EU-Erweiterung Wie Europa Einfluss auf dem West-Balkan verspielt

Mehrere EU-Staaten stellen sich gegen die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Albanien. Quelle: imago images

Frankreich blockiert die Eröffnung von EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nord-Mazedonien. Die Profiteure heißen China, Russland und Türkei.

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Nach zwei Verschiebungen wollten die EU-Europaminister an diesem Dienstag in Luxemburg den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nord-Mazedonien beschließen. Aber wieder wird es nicht dazu kommen. Frankreich stellt sich dezidiert gegen die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit beiden Ländern. Die Niederlande, Dänemark und voraussichtlich Spanien unterstützen Frankreich im Fall von Albanien. Notwendig wäre ein einstimmiger Beschluss.

Die drei Präsidenten der EU-Institutionen Rat, Parlament und Kommission hatten vor Kurzem erst in einem gemeinsamen Brief für die Eröffnung von Gesprächen plädiert. „Wenn die EU ihre internationale Rolle bewahren will und ihre Interessen schützen will“, schrieben Donald Tusk, David Sassoli, Jean-Claude Juncker und seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen, „dann würde ein Schritt helfen, um die europäischen Länder zu integrieren, die die Voraussetzungen für den Beginn des Beitritts erfüllen.“ Gefruchtet hat der Appell nicht, Frankreich bleibt bei seinem Nein.

In Brüssel und bei einem Großteil der anderen Mitgliedsstaaten ist der Ärger groß. „Wer jetzt den Beitrittsprozess blockiert, trägt die Verantwortung für die mögliche Destabilisierung unserer Nachbarschaft“, sagt ein EU-Diplomat. „Geostrategisch ist die Blockade fatal.“ Länder wie China, Russland und die Türkei, die bereits in den vergangenen Jahren ihren Einfluss auf dem Balkan stetig gemehrt haben, können ihre Macht weiter ausbreiten. Schon jetzt beklagt die EU, dass China massiv in Infrastruktur auf dem Balkan investiert und dabei versucht, eigene Standards zu setzen. Russland pflegt vor allem enge Kontakte zu Serbien, die Türkei ist in Bosnien-Herzegowina sehr aktiv. Wenn die EU Beitrittsverhandlungen eröffnen würde, hätte sie starke Einflussmöglichkeiten auf die Länder und könnte sie zwingen, europäische Standards anzuerkennen, etwa bei der öffentlichen Auftragsvergabe. „Ohne Verhandlungen ist der Hebel geringer“, beklagt ein EU-Diplomat.

Trotz Reformseifers bleibt Frankreich ablehnend

Der Bundestag hatte im Sommer der Eröffnung von Gesprächen mit den beiden Kandidatenländern unter Auflagen zugestimmt. Diplomaten loben, dass sowohl Albanien als auch Nord-Mazedonien erhebliche Anstrengungen unternommen hätten, um die Vorbedingungen für Beitrittsgespräche zu erfüllen. So hat Nord-Mazedonien den lange erbittert geführten Namensstreit mit dem Nachbarland Griechenland beigelegt. Albanien hat eine durchaus beeindruckende Reform im Justizsektor begonnen. Richter und Staatsanwalte aller Gerichte mussten sich neu auf ihre Posten bewerben. „Das sollte man mal in anderen EU-Mitgliedsstaaten machen“, sagt ein EU-Beamter. Teilweise sind bis zu 60 Prozent der Posteninhaber durchgefallen mit dem Ergebnis, dass das albanische Verfassungsgericht derzeit nicht beschlussfähig ist. Dies wird nun als ein Grund angeführt, warum die Gespräche nicht eröffnet werden sollen. Wenn Albanien Reformen anpacke, sei es unfair, dass es dafür bestraft werde, sagt ein EU-Diplomat.

Befürworter von Beitrittsverhandlungen heben hervor, dass der Beginn von Gesprächen ohnehin zu keiner schnellen Aufnahme beider Länder führe. Ein Beitritt sei frühestens in zehn bis 15 Jahren zu erwarten. Diplomaten befürchten, dass sich beide Länder von der EU abwenden, weil sich Europa unglaubwürdig gemacht habe.

Möglicherweise kommt auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs noch einmal Bewegung in das Thema. Die treffen sich am Donnerstag und Freitag turnusgemäß zum Gipfel in Brüssel. Emmanuel Macron steht den beiden Ländern aus innenpolitischen Gründen skeptisch gegenüber. Rechtsaußen Marine Le Pen stellt Albanien als „Brückenkopf“ der Türkei in der EU dar und prangert Korruption und organisiertes Verbrechen auf dem Balkan an. Macrons Unterhändler in Brüssel fordern, dass die Union sich erst vertiefen müsse, ehe sie sich erweitern kann. Die Diplomaten im französischen Außenministerium seien sehr viel empfänglicher für geostrategische Argumente, heißt es in Brüssel. Am Schluss entscheidet freilich Macron, wie es in dieser Frage weitergeht.

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