerin ernannt worden. Sie hatte zuvor schon als Staatssekretärin in dem Ministerium gearbeitet.

Früher am Morgen hatte auch der britische Nordirland-Staatssekretär Shailesh Vara sein Amt niedergelegt. Der Tory-Politiker nannte Großbritannien eine „stolze Nation“, die nicht darauf reduziert werden sollte, den Regeln anderer Länder zu gehorchen. „Die Menschen in Großbritannien verdienen Besseres“, erklärte Vara per Twitter.

„Lügen der Brexit-Anhänger werden offensichtlich“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Quelle: REUTERS
Margaritis Schinas Quelle: dpa
Michel Barnier Quelle: REUTERS
Joachim Lang Quelle: imago images
FDP-Politiker Michael Theurer Quelle: dpa
EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani Quelle: AP
Édouard Philippe Frankreichs Premierminister Quelle: AP

Britische Medien rechneten mit weiteren Rücktritten von Politikern aus Protest gegen die Brexit-Pläne der Premierministerin. Als mögliche Rückzugskandidaten wurden unter anderem Handelsminister Liam Fox und Entwicklungshilfeministerin Penny Mordaunt genannt.
Raab ist wie sein Vorgänger David Davis, für den er eine Zeit lang als Büroleiter arbeitete, ein Brexit-Hardliner. Davis war bereits im Juli 2018 zurückgetreten, kurz darauf legte auch Außenminister Boris Johnson sein Amt nieder.

Kurz nach der Ernennung Raabs zum Brexit-Minister hatte May die Brexit-Verhandlungen zur Chefsache erklärt. Sie teilte Raab eine Stellvertreterrolle bei den Gesprächen mit Brüssel zu.
Nicht immer machte Raab als Brexit-Minister eine glückliche Figur: So handelte er sich mit einer Äußerung zum Handel zwischen Großbritannien und dem Kontinent heftigen Spott ein. Ihm sei das volle Ausmaß der Bedeutung des Ärmelkanals für den Handel nicht klar gewesen, hatte Raab bei einer Konferenz in London gesagt.

Abgeordnete drohen mit Misstrauensvotum

Daneben droht May weiterer Ärger: Mays konservativer Widersacher Jacob Rees-Mogg fordert den Rücktritt der Premierministerin. Der nächste Regierungschef müsse jemand sein, der an einen Brexit glaube, sagt er. Immer mehr konservative Abgeordnete reichten einen Brief ein, in dem sie ein Misstrauensvotum forderten – darunter seien auch welche, mit denen er nicht gerechnet habe. Bislang habe das für eine derartige Abstimmung verantwortliche Komitee aber noch nicht ausreichend Briefe erhalten, berichtet ein BBC-Reporter. Nach den britischen Parlamentsregeln wird eine Abstimmung dann ausgelöst, wenn mehr als 15 Prozent der Abgeordneten oder 48 Parlamentarier ein Misstrauensvotum fordern. May kündigte an, sich gegen ein ein solches Votum zu wehren. Sie gehe weiterhin davon aus, dass sie das Land zum Zeitpunkt des Brexit führt, sagt ihr Sprecher. Einem Bericht zufolge wollte sie am Donnerstag den Chef des für das Misstrauensvotum zuständigen Komitees, Graham Brady, treffen.

EU-Ratspräsident Donald Tusk berief unterdessen einen Sondergipfel ein, um den Austrittsvertrag der Europäischen Union mit Großbritannien unter Dach und Fach zu bringen. Das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs soll am 25. November in Brüssel stattfinden. Tusk selbst wollte die jüngsten Entwicklungen in London zunächst nicht kommentieren. „Ich kann nur sagen, dass wir bereit sind für eine endgültige Vereinbarung mit Großbritannien im November. Wir sind auch vorbereitet auf ein No-Deal-Szenario. Aber wir sind natürlich am besten vorbereitet für ein No-Brexit-Szenario.“

Nachdem das britische Kabinett die EU-Austrittspläne von Theresa May gebilligt hat, beruft nun EU-Ratspräsident Donald Tusk einen Sondergipfel ein. Doch in Großbritannien gibt es heftigen Widerstand.

In einer fünfstündigen Debatte hatte sich May am Mittwochabend die Zustimmung ihres Kabinetts für den Entwurf des Brexit-Abkommens gesichert. Sie stellte das 585 Seiten starke Dokument an diesem Donnerstagvormittag dem Parlament in London vor. May dürfte aber erhebliche Probleme haben, für den Deal eine Mehrheit im Unterhaus zu finden, das den Vertrag später ratifizieren muss.
Die Opposition hatte bereits angekündigt, gegen das Abkommen zu stimmen. Herbe Kritik kam auch von Brexit-Hardlinern in ihrer eigenen Partei und der nordirischen DUP. Mays Minderheitsregierung ist auf die Unterstützung der DUP-Abgeordneten angewiesen.

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